Eigentlich sollte 2022 für die Veranstaltungsbranche alles besser werden. Die Infektionszahlen bewegten sich auf einem Niveau, das wieder Livemusik ermöglichte. Also so wie „damals“ – vor der Coronapandemie.
Ein bisschen Normalität kehrte auch wieder zurück. Festivals wie das Juicy Beats im Dortmunder Westfalenpark fanden nach zweijähriger Zwangspause wieder statt. Auch größere Künstlerinnen und Künstler füllen die Veranstaltungsorte.
Trotzdem hört man immer wieder Stimmen aus der Veranstaltungsbranche, dass gerade eben nicht alles normal ist.
90 Prozent weniger Tickets
Im Junkyard, einem zum Veranstaltungsort umgebauten Schrottplatz im Norden Dortmunds, ist eigentlich viel los. Der Programmkalender von der Konzertlocation an der Schlägelstraße ist prall gefüllt. Gefühlt klatschen sich dort täglich tourende Bands, Rapper, DJs oder Partys ab.
Dennoch gibt es Probleme. Die Menschen kaufen zu wenige Tickets. „In vielen Fällen gingen die Verkäufe um mehr als 50 Prozent zurück, in einigen sogar um bis zu 90 Prozent“, teilt das Team vom Junkyard auf Anfrage dieser Redaktion mit. Besucherzahlen, die die wirtschaftlich vertretbaren Grenzen oft unterschreiten.
Die Gründe dafür seien nach wie vor die Angst vor einer Coronainfektion. Ebenso gebe es auch ein Überangebot an Veranstaltungen. Viele Bands holen ausgefallene Konzerte aus Hochzeiten der Pandemie nach, genauso wie große Festivals, die wieder zurückkehrten. Das Publikum muss mehr abwägen. Nun kämen noch die inflationsbedingten Geldsorgen dazu.
Die Einschnitte bei den Ticketverkäufen könne man durch Förderprogramme, wie dem „Neustart Kultur“ der Bundesregierung, noch etwas abfedern.
Junkyard sieht Verpflichtung
Man versuche jedoch, alle Veranstaltungen durchzuführen, die mehr oder weniger vertretbar sind. Das Team vom Junkyard empfindet nämlich eine Art Verpflichtung: „Das sind wir [als Veranstaltungsort] den Künstlern und Fans schuldig, die ja auch irgendwie darauf angewiesen sind, dass Konzerte stattfinden.“
Kleinere Einbußen nehme man dafür mit einer Mischkalkulation in Kauf. Besser besuchte Veranstaltungen gleichen die aus, für die zu wenig Tickets gekauft wurden.
Trotzdem musste das Team vom Junkyard schon schwere Entscheidungen fällen: „Es kam durchaus in den letzten Monaten häufiger vor, dass wir es uns einfach nicht leisten konnten, einzelne Konzerte durchzuführen und diese absagen mussten.“
Etwa das Open-Air-Metalkonzert „Junkfest“, das im Juli stattfinden sollte. Es wurde auf 2023 verschoben. „Verständlicherweise kaufen viele von euch Tickets erst kurz vor der Veranstaltung, was angesichts der derzeitigen Umstände verständlich ist, jedoch raubt uns dies derzeit jede Planungssicherheit“, erklärt das Junkyard in einem Beitrag auf Facebook. Die meisten Kommentierenden zeigen sich dennoch verständnisvoll.
Keine Panik im FZW
Das FZW hat derweil anderes zu berichten. „Unsere Ticketverkäufe laufen derzeit erstaunlich gut“, sagt Mathias Schmidt, PR-Verantwortlicher des Dortmunder Veranstaltungsortes im Unionviertel. Viele Konzerte seien sogar ausverkauft, oder zumindest auf dem Weg dorthin. Schmidt: „Derzeit sehen wir keine Veranlassung, in Panik zu verfallen.“
Die Westfalenhallen, der größte Veranstaltungsort der Stadt, blicke auf einen erfolgreichen Sommer zurück, heißt es auf Anfrage dieser Redaktion. Aktuell sehe die Buchungslage auch noch gut aus. Die Unsicherheit nehme wegen steigender Energiepreise, Inflationen, Personalmangel und auch aufgrund aktuell diskutierter Coronamaßnahmen wieder zu.

