
© Guido Bludau
Altstadt verliert ihre Agatha-Schule - aber die Erinnerungen bleiben
Dorstener Geschichte
Generationen Dorstener Kinder haben sie besucht: die St.-Agatha-Schule. Bald wird das meistbesuchte Dorstener Schulgebäude abgerissen. Es ist Zeit für Erinnerungen.
Ungezählte Kinderfüße haben die Stufen im alten Schulgebäude der St.-Agatha-Schule am Voßkamp 7 ausgetreten. Seit 1895 rannten Generationen von Kindern treppauf und treppab. Das hat sichtbare Spuren hinterlassen. Das Schulgebäude ist marode. Nach der Umsiedlung der Schulgemeinde vom Voßkamp an den Nonnenkamp findet der Abbruch des Altbaus bald statt.
Erinnerungen an die Agathaschule
Ehemalige Schüler oder Schülerinnen der Agatha-Schule in der Altstadt sowie Lehrer laden wir hiermit herzlich dazu ein, uns an ihren Erinnerungen teilhaben zu lassen. Sie können sie uns schriftlich - per E-Mail an redaktion@dorstenerzeitung.de - oder als Brief (für ältere Jahrgänge) an Dorstener Zeitung, Südwall 27, 46282 Dorsten, schicken. Auch altes Fotomaterial ist willkommen. Wir sammeln die Beiträge und würden sie zusammengefasst in einer unserer Feiertagsausgaben zwischen den Jahren veröffentlichen.Mit dem Abriss des Schulgebäudes verliert die Dorstener Altstadt ein zentrales Gebäude. Generationen von Dorstenern haben es besucht, haben gemeinsam gelernt, gelacht, gespielt, gelitten und gestritten. Angehörige der weit verzweigten Schulgemeinde erinnern sich - mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Eine Schule ist auch immer das Zentrum vieler Aktivitäten einer Gesellschaft. Es ist schade, dass die Dorstener Altstadt ihren Mittelpunkt verliert“, sagt Herbert Rentmeister.

Schwelgen in Erinnerungen an alte Zeiten in der alten Agatha-Schule in der Altstadt am Voßkamp 7: Herbert Rentmeister, amtierender Schulleiter, sowie ehemalige Kolleginnen, Wegbegleiterinnen und Mentorinnen, Ingrid Winkel und Maria Hoffs. © Claudia Engel
Rentmeister hat die Agatha-Schule als Schulkind besucht und ist heute ihr Rektor. Zusammen mit Mentorin und Lehrerin Ingrid Winkel sowie der Schulchronistin Maria Hoffs verwebt er im Gespräch die Historie mit Lebensgeschichten. Auch Ingrid Winkel hat als Schülerin die Agatha-Schule von innen kennengelernt. Mehr als 30 Jahre ihres Lebens sind mit diesem Schulgebäude eng verknüpft: 1971 trat sie als Lehrerin ihren Dienst in der Agatha-Schule an. Maria Hoffs vervollständigt das Trio. Die ehemalige Lehrerin hat bis 2002 akribisch das von Beginn der Schule an geführte Schularchiv betreut und war bis 2019 im Schuldienst.
Prominente Absolventen hat es an der Agatha-Schule gegeben, Schlitzohren und Spitzbuben, Überflieger und Tiefausläufer. Cornelia Funke, weltberühmte Buchautorin, hat in der Agatha-Schule die Schulbank gedrückt. Daneben zahlreiche Sprösslinge des bürgerlichen Altstadt-Milieus. „Wenn man offenen Auges an den Traditionsgeschäften in der Innenstadt vorbeigeht, begegnet man den Namen“, sagt Herbert Rentmeister.

