Neue Ausstellung im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten „Werde Zweitzeug*in“

Neue Ausstellung im Jüdischen Museum: Aktiv werden und weitererzählen
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„Wer wird in Zukunft erinnern?“ Das ist eine zentrale Frage, wenn es um das Aufzeigen der unermesslichen Gräueltaten des deutschen Nazi-Regimes geht. Überlebende des Holocaust gehen seit Jahrzehnten in die Schulen und an Gedenkstätten, um aus erster Hand über das erlittene Unrecht zu berichten, um aufzurütteln, authentisch zu dokumentieren.

„Wir stehen jetzt langsam am Ende der Zeitzeugenschaft“, erinnerte am Sonntagmorgen im Jüdischen Museum zur Eröffnung der Ausstellung „Werde Zweitzeug*in“ die Leiterin Dr. Kathrin Pieren. Die meisten Zeitzeugen sind verstorben, andere können aufgrund des hohen Alters oder Krankheit das Pensum an Reisen und Reden nicht mehr leisten.

„Dann bleiben nur noch Filme, Fotos, Bücher und Briefe.“ Aber gerade die persönliche Erzählung war immer ein eindrucksvoller Baustein, um das Hinterfragen von Stereotypen anzuregen, der antidemokratischen Entwicklung etwas entgegenzusetzen, gruppenbezogene Feindlichkeit und geschlossene Weltbilder aufzubrechen.

Traumata der Menschen

Der Verein „Zweitzeugen e.V.“, hervorgegangen aus dem studentischen Projekt „Heimatsucher“, setzt genau dort an. „Jeder, der heute einem Zeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge sein“, gemäß dem Zitat von Elie Wiesel.

„Zu Beginn wollten wir einfach die Lebensgeschichten von Überlebenden aufzeichnen“, sagt Sarah Hüttenberend. Die geschäftsführende Vorsitzende des Vereins erinnert sich daran, dass in ihrer Schulzeit im Geschichtsunterricht mit 1945 das Thema als abgeschlossen behandelt wurde.

Das Unrecht, die Nazis, der Krieg, alles wurde genannt. Aber was ist mit den Traumata der Menschen, die Ausgrenzung, Flucht oder Konzentrationslager überlebt hatten? Die Studentin für Design fand schnell Mitstreiterinnen und so wurden vom gegründeten Verein bisher 37 (Über) -Lebensgeschichten zusammengetragen.

Sarah Hüttenberend vom Verein „Zweitzeugen" führte am Sonntag durch die Ausstellung im Jüdischen Museum.
Sarah Hüttenberend vom Verein „Zweitzeugen" führte am Sonntag durch die Ausstellung im Jüdischen Museum. © Barbara Seppi

Ausstellung „Werde Zweitzeug*in“

Die auf Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren neu konzipierte Ausstellung „Werde Zweitzeug*in“ geht noch einmal intensiver auf das Leben von Henny Brenner, Wolfgang Lauinger, Chava Wolf und Leon Weintraub ein, erzeugt durch neue didaktische Methoden viel Nähe zu den Menschen. Im Kern werden Kindheit, Zeit der Verfolgung und die Zeit danach thematisiert. Mit bedruckten Würfeln lassen sich Lebensereignisse in einen Zeitstrahl einfügen.

Drei Gemälde von Chava Wolf und der Kauf einer Puppe als über 70-Jährige zeigen die Sehnsucht nach den Kinderjahren, „die Zeit hat mir meine Kindheit geraubt“.

Mit Wolfgang Lauinger erfährt der Besucher, wie ein jüdischer Verfolgter in der jungen Bundesrepublik aufgrund von einfach weiter bestehenden Paragrafen als Homosexueller zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Es war 1945 nicht einfach alles vorbei. Die individuellen Schicksale machen Geschichte greifbar.

Am Ende der Ausstellung steht die Frage, „Was heißt es Zweitzeug*in“ zu sein? Gegen eine Idee oder einen Kommentar auf einem Notizzettel kann sich jeder Besucher ein dunkelblaues Armband mitnehmen. Er oder sie ist praktisch bereits ein „Zweitzeuge“.

Amina, Kathi und Luisa waren am Sonntag stellvertretend für ihre Klasse bei der Eröffnung dabei.
Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse HHU1 des Paul-Spiege-Berufkollegs in Dorsten haben die Lebensgeschichte von Schwester Johanna für die Ausstellung "Werde Zweitzeug*in" erarbeitet und dargestellt. Amina, Kathi und Luisa (v.l.) waren am Sonntag stellvertretend für ihre Klasse bei der Eröffnung dabei. © Barbara Seppi

2.200 Jugendliche erreicht

„Wir haben bisher 2.2000 Jugendliche in unseren Workshops erreicht“, berichteten die Mitarbeiterinnen von „Zweitzeugen e.V.“, und auch in Dorsten war es dank Sponsoren möglich, eine solche Projektarbeit durchzuführen. In fünf Wochen haben sich die 22 Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse HHU1 des Paul-Spiegel-Berufskollegs dem Leben von Schwester Johanna gewidmet.

Zitate oder signifikante Sätze hängen in großen Sprechblasen als Mobile, in einer Sprayaktion wurden diese auch auf dem Schulhof des Kollegs angebracht. An der Wand hängen Notizen von Schwester Johanna neben eigenen Betrachtungen und Parallelen zur eigenen Situation der Schülerinnen und Schüler.

„Zwischen den Stühlen“, wann und wo sich jemand verloren fühlt oder gefühlt hat kann mit einem geklebten Punkt auf einer Tafel festgehalten werden. Bei der Heimat, im Glauben oder in der Familie? Der Besucher wird aktiv,

Im  Bild: Dr. Kathrin Pieren, Leiterin des Jüdischen Museums Westfalen, Sarah Hüttenberend und Lena Hartmann vom Verein Zweitzeugen e.V.
Am Ende der Ausstellung sind die Besucherinnen und Besucher aufgefordert, selber aktiv zu werden. Gegen eine Idee des Zeugnisses dürfen Armbänder mitgenommen werden. Im Foto (v.l.): Dr. Kathrin Pieren, Leiterin des Jüdischen Museums Westfalen, Sarah Hüttenberend und Lena Hartmann vom Verein Zweitzeugen. © Barbara Seppi

Schwester Johanna mit ihren Fragen wird lebendig. Amina, Luisa und Kathi aus der elften Klasse erzählten am Sonntag stellvertretend für ihre Klasse, wie das Beschäftigen mit der Lebensgeschichte von Ruth Eichmann ihnen Nähe gebracht hätte.

„Wir kannten uns vorher nicht, es war direkt nach den Ferien beim Beginn des neuen Studiengangs“. „Es ist eine Arbeit mit schweren Themen, aber es entwickelt sich immer hoffnungsvoll“, sagte Hüttenberend. Die drei Schülerinnen beantworteten bei der Ausstellungseröffnung Fragen aus dem Publikum.

Auf die Frage, wie viele in der Klasse denn einen Migrationshintergrund hätten gab es keine eindeutige Antwort, die drei mussten erst mal überlegen. Dieses Thema scheint bei diesen Jugendlichen gar kein Thema mehr zu sein.

Die Ausstellung „Werde Zweitzeug*in“ kann bis zum 17. Dezember im Jüdischen Museum besichtigt werden. Zahlreiche Schulklassen haben sich bereits angemeldet. Kontakt: info@jmw-dorsten.de, Tel. (02362) 45279, Pädagogische Angebote unter lernen@jmw-dorsten.de

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