
Auf Initiative von Lilian Magdanz (18) kommt der Holocaust-Überlebende Sami Steigmann (auf dem Plakat zu sehen) aus New York zu Zeitzeugen-Gesprächen nach Dorsten und Umgebung. © Michael Klein
Dank Spendenaktion: Lilian Magdanz lädt Holocaust-Überlebenden aus New York ein
Jüdisches Museum
Lilian Magdanz interviewte für ein Referat einen jüdischen Shoa-Überlebenden. Dann startete sie eine Spendenaktion. Mit dem Erlös lädt sie ihn nun zu Vorträgen in Schermbeck und Dorsten ein. Das Gespräch in Dorsten muss verschoben werden.
Update 23.8.: Ein Unwetter verhinderte den Flug des Holocaust-Überlebenden Sami Steigmann nach Deutschland. Sein Besuch, der eigentlich für den 23. August geplant im Jüdischen Museum geplant war, findet nun am 30. August ab 19 Uhr statt.
Ursprungstext: Kaum jemand, der den Holocaust überlebt hat, kann heute noch persönlich über die damaligen NS-Gräueltaten berichten. Denn fast 80 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager sind die meisten Opfer und Zeitzeugen zu alt oder schon verstorben. „Wir heutigen Jugendlichen und Kinder können deshalb bald nur noch in den Geschichtsbüchern darüber lesen oder Videos ansehen, um von den Verbrechen an den Juden zu erfahren“, sagt Lilian Magdanz.
Und deshalb ist die 18-jähige Schülerin aus Kirchhellen, die in diesem Jahr an der Gladbecker Waldorfschule ihr Abitur gemacht hat, froh und glücklich darüber, Sami Steigmann kennengelernt zu haben. Der 83-jährige jüdische US-Amerikaner wurde 1939 in Czernowitz, in der heutigen Ukraine, geboren. Anderthalb Jahre war Sami alt, da wurde er mit seinen Eltern ins NS-Arbeitslager Mohyliw-Podilskyj verschleppt.
Sami Steigmann hat im fortgeschrittenen Alter sein Leben der Aufgabe gewidmet, vor allem jungen Menschen von seinen Erlebnissen zu berichten. Auf Einladung von Lilian Magdanz wird der mehrfach für sein Lebenswerk geehrte New Yorker deshalb Ende August für zwei Wochen zu Schulbesuchen nach Nordrhein-Westfalen kommen.
Öffentliches Gespräch
Unter anderem wird er in der Schermbecker Gesamtschule zu Gast sein. Auch ein öffentliches Zeitzeugengespräch im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten, das ihr als Kooperationspartner zur Seite steht, wird am 23. August um 19 Uhr unter Schirmherrschaft von Bürgermeister Tobias Stockhoff auf dem Terminkalender stehen.
Lilian Magdanz, die vielfältige familiäre Bindungen nach Dorsten und Schermbeck hat, hatte sich ursprünglich für ein Referat in ihrem Abitur-Geschichtskurs mit dem Holocaust beschäftigt. „Ich wollte es nicht wie ein gewöhnliches Schulthema abhandeln“, sagt sie. „Ich hatte bereits am Anfang gemerkt, dass neben der wissenschaftlich und geschichtlich fundierten Komponente vor allem Emotionen eine entscheidende Rolle spielen.“ Deshalb sei es ihr sehr wichtig gewesen, einen Holocaust-Überlebenden zu finden, der ihr im besten Fall sogar ein Interview geben könnte.

Sami Steigmann während eines Schulbesuchs © Privat
Über den Schermbecker Pastor Wolfgang Bornebusch ist sie auf einen New Yorker Professor gestoßen, der ihr schließlich den Kontakt von Sami Steigmann weitergeleitet hat. „Er war sofort zu einem Online-Interview bereit“, sagt sie. „Das lange Gespräch mit Sami Steigmann werde ich nie vergessen. Es hat mich - obwohl wir uns nicht persönlich getroffen haben - bewegt und mich verändert.“
Besonders faszinierend für sie war war, dass Sami Steigmann - er arbeitet auch als „Motivational Speaker“ - eine sehr aktuelle Sicht auf die Verarbeitung der Vergangenheit hat. „Sein Blick auf derzeitige Themen der Weltpolitik und die Verbindungen, die er zur Vergangenheit zieht, machen einem die heutige Wichtigkeit des Themas besonders bewusst“, betont Lilian Magdanz.
