„Ich kann einfach nicht mehr. Mein Leben war größtenteils schön. Aber das ist es schon lange nicht mehr.“ Mit diesen Worten hat sich ein schwer kranker Mann aus Dorsten im Sommer 2020 an Deutschlands wohl bekanntesten Sterbearzt gewandt. Wenige Wochen später ist der 42-Jährige mithilfe des Dattelner Neurologen und Psychiaters aus dem Leben geschieden. Doch jetzt sind plötzlich Fragen aufgetaucht.
Die Staatsanwaltschaft hat den Arzt wegen Totschlags angeklagt. Am Dienstag (12.12.) musste der 81-Jährige im Essener Landgericht auf der Anklagebank Platz nehmen. Der Vorwurf: Er soll zumindest in Kauf genommen haben, dass der Dorstener die Tragweite seiner Entscheidung aufgrund einer akuten Depression nicht erfassen konnte. Was der 81-Jährige bestreitet.
Keine Anzeichen von Wahn
Über 700 Gutachten hat der ehemals leitende Oberarzt der Bochumer Uniklinik schon verfasst. Immer ging es um Menschen mit Sterbewunsch. In etwas mehr als der Hälfte der Fälle habe er anschließend auch assistiert. „Ich habe noch keine einzige Suizidhilfe geleistet, bei der ich nicht von der Freiverantwortlichkeit des Patienten überzeugt gewesen wäre“, sagte er den Richtern.
Den Dorstener hatte er im Beisein der Mutter untersucht. „Dabei gab es keinen Anhaltspunkt für einen aktuellen Wahn“, so der Dattelner. Der 42-Jährige sei gedanklich geordnet gewesen. „Ich sehe keinen Grund, die damalige Entscheidung zu revidieren.“
Drei Suizidversuche
Es war der 31. August 2020, als der Arzt eine Infusion gelegt und eine tödliche Natrium-Lösung angeschlossen hat. Das Ventil hat der Dorstener anschließend selbst geöffnet. Daraufhin war er friedlich eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.
Der 42-Jährige soll schon seit 13 Jahren an Schizophrenie gelitten haben. Außerdem hat er angeblich schon dreimal versucht, sich selbst das Leben zu nehmen. Einmal durch ein Aufschneiden der Pulsadern, einmal durch einen Stich in den Hals, einmal durch eine Überdosis Medikamente. Zweimal hat der Versuch einfach nicht funktioniert, das dritte Mal wurde er gerettet.
„Ein privater Abschied“
Eine zweite Meinung hatte der angeklagte Arzt damals nicht eingeholt – was auch gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Der 81-Jährige hält das allerdings auch nicht für erforderlich. „Das Sterben ist ein sehr bewusster und privater Abschied, den wir mit größtmöglicher Ruhe und Intimität gewähren sollten“, sagte er den Richtern.
Die Anklage stützt sich vor allem auf das Gutachten eines sehr erfahrenen und angesehen Psychiaters. Für die Richter wird der Fall trotzdem nicht leicht. Im Falle einer Verurteilung wegen Totschlags drohen dem Sterbearzt mindestens fünf Jahre Gefängnis. Urteil voraussichtlich im Januar.
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