Im FZW und in den Westfalenhallen treten jedoch auch Künstlerinnen und Künstler auf, die eher den Mainstream ansprechen. Dennoch hat in Dortmund nicht nur das Junkyard Probleme.
So hat die Dortmunder Band Drens sieben Konzerttermine ihrer Tour gestrichen, da im Vorfeld zu wenig Tickets gekauft wurden. Sie zu spielen, wäre ein finanzielles Risiko gewesen. Auch die deutlich größere Band Faith No More hat ihren ursprünglich für den 21. Juli geplanten Auftritt in den Westfalenhallen deshalb abgesagt.
Bei anderer Bühnenkunst sieht es nicht anders aus. Im Roto-Theater bleiben selbst bei früher ausverkauften Reihen viele Plätze leer. Andere Theaterstätten in Dortmund berichteten Ähnliches.
Konzerte sind nicht nur Passion
Wie geht es nun für das Junkyard weiter? Die vergangenen drei Jahre seien schon eine enorme Herausforderung gewesen. Eine gewisse Anspannung lasse sich nicht leugnen: „Wir nehmen die derzeitige Situation sehr ernst und beobachten die allgemeine Entwicklung schon sehr genau“.
„Das Veranstalten von Konzerten ist für uns nicht nur Passion, sondern auch unser Beruf“, heißt es vom Junkyard-Team. Deshalb möchte man an der Schlägelstraße weitermachen und sich den Gegebenheiten anpassen. Man erinnere sich immer wieder daran, was man schon alles mit dem Junkyard geschafft hat – daraus will das Team die „nötige Kraft für die Herausforderungen der Zukunft“ ziehen.
Weitere Unterstützung vom Bund
Die Zukunft sieht gerade für die Kultur- und Veranstaltungsbranche nicht wirklich gut aus. Vor allem dank der aktuellen Energiepreiskrise, bedingt durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die kommt zu den bestehenden Problemen aus der Coronapandemie noch obendrauf.
Allerdings gibt es einen Hoffnungsschimmer – und der kommt aus Berlin: Die Bundesregierung wolle eine „Art ‚Kulturfonds Energie’ bereitstellen“, wie Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte. Diese Hilfe soll ab dem 1. Januar greifen, rückwirkend bis Oktober.
Roth erwartet „im Gegenzug auch, dass die Kultureinrichtungen sich solidarisch verhalten und alles dafür tun, Energie einzusparen.“ Dafür verspricht sie auch „eine substanzielle Summe“.

Der „Kulturfonds Energie“ soll mit nicht abgerufenen Geldern des Sonderfonds für Kulturveranstaltungen finanziert werden. Wie viel zur Verfügung steht, werde mit dem Bundesfinanzminister ermittelt.
Die Kulturstaatsministerin geht von „mindestens einer Milliarde Euro“ aus. Außerdem sollen einheitliche Regelungen geben, weshalb das Energiepaket in enger Abstimmung zwischen Bundesregierung und den Ländern auf den Weg gebracht werden soll.
Claudia Roth will unbedingt verhindern, dass Kultureinrichtungen schließen müssen: „Denn dann hat unsere Demokratie keine Stimme mehr“. Nicht nur wirtschaftliche Gründe würden dabei von Bedeutung sein. „Ich möchte, dass Museen, Theater, Kinos auch Räume sind, die Menschen Bildung, Kommunikation und soziale Wärme ermöglichen“.
Mit Material von dpa
Endlich wieder Konzerte – trotzdem müssen immer mehr Bands Auftritte absagen
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