Die Spaziergängerin, die mit ihrem Enkelkind auf dem Fußweg entlang des Schölzbaches unterwegs ist, bleibt traurig stehen, als sie den hoch oben im Baumwipfel mit einer Kettensäge bewaffneten Arbeiter im Hubsteiger hantieren sieht. „Das tut einem in der Seele weh, wenn man das mitansehen muss.“ Und auch Baum-Experte und CDU-Ratsherr Franz-Josef Gövert findet es „sehr bedauerlich“, als er vor Ort nach Bürgerhinweisen die Fällaktion beobachtet: „Denn ein Baum in dieser Liga ist äußerst selten in Dorsten.“
Es handelt sich nämlich um eine 300 Jahre alte Stieleiche, die in den vergangenen Tagen auf einem Privatgrundstück in einem vor wenigen Jahren entstandenen Wohngebiet an der Gladbecker Straße abgeholzt wurde und von der inzwischen nichts mehr zu sehen ist. Das mächtige Baum-Exemplar befindet sich auf dem Gelände eines früheren Hof-/Gärtnereibetriebes - und steht auf der Vorschlagsliste für die Eintragung als „Naturdenkmal“, die die Stadtverwaltung Dorsten vor ein paar Wochen bei der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises eingereicht hatte.
„Schon vorher hat es Bürgerhinweise gegeben, ob dieser Baum aufgrund seiner stadtbildprägenden Wirkung aufgenommen werden könne“, erklärt die Stadt gegenüber unserer Redaktion: „Dieser Einschätzung hat man sich aus städtebaulicher Sicht angeschlossen.“
Damit habe jedoch noch keine fachliche Beurteilung stattgefunden, ob der Baum von der Vitalität und Standsicherheit als Naturdenkmal geeignet sei. Dies sei anschließende Sache der Kreisverwaltung. Laut Stadt passiere es vor der Erweiterung einer Naturdenkmalliste wie vor der Einführung einer Baumschutzsatzung immer wieder, „dass Menschen durch Fäll- oder Baumschnitt-Maßnahmen bereits Fakten schaffen wollen“.
Der Grundstückseigentümer handelt mit seiner Fällaktion aber legal. Es gibt in Dorsten keine Baumschutzsatzung, die Brutsaison hat noch nicht begonnen - und in dem Bebauungsplan, der 2012 für das betreffende Baugebiet „Ölmüllers Feld/Schölzbach“ aufgestellt worden war, ist die Hofeiche nicht als schützenswert festgesetzt worden. Im Gegensatz zu weitaus kleineren Bäumen auf dem früheren „Parkgelände“.

Warum hat die Stadtverwaltung den Baum nicht bereits vor mehr als zehn Jahren als schützenswert in den Bebauungsplan aufgenommen, wenn er nun ihrer Einschätzung nach sogar so wichtig ist, dass er ein Naturdenkmal werden sollte? „Das ist leider heute nicht mehr nachvollziehbar - der Kollege, der seinerzeit diese Planung begleitet hat, ist nicht mehr bei der Stadt Dorsten tätig“, heißt es aus dem Rathaus. „An Mangel an Umweltbewusstsein kann es nicht gelegen haben.“
Der Eigentümer des Grundstücks, der ungenannt bleiben will, betont, dass er keineswegs gegen Naturschutz sei. „Im Gegenteil: In die Eiche haben wir uns damals verliebt, sie war ein Grund dafür, dass wir das Grundstück gekauft haben.“ Der Baum müsse aber gefällt werden. Nicht weil er baulich im Wege stehe, sondern weil er laut Aussage von zwei Fachfirmen nicht am Leben erhalten werden könne.
Mehr oder weniger kaputt
„Er steht im Asphalt, hat zu viel Trockenheit abbekommen, weil der nahe gelegene Schölzbach immer weniger Wasser führt.“ Die Eiche sei seit 20 Jahren mehr oder weniger kaputt, habe sich jetzt auch beim Baumschnitt herausgestellt. Immer wieder seien so viele Äste herunterfallen, dass es auf dem Boden ein „Trümmerfeld“ gegeben habe. „Das wäre auf Dauer auch eine Gefahr für die Nachbarn gewesen.“ Einen zeitlichen Zusammenhang mit der Naturdenkmal-Vorschlagsliste gibt es nach seinen Worten nicht. „Von der wussten wir gar nichts. Wir haben uns schon vor einem Dreivierteljahr entschieden, den Baum fällen zu lassen und bereits vor drei Monaten den Auftrag dazu erteilt.“
CDU-Ratsherr Franz Josef Gövert ist als früherer Abteilungsleiter des Münsteraner Grünflächenamtes vom Fach. Er sagte zu Beginn der Baumfällarbeiten: „Die Eiche hat eine noch vitale Krone, wirft aber Totholz ab, was aber bei einem Baum seines Alters normal ist“. Er weiß aus Erfahrung: „Das kann bei einigen Besitzern zu Ängsten führen, es gibt aber auch viele Beispiele, wo dies vom unmittelbaren Umfeld gern gesehen wird.“
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