
Heiner Löchteken vor einer Eiche in Lembeck, die in diesem Jahr wie die meisten anderen kein EPS-Problem hat. © Petra Berkenbusch
Dorstener Baumexperte Löchteken: „Der Mensch verschlimmert das EPS-Problem“
Eichenprozessionsspinner
Der Eichenprozessionsspinner hat in diesem Jahr kaum Probleme gemacht. Für Baum-Experte Heiner Löchteken kein Erfolg der gängigen Bekämpfungs-Strategie, sondern biologische Normalität.
Als ausgewachsener Falter ist er nicht gerade eine atemberaubende Schönheit, als Raupe hat er es allerdings in den letzten Jahren zu großer Bekanntheit ohne jegliche Beliebtheit gebracht: Der Eichenprozessionsspinner hat sich förmlich den Ruf eines „Problem-Insekts“ erarbeitet. Und das allein mit seinen zehntel Millimeter langen Brennhärchen. Die können heftigen Juckreiz auslösen - und Hysterie beim Menschen.
Was man schon alles gegen sie unternommen hat, hat bei Heiner Löchteken inzwischen eine Menge Kopfschütteln ausgelöst. Dennoch konnten der Baum-Sachverständige und seine Kollegen die skurrilsten Bekämpfungsmethoden nicht verhindern. „Dabei können Versuche wie EPS-Fallen, Klebefallen und Spritzaktionen durch Hubschrauber überhaupt nichts nutzen“, sagt Löchteken, „eher im Gegenteil.“ Und es möge sich bitte niemand einbilden, die niedrige Zahl der EPS-Nester in diesem Jahr sei eine Folge der Biozid-Einsätze im Frühsommer.

Die Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners aus der Luft hält Heiner Löchteken für ziemlichen Unfug: Der Hubschrauber verteile eher noch die Härchen der Vorjahresnester. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Der Mensch sorgt für die Verteilung der Brennhärchen
Der Eichenprozessionsspinner tritt alle paar Jahre in größeren Populationen auf, zuletzt 2019. Wissenschaftler nennen das Abundanz. Löchteken: „Er erschien schon 2018 in größerer Menge auf der Bildfläche, aber üblicherweise spüren wir sein Vorhandensein erst im Jahr danach.“
Denn entgegen der landläufigen Meinung rieseln seine Brennhärchen in der Regel nicht aus den Nestern vom Baum herab, sondern verteilen sich erst, wenn die Gespinste heruntergefallen sind. Und dann beteiligt sich die Gattung Menschen äußerst tatkräftig an ihrer Verteilung in die Umgebungsluft.

Die Härchen der Raupe lösen die mitunter starken Hautreaktionen aus. © picture alliance/dpa
Denn bevor die Härchen nach dem Herunterregnen im Boden gebunden werden können, kommt heutzutage der Mensch mit Rasenmäher und Laubbläser vorbei, um Ordnung zu schaffen. „Und dann fliegen die Härchen bis zu 500 Meter weit durch die Luft“, beschreibt Löchteken das Prinzip. Wenn im April die ersten EPS-Hautreaktionen gemeldet werden, sei deshalb jedem Experten sofort klar, dass es sich um Nester aus dem Vorjahr handeln müsse. Löchteken: „Denn im April befindet sich die neue Larven-Generation noch in einem frühen Stadium. Die Härchen bilden sich erst viel später aus. Jemand muss also für ihre Verteilung gesorgt haben.“
Er wundere sich also nicht über die Meldungen von Hautreizungen, wenn er sehe, wie an Straßenrändern das Bankett zwischen Eichen mit einem rotierenden Hochleistungs-Mulcher mit Gebläse bearbeitet werde.
Biozide zerstören auch Schmetterlinge und Nachtfalter
Doch zurück zur Biozid-Anwendung. Löchteken: „Auch wenn der Name so schön harmlos klingt, es handelt sich um ein chemisches Mittel gegen alle blattfressenden Raupen, wirkt also gegen alle Schmetterlinge und Nachtfalter. Das wollen wir doch eigentlich nicht, oder?“ Um dem Begriff Biozid seine Unschuld zu nehmen, erinnert er gern daran, dass auch Rattengift ein Biozid sei. Weil das Mittel die Lebensgrundlage der Fressfeinde (Prädatoren) abtötet, finden auch Insekten, wie der „Große Puppenräuber“ oder die Raupenfliege, keine Nahrung mehr.