Crowdfunding-Kampagne
Gemeinsam schmiedeten die beiden den Plan, dass der 83-Jährige nach Deutschland kommt, um aus seinem Leben zu erzählen. „Das war erstmal eine verrückte Idee, aber ich habe dann sofort im Internet eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, damit wir Samis Reise nach Deutschland finanzieren können“, so die Waldorf-Absolventin.
„Tatsächlich waren unglaublich viele Menschen sehr schnell bereit, etwas zu spenden und haben das Projekt unterstützt.“ Innerhalb von einer Woche kamen die 1.000 Euro für seinen Flug zusammen, Unterkunft und Verpflegung erhält der Gast im Elternhaus von Lillian Magdanz.
Da Sami Steigmann seine bewegende Lebensgeschichte im Jüdischen Museum erzählen wird, will seine Gastgeberin biografisch nichts vorwegnehmen. Nur so viel: Die Nazis machten medizinische Experimente an ihm. Schon im Lager litt er unter schweren Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen. Die Folgen machen ihm bis heute zu schaffen.
Schließlich rettete ihm ausgerechnet eine deutsche Frau das Leben: Sie lebte auf einem Bauernhof in der Nähe und brachte Essen zu den ukrainischen und zu den SS-Wachen. Als sie das verhungernde Kind sah, gab sie ihm heimlich Milch. „Deshalb spielt auch das Thema Vergebung eine große Rolle in seiner Geschichte“, sagt die 18-Jährige.

Sami Steigmann als Baby mit seinen Eltern. In seiner frühen Kindheit wurden an ihm in einem NS-Arbeitslager jahrelang medizinische Versuche durchgeführt, an deren Folgen er noch heute leidet. © Privat
Lilian Magdanz habe nach eigenen Angaben bei einem Besuch im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau festgestellt, dass manchen Jugendlichen das Bewusstsein fehle, warum man sich an dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnern müsse. „Deswegen sollten wir zukunftsgewandter auf die Geschichte blicken. Wenn wir die Vergangenheit auf heute beziehen und dann sehen, was wir tun können, um jeglichen antisemitischen und rassistischen Tendenzen entgegenzutreten, dann wird das Thema greifbarer für Jugendliche.“
Sie hofft, dass möglichst viele Menschen die seltene Chance nutzen werden, bei dem Erinnerungsgespräch im Jüdischen Museum die bewegende Biografie eines Shoa-Überlebenden zu erleben, der schon vor insgesamt mehr als 150.000 Zuhörern aus einem Leben erzählt hat. Und das vor Jahren auch schon mal in Deutschland.
„Nicht in die Fußstapfen treten“
„In Deutschland ist es mir wichtig, den Menschen zu sagen, dass sie nicht verantwortlich sind für das, was ihre Großeltern getan haben. Sie sollen aber nur ja nicht in ihre Fußstapfen treten“, erklärte Sami Steigmann unlängst in einem Interview mit der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“.
Der Eintritt zu dem Gesprächsabend ist frei, vorherige Anmeldung beim Jüdischen Museum wegen der eingeschränkten Platzzahl (50) unter Tel. (02362) 45279 oder E-Mail: rezeption@jmw-dorsten.de ist erforderlich.
Geboren 1961 in Dorsten. Hier auch aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach erfolgreich abgebrochenem Studium in Münster und Marburg und lang-jährigem Aufenthalt in der Wahlheimat Bochum nach Dorsten zurückgekehrt. Jazz-Fan mit großem Interesse an kulturellen Themen und an der Stadtentwicklung Dorstens.
