Die letzten Minuten im Leben von Mouhamed Dramé Die Chronik des tödlichen Polizeieinsatzes

Die letzten Minuten im Leben von Mouhamed Dramé
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Das Urteil im Fall Mouhamed Dramé ist gesprochen. Die fünf angeklagten Polizeibeamten, die am Einsatz am 8. August 2022 beteiligt waren, bei dem der 16-Jährige durch fünf Schüsse der Polizei getötet worden war, wurden freigesprochen. Was bei diesem Einsatz in Dortmund und in den letzten Minuten von Mouhamed Dramés Leben geschah, ist aufgrund von Mitschnitten des Notrufs und des Funkverkehrs der Beamten gut dokumentiert.

Oberstaatsanwalt Carsten Dombert hatte den Einsatzverlauf bei seinem Plädoyer im Gericht teils sekundengenau wiedergegeben.

Eine Chronik der letzten zwei Stunden im Leben des 16-Jährigen am 8. August 2022:

Circa 16.15 Uhr:
Ein Passant, der auf der Missundestraße geht, sieht Mouhamed Dramé mit einem Messer in der Hand im Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung hocken. Der 16-Jähriger hockt in einer Nische, er hält sich ein Messer vor den Bauch. Der Passant informiert die Mitarbeiter der Wohngruppe. Diese versuchen, sich Mouhamed zu nähern und über eine Übersetzer-App mit ihm zu kommunizieren. Ohne Erfolg.

16.25 Uhr und 35 Sekunden:

Ein Mitarbeiter wählt den Polizeinotruf. Er schildert das Alter von Mouhamed, seine Herkunft, die Sprachbarriere, seinen Aufenthalt in der LWL-Klinik einen Tag zuvor und die geäußerten Suizid-Gedanken.

16.27 Uhr:

Die Leitstelle der Polizei informiert über Funk die Beamten. Die Situation wird geschildert und die Informationen des Mitarbeiters weitergegeben.

Circa 16.30 Uhr:

Die ersten Einsatzkräfte treffen an der Holsteiner Straße 11 ein. Da sie sich noch besprechen wollten, treffen sie sich nicht direkt am Einsatzort an der Hausnummer 21. Einsatzleiter Thorsten H. bespricht das Einsatzvorgehen und legt fest, dass man Mouhamed Dramé zunächst ansprechen solle.

Wenn diese Ansprache nichts nutzt, soll Pfefferspray verwendet werden, um den 16-Jährigen zu entwaffnen und seinen Suizid zu verhindern. Taser und MP5 sollen währenddessen zur Sicherung einsatzbereit sein. Der Einsatzleiter teilt die Einsatzmittel Pfefferspray, Taser und MP5 auf die Beamten auf. Zivilkräfte bekommen dann die Aufgabe, die Lage im Innenhof zu erkunden.

Für die Ermittlungen war die Holsteiner Straße am 8. August 2022 mehrere Stunden gesperrt.
Für die Ermittlungen war die Holsteiner Straße am 8. August 2022 mehrere Stunden gesperrt. © Lukas Wittland

16.38 Uhr und 32 Sekunden:

Die Zivilbeamten betreten den Innenhof.

16.41 Uhr und 15 Sekunden:

Auch uniformierte Beamte betreten den Innenhof.

16.44 Uhr und 7 Sekunden:

Zivilbeamte versuchen Mouhamed Dramé anzusprechen. Sie geben sich nicht als Polizisten zu erkennen. „Hallo, wie geht’s dir? Geht’s dir gut?“, fragt ein Beamter. Dann pfeift er einmal. Mouhamed Dramé reagiert zunächst nicht, bewegt sich dann kurz. Der zweite Zivilpolizist versucht, ihn auf Spanisch anzusprechen. Keine Reaktion. Die Beamten geben es an den Einsatzleiter weiter.