Eichenprozessionsspinner-Fallen: Für Heiner Löchteken ein Versuch, der nicht funktionieren kann, weil die Raupen ihren Baum gar nicht verlassen. Kontraproduktiv: Ihre Fressfeinde gehen in die Fallen. © picture alliance/dpa
Löchteken: „Dabei passen die Prädatoren ihre Populationen an die Menge der Raupen an. Sie vermehren sich entsprechend und – vereinfacht gesagt - fressen die EPS-Abundanz weg.“ Diese natürliche Regulierung werde durch den Biozid-Einsatz empfindlich gestört.
Der Lembecker Gärtnermeister und Arborist betreut gut 600 Objekte im nördlichen Ruhrgebiet, darauf viele Eichen, alle kartiert und nummeriert - und nicht gespritzt. Und wie bei allen anderen Eichen gab es in diesem Jahr auch bei „seinen“ ungespritzten Bäumen keine Probleme. „Die Welle von 2018/2019 ist überwunden“, sagt Löchteken, „das ist der Lauf der Natur. Aber es wird neue Wellen geben. Das war immer schon so.“
Erst die Kochwäsche neutralisiert die Härchen in Kleidungsstücken
Die Sozialen Medien haben dem Lästling in den letzten Jahren zu großer Popularität verholfen. „Nachrichten verbreiten sich in Windeseile weit über Regionsgrenzen hinweg - und damit auch Hysterie und Halbwissen.“ Eine weitere moderne Errungenschaft komme dem langen Überleben der lästigen Härchen entgegen: die Abschaffung der Kochwäsche. Wenn die Härchen sich in Textilien setzen, können ihnen niedrige Temperaturen nichts anhaben. „Und welches Kleidungsstück wird heute noch gekocht?“ So sei es ihm auch schon passiert, dass das gewaschene, im Kleiderschrank überwinterte Hemd im nächsten Frühjahr die Haut gereizt hat. „Das hatte gar nichts mit der aktuellen EPS-Population zu tun, sondern mit der des Vorjahres.“
Dass die Gespinste keine Hitze mögen, haben sich Löchteken und einige Kollegen für eine hoffnungsvolle Bekämpfungsstrategie zunutze gemacht: „Wenn man das Nest mit heißem Wasser infiltriert, schrumpft es zusammen und fällt ab. Die Härchen denaturieren und man kann es problemlos entsorgen.“ Leider seien die Hitzemethode derzeit noch nicht verbreitet und die nötigen Geräte schwer erhältlich.

Ein Mitarbeiter saugt in Schutzkleidung ein EPS-Netz ab. © picture alliance/dpa
Erfolgreich sei auch das Spritzen von Fadenwürmern (Nematoden). Weil das wegen der UV-Empfindlichkeit nachts und ziemlich exakt zum Austrieb jeder einzelnen Eiche geschehen müsse, sei diese Präventivmaßnahme allenfalls für Einzelbäume geeignet, nicht für ganze Straßenzüge.
An befallenen Eichen nicht mähen und Laub saugen
„Nach unserem derzeitigen Wissensstand“, erklärt Löchteken, „kann man das erste Abundanzjahr getrost abwarten. Nach Sonderkontrollen im August jenes Jahres kann man dann entscheiden, an welchen Bäumen man die Infiltrationsmethode anwendet oder die Nester durch Absaugen entfernt. Wenn man dann noch aufs Mähen und vor allem Laubblasen unter den Eichenbäumen verzichtet, kann man beruhigt das Abflachen der Welle abwarten.“
Genau so geschehe es jetzt schon selbst in Kindergärten, deren Bäume er betreut. Nach sorgfältiger Abwägung von Schaden und Nutzen könne man jedoch auch dort und anderswo im Einzelfall wenige Eichen besprühen, wenn eine hohe Population durch Eiablagen festgestellt worden sei.
Geboren und geblieben im Pott, seit 1982 in verschiedenen Redaktionen des Medienhauses Lensing tätig. Interessiert an Menschen und allem, was sie anstellen, denken und sagen.
