
© Julian Preuß
Dorstenerin Lena Marie (51) startet nach Outing in ein neues Leben
Transgender
Lena Marie lebt als Frau in einem männlichen Körper. Deshalb hat sich die Dorstenerin 2019 als Transgender geoutet. Begleitet wurde sie von ihrer größten Sorge: Was denken die Kinder?
Leise und mit einer tiefen Stimme erzählt Lena Marie ihre Lebensgeschichte. Lena Marie ist als Mann geboren worden. Eigentlich heißt sie Udo Kreutzkam. Doch die Dorstenerin wusste schon als Teenager: „Irgendwas an mir ist anders.“ 2019 outete sie sich. Seitdem lebt sie öffentlich als Transgender - derzeit als Frau in einem männlichen Körper.
Bravo lesen statt Fußball spielen
Mit 16 Jahren habe Lena Marie gemerkt, dass sie sich nicht für die typischen „Jungs-Aktivitäten“ interessiere. Anstatt nachmittags auf dem Bolzplatz Fußball zu spielen, habe sie sich damals lieber mit anderen Mädchen getroffen und beispielsweise über den aktuellen Tratsch in der neuesten Bravo-Ausgabe gequatscht.
Wirklich ausgelebt habe sie ihre weibliche Seite jedoch nicht. Nach der Schule folgten Ausbildung, Wehrpflicht bei der Bundeswehr, Hochzeit und die Geburt zweier Söhne. Also ein Leben, wie es von der Gesellschaft als normal erachtet werde, sagt Lena Marie.
„Während dieser Zeit war der Drang nie weg“, erzählt die 51-Jährige und ergänzt: „Ich habe ihn allerdings unterdrückt, weil ich mich der Gesellschaft untergeordnet habe.“
2019 folgt die Scheidung
Zwischenzeitlich habe sie ihr wahres Ich heimlich ausgelebt. Zum Beispiel beim Austragen von Zeitungen, berichtet Lena Marie. 2019 ging die Ehe in die Brüche, die Scheidung von der ehemaligen Partnerin folgte. Lena Marie blickt zurück: „Wir haben uns einfach auseinandergelebt.“

Lena Marie hat sich als Transgender geoutet, nachdem die Ehe in die Brüche gegangen ist. © privat
Erst danach outete sich Lena Marie. Sie beschreibt diese Entscheidung als „totale Erleichterung“. Steine seien ihr vom Herzen gefallen. Dennoch war ihr bewusst, dass dieser Entschluss Konsequenzen haben könnte: „Ich bin immer vom Schlimmsten ausgegangen, dass ich beispielsweise meinen Job oder Freunde verliere.“
Doch damit hätte sie leben können, sagt Lena Marie. Vielmehr stellte sich ihr die Frage: „Wie reagieren die eigenen Jungs - die eigenen Kinder?“ Sie erinnert sich genau an die Situation: „Ich habe ihnen alles erzählt und erklärt. Ich meinte zu ihnen, dass wir offen reden und sie mich alles fragen können. Es gab einen Tag lang Funkstille. Aber am nächsten Tag haben sie dann viele Fragen gestellt. Wir pflegen weiterhin ein super Verhältnis zueinander.“
Zusammenleben mit den Söhnen birgt kleine Herausforderungen
Die mittlerweile 16- und 20-jährigen Söhne wohnen noch immer bei Lena Marie. Doch das Zusammenleben hält Herausforderungen bereit, die zunächst banal erscheinen. Auf die Frage, ob die Söhne Lena Marie weiterhin mit „Papa“ ansprechen, erklärt sie: „Klar rutscht das den beiden ab und zu raus. Das nehme ich ihnen aber auch nicht übel. Ich habe ihnen vorgeschlagen, dass sie einfach ‚du‘ zu mir sagen sollen.“
Das übrige Umfeld habe ähnlich offen auf das Outing reagiert. Lena Marie erinnert sich, dass sie mit ihrem Chef etwa eine Stunde lang gesprochen habe. „Er hat es begrüßt, dass ich so offen mit der Situation umgehe und dazu stehe.“
- Der Verein „Queer Rainbow Family“ ist aus der gleichnamigen Facebook-Gruppe entstanden. Mittlerweile hat die Gruppe etwa 8.300 Mitglieder.
- Der Verein erklärt auf seiner Internetseite, mit dieser Gruppe einen „Safeplace“ für die gesamte „LGBTQ+“-Szene bieten zu wollen. Ziel soll es sein, dass sich schwule, lesbische oder bi- oder transsexuelle Menschen diskriminierungsfrei austauschen und Kontakte knüpfen können.
- Abseits der Facebook-Gruppe organisiert der Verein geschützte Treffen.
Den Arbeitsplatz hat sie behalten, genau wie den Großteil der Freunde. Zu ihnen gehörte auch Lena Maries bester Freund. Er war zu einer der wichtigsten Bezugspersonen geworden. „Ich denke, er hat geahnt, dass ich anders bin. Ihm habe ich mich anvertraut, wenn ich gegrübelt habe. Er hat mich nach dem Outing auch zur Psychologin begleitet.“
Lena Marie erlebt Anfeindungen über Facebook
Obwohl Lena Marie danach viel Positives erlebt hat, spricht sie offen über negative Erfahrungen. Es habe beispielsweise Anfeindungen über Facebook gegeben. Einiges ist ihr im Kopf geblieben: „Jemand hat mir zum Beispiel geschrieben, dass ich froh sein solle, jetzt und nicht zu Hitlers Zeiten zu leben. Denn dann wäre ich vergast worden.“
Doch Facebook - da ist sich Lena Marie sicher - habe viel dazu beigetragen, dass sie überhaupt noch lebe. „Anfang dieses Jahres habe ich über den Freitod nachgedacht, weil mich meine Vergangenheit eingeholt hat.“
Sie erzählt, dass sie bei einem Unfall ihre Eltern früh verloren habe und der beste Freund im letzten Jahr an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben sei. Geholfen haben ihr in dieser Zeit viele Mitglieder aus der Facebook-Gruppe des Vereins „Queer Rainbow Family“. „Dort habe ich viele wunderbare Seelen kennengelernt. Sie haben bei mir für unglaublich positive Gedanken gesorgt.“ Einige dieser Kontakte bestünden nicht nur digital, sondern ebenfalls im realen Leben.
Im Mai wartet die offizielle Namensänderung
Und dort möchte Lena Marie die nächsten Schritte wagen, um künftig voll und ganz als Frau leben zu können. Noch im Mai steht der Termin zur Namensänderung an. Der Geburtsname Udo Kreutzkam wird dann Vergangenheit sein. Sie sagt, dass sich ihr neuer Name aus den Vornamen ihrer Nichte und ihrer Großmutter zusammensetze. „Diese beiden Menschen stehen mir sehr nahe.“
Zudem beginnt bald eine zweijährige Therapie mit gegengeschlechtlichen Hormonen. Und erst danach werden die geschlechtsangleichenden Operationen folgen. Im Frühjahr 2024 soll es soweit sein. Lena Marie freut sich drauf, dann auch körperlich als Frau in der Dorstener Innenstadt unterwegs zu sein.
Geboren in der Stadt der tausend Feuer. Ruhrpott-Kind. Mag königsblauen Fußball. Und Tennis. Schreibt seit 2017 über Musik, Sport, Wirtschaft und Lokales. Sucht nach spannenden Geschichten. Interessiert sich für die Menschen und für das, was sie bewegt – egal in welchem Ort.