Die Beamten beziehen Stellung im Hof. Pia B. visiert Mouhamed mit dem Taser an. Ein Laser markiert das Ziel. „Habe ihn drauf“, gibt Pia B. durch, „Kein DEIG-Einsatz“, sagt Thorsten H.

16.45 Uhr und 45 Sekunden:

Einsatzleiter Thorsten H. weist die Polizisten Jeannine B., die außerhalb des Zauns auf der Missundestraße steht, an: „Vorrücken und einpfeffern. Das volle Programm, die ganze Flasche.“ Eine Aufforderung an Mouhamed Dramé, das Messer niederzulegen und auch die Androhung des Pfeffersprays gibt es ihm gegenüber nicht. Jeannine B. scheint die Anweisung ihres Einsatzleiters akustisch nicht richtig zu verstehen.

16.45 Uhr und 55 Sekunden:

Thorsten H. sagt über Funk durch: „Ich wiederhole: Vorrücken. Schlagartig und den Mann einpfeffern. Das volle Programm aus der großen Flasche.“ Jeannine B. beklagt mangelnden Sichtkontakt, H. beschrieb den Standort des 16-Jährigen.

16.46 Uhr und 22 Sekunden:

Thorsten H. sagt: „Tretet an den Zaun heran und schießt von da.“

16.46 und 26 Sekunden:

Jeannine B. sagt: „Alles klar.“ Sie bedient das Pfefferspray für sechs Sekunden in Richtung von Mouhamed Dramé. Sie lehrt etwa die halbe Flasche. Das Pfefferspray ergießt sich über den Kopf des 16-Jährigen.

16.46 Uhr und 38 Sekunden:

Mouhamed Dramé hält kurz inne, dann richtet er sich auf. Er wischt sich über den Kopf, dann dreht er sich kurz nach rechts, um die Nische zu verlassen. Das Messer hält er in der Hand. Der Polizist Markus B. schießt den Taser ab, eine Elektrode trifft den Körper, eine andere nicht. Es kommt zu keinem Stromkreis.

0,346 Sekunden später:

Pia B. bedient ihren Taser. Mouhamed Dramé ist etwa drei Meter von ihr entfernt. Er steht frontal vor ihr und hat das Messer in der Hand. Die Elektroden treffen zu nah beieinander. Das führt wohl zu Schmerzen, aber nicht zum Erstarren von Mouhamed Dramé

Am Tag nach den tödlichen Schüssen, waren die Markierungen der ermittelnden Beamten noch deutlich zu sehen. An diesen Stellen landeten die Patronenhülsen.
Am Tag nach den tödlichen Schüssen, waren die Markierungen der ermittelnden Beamten noch deutlich zu sehen. An diesen Stellen landeten die Patronenhülsen. © Lukas Wittland (Archiv)

0,771 Sekunden später:

Der Polizist Fabian S. gibt sechs Schüsse aus der MP5 ab. Zu diesem Zeitpunkt ist Mouhamed Dramé etwa zweieinhalb Meter von Pia B. und 5 oder 6 Meter von Markus B. entfernt. Nach den ersten Schüssen bewegt er sich noch weiter. 5 von 6 Projektilen treffen. Dann fällt der 16-Jährige vor die Füße von Pia B. Einsatzleiter Torsten H. und ein weiterer Beamter eilen herbei und legen Mouhamed Dramé Handschellen an. Der Mitarbeiter der Jugendhilfeeinrichtung beendet den Notruf.

Keine genaue Uhrzeit:

Mitarbeiter des Rettungsdienstes laden Mouhamed Dramé in den Rettungswagen. Er wehrt sich zunächst. Auf dem Weg des Krankenhauses ist der 16-Jährige stabil. Im Krankenhaus verschlechtert sich sein Zustand.

18.02 Uhr:

Im Schockraum des Klinikums Nord wird der Tod von Mouhamed Dramé festgestellt. Todesursächlich wahr wohl ein Bauchschuss.

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