Maria Hoffs, Ingrid Winkel und Herbert Rentmeister unter dem Dorstener Stadtwappen, das jahrzehntelang am Voßkamp das Schulgebäude schmückte und jetzt im Forum der neuen Agatha-Schule am Voßkamp einen Platz gefunden hat. © Claudia Engel
Das Drücken der Schulbank dürfte aus Nachkriegszeiten stammen. Weil es Massen von Kindern gab, aber nur wenig Platz, mussten die Kinderhorden eng zusammenrücken: „Ohne die zahllosen Sitzreihen, die mit Pulten und Bänken verschraubt waren, hätten die vielen Kinder der geburtenstarken Jahrgänge gar keinen Platz in den kleinen Klassenräumen gehabt“, sagt Rentmeister. Auch er gehört zu den Vertretern der Baby-Boomer-Jahre und erinnert sich an krasse Situationen, die heute zu ernsthaften und empörten Elternaufständen führen würden.
Antreten in Zweierreihen auf dem dunklen Aula-Linoleum
„Antreten in Zweierreihen auf dem dunklen Linoleum in der Aula unterm Dach zum Impfen gegen Kinderlähmung und Diphtherie“, sagt Rentmeister. Mit heruntergelassener Hose den Stempel auf dem Po ertragen - diese Bilder haben sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. „Niemand hat etwas gegen diese Impfpflicht gesagt.“ Reihenweise seien Kinder aus Vorgängerklassen an diesen schlimmen Kinderkrankheiten gestorben - Widerspruch gab es nicht.
Das kleine Einmaleins und das ABC wurde den Dorstener Kindern der Altstadt, der Feldmark und der Hardt in vergleichsweise kleinen Klassenräumen vermittelt. Nach dem Krieg war das Schulgebäude am Voßkamp die einzige Schule mit vier Klassenräumen. „Hier wurden die Schüler der Volksschule von den Klassen 1 bis 8 und der beiden Gymnasien im Schichtdienst und montags bis samstags unterrichtet.“ Schichtdienst hatten die Lehrer zudem in den 1970er-Jahren: „Es herrschte Lehrermangel und wir mussten nacheinander zwei Klassen eines Jahrgangs unterrichten“, sagt Ingrid Winkel. Für sie war dieser Mangel ein Glücksfall: „So hatte ich nach meiner Heirat kein Problem, in Dorsten als Lehrerin arbeiten zu können.“

Die enge Bindung der Schüler an die Agathaschule zeigt dieses Bild von einem Klassentreffen im Jahr 2019. Schüler versammelten sich 65 Jahre nach ihrer Einschulung unter dem Schulemblem zum Foto. © privat
Die enge Verbundenheit hat sie lange Jahre in sich getragen. Den Abriss des Schulgebäudes am Voßkamp betrachtet Ingrid Winkel pragmatisch: „Die Zeiten und die Anforderungen an den Schulbetrieb haben sich geändert“, sagt sie. Offen begegnet sie deshalb dem Alternativ-Gebäude für die Grundschule am Nonnenkamp. Zahlreiche Erinnerungen hat Herbert Rentmeister, der auch Hüter der Schultradition ist, zum Nonnenkamp hinübergerettet.
Altes Stadtwappen von Dorsten schmückt neues Forum
Zum Beispiel das alte Stadtwappen, das jetzt das Forum im neuen Schulgebäude schmückt. Oder einen Kochtopf von anno tuck, den er auf dem Dachboden der alten Agatha-Schule aufgestöbert hat. Nicht retten konnte er trotz aller Mühen die alte Mauer am Schulgebäude - „hier haben zahllose Kinder Hüpfen, Springen, Balancieren gelernt“ - und das Original-Relief der Namenspatronin der Schule, das zurzeit noch die Wand der Schule am Voßkamp prägt.

Ansichtssache: Das Relief der Schutzpatronin der Schule, die hl. Agatha, die vom Künstler Hermann Moog als selbstbewusste, aufrechte Frauenfigur dargestellt worden ist, kann so nicht über die Zeit gerettet werden. Aber es gibt eine Lösung. © Claudia Engel
Entworfen hat es der Künstler Hermann Moog. Zusammen mit der Nachlassverwalterin des Kunstschaffenden, Almuth Moog (Berlin), hat er aber eine Lösung gefunden, das Andenken über die Zeit zu retten und in eine zeitgemäße Form zu bringen. Allein, es fehlt noch ein Sponsor, der dieses hehre Ziel unterstützt. „Hermann Moog hat die heilige Agatha nicht als biblische Märtyrerin, die sie war, dargestellt, sondern das Antlitz einer selbstbewussten, gestandenen Frau geschaffen. Das war eine deutliche Antwort auf das Frauenbild, das die Nationalsozialisten gehegt haben“, sagt Rentmeister.
Dass diese zeitlose Agatha nun am Nonnenkamp einen Platz findet, dürften alle begrüßen, deren Biografien mit dem Altstadtgebäude verknüpft sind. Es ist Zeit, die Erinnerungen zu pflegen.
Seit 20 Jahren als Lokalredakteurin in Dorsten tätig. Immer ein offenes Ohr für die Menschen in dieser Stadt, die nicht meine Geburtsstadt ist. Das ist Essen. Ehefrau, dreifache Mutter, zweifache Oma. Konfliktfähig und meinungsfreudig. Wichtige Kriterien für meine Arbeit als Lokalreporterin. Das kommt nicht immer gut an. Muss es auch nicht. Die Leser und ihre Anliegen sind mir wichtig.
