Erst zwei Tage ist der Urteilsspruch im Prozess um den Tod von Mouhamed Dramé her, als am Samstag (14.12.) nach und nach immer mehr Menschen an die Katharinentreppe vor dem Hauptbahnhof kommen. Der Solidaritätskreis „Justice 4 Mouhamed“ hatte schon vor Wochen diesen Termin angemeldet, um der Reaktion auf das Urteil Raum zu geben.
Unterschiedliche Gruppen
Auf dem Platz der Deutschen Einheit kommen viele unterschiedliche Gruppierungen und Typen von Menschen zusammen.
Neben denen, die sich seit fast zweieinhalb Jahren mit dem Fall beschäftigen, sind etliche spontan hierhergekommen. Es bestätigt sich etwas, das man schon nach dem Urteilsspruch vermuten konnte: Es gibt bis in die Mitte der Gesellschaft hinein viele, die die Entscheidung und den Weg dorthin nicht verstehen.
Gefühl der Ungerechtigkeit
Viele der Anwesenden eint vermutlich eine Empfindung: Sie halten das Urteil im Fall Mouhamed für ungerecht. Und sie halten es für ein fatales Signal an Menschen mit migrantischer Geschichte und vor allem für BiPoC. Dies ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung von „Schwarze Menschen, Indigene Menschen und Menschen of Colour“.
„Es gibt keine Gerechtigkeit für Schwarze Menschen in Deutschland“, sagt William Dountio, einer der Organisatoren der Demo. Darin wird deutlich: Manche Rednerinnen und Redner wählen hier klare Worte und teils sehr absolute Formulierungen.
„Wir bieten weiter einen großen gesellschaftlichen Dialog an, in dem dann auch Betroffene zu Wort kommen könnten“, sagt Dountio für den „Solidaritätskreis“.

Eine Rednerin aus der Gruppe sagt: „Wir brauchen eine Polizei, die mehr kennt, als nur in Begriffen wie Eigensicherung und Gefahrenabwehr zu denken und dadurch nicht zwischen einem Aggressor und einem verzweifelten Jugendlichen unterscheiden kann.“
Mwayemudza Ndindah, ein Aktivist aus Hamburg, spricht kurz darauf die Kontinuität solcher Entscheidungen wie der aus Dortmund an. Schwarze und migrantisch gelesene Menschen würden überproportional häufig Opfer von Polizeigewalt. „So lange das verleugnet wird, wird es immer so weiter gehen“.
Er kritisiert auch die „absolute Abwesenheit von Menschlichkeit“ durch die Verantwortlichen im Gerichtsverfahren. Richter Thomas Kelm habe Mitgefühl nur gegenüber den Angeklagten entwickelt, aber nicht gegenüber den Angehörigen des Opfers.
Kein offizielles Beileid
Bis heute, so betonen mehrere Rednerinnen und Redner, habe es keine offizielle Beileidsbekundung oder eine andere Reaktion einer staatlichen Institution zu Mouhameds Tod gegeben.
Der Demonstrationszug ist auf knapp 1500 Personen angewachsen, als er sich in Bewegung setzt. Im Vorfeld und auch auf der Demo war ausdrücklich der Verzicht auf politische Forderungen und Symbole betont worden, die nichts mit dem Fall Mouhamed zu tun haben.

Sidy und Lassana Dramé, Mouhameds Brüder, laufen in der ersten Reihe. Nach einem kurzen Stück über die Brückstraße gibt es an der Kreuzung Burgwall eine Zwischenkundgebung. Der neuralgische Punkt auf der Route ist da schon in Sichtweite.
Die Wache Nord an der Münsterstraße ist die Polizeistation, auf der die am 8. August 2022 beteiligten Beamten eingesetzt waren. Sie ist für viele der Menschen, die hier demonstrieren, ein Symbol für Probleme bei der Dortmunder Polizei.
Protest vor der Wache Nord
„Schließt sie, schließt sie“, rufen Hunderte, als sie die Bahn-Unterführung in Richtung Nordstadt passieren. Dazu immer wieder „Justice For Mouhamed“, Gerechtigkeit. Und schließlich: „No Justice, No Peace“ - keine Gerechtigkeit, kein Frieden.
Da sind Wut und Entsetzen. Aber von außen betrachtet wird die Grenze gewahrt zwischen Kritik am System und Anfeindungen gegen anwesende Polizisten oder die jetzt freigesprochenen Beamten.
Als der Protestzug auf der Heiligegartenstraße, jetzt in Sichtweite der Wache Nord, sein Ende erreicht, entsteht ein sehr intensiver und bewegender Moment. Ans Mikrofon tritt Mamadou Saliou Jalloh. Er ist ein jüngerer Bruder von Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 im Polizeigewahrsam in Dessau ums Leben kam.
Der Fall weist eine Reihe von Ungereimtheiten auf, die nahelegen, dass Oury Jalloh von Polizisten getötet worden ist. Mamadou Saliou spricht vor dem Lautsprecherwagen auf Französisch, neben ihm stehen Sidy und Lassana Dramé. Jalloh erzählt von dem Gefühl, dass Behörden das Leid seiner Familie nicht anerkannt hätten.
Bruder von Oury Jalloh
Es gab schon 2005 Zweifel an der offiziellen Darstellung, er habe sich selbst mit einem Feuerzeug in einer Polizeizelle angezündet. Es gab mehrere Gerichtsprozesse, die bisher trotz einiger Indizien keine endgültige Aufklärung gebracht haben. Jallohs Familie hat mittlerweile den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte um Hilfe ersucht.
Mamadou Saliou Jalloh spricht davon, dass das auch 20 Jahre später immer noch schmerze und sein Leben beeinflusse. Und dass es ein Kampf um Gerechtigkeit sei, den viele Schwarze überall kämpfen müssten.

Es ist bedächtig still in diesem Moment auf der vorher noch so lauten Demonstration. Besonders Menschen aus der BiPoC-Community macht dieser Moment zu schaffen. Eine Mutter und ihre jugendliche Tochter weinen gemeinsam, eine andere Frau muss sich mit Tränen in den Augen setzen. Zum Schluss umarmen sich Sidy Dramé, Lassana Dramé und Mamadou Saliou Jalloh mehrere Sekunden lang.
Rechtsextreme Demo
Die Mouhamed-Demo ist an diesem Tag die größte von insgesamt sechs Versammlungen in Dortmund. Alle laufen am Ende laut Polizei „störungsfrei“ ab.
Etwa 135 Rechtsextreme laufen am Nachmittag von der Kurfürstenstraße zum Wilhelmplatz in Dorstfeld.
Die Polizei meldet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Es gibt einen kurzen Tumult, als Gegendemonstrierende versuchen, zum Aufzug der Rechtsextremen zu gelangen. Diese nimmt dann aber weitgehend unbeachtet ihren Lauf.