Es riecht angenehm nach frischem Holz in der Tischlerei Segin an der Stahlbaustraße in Merklinde. Noch. Ein halbfertiger Schrank steht zwischen der Werkbank und den Maschinen. „Das ist mein letzter“, sagt Hubertus Segin. Denn Ende Juli ist hier Schluss.
Einen Raum weiter im kleinen Büro der Tischlerei nehmen Hubertus Segin und seine Frau Catrin hinter einem großen Schreibtisch Platz. Auch dieses Möbelstück ist Teil der Geschichte des Tischlers. Es ist sein Meisterstück, mit dem er vor vielen Jahren die Prüfung bestand. „Ich bin Obercastroper Urgestein, seit 44 Jahren Tischler, seit fast 32 Jahren selbstständig und davon die letzten 23 Jahre hier am Standort“, sagt der inzwischen 59-Jährige: „Der Beruf ist einfach nur total genial. Es ist nicht nur das Handwerk, sondern es sind die vielen Menschen, die man glücklich machen kann.“
Es war kein Verlass mehr
25 Jahre lang arbeitete er mit seiner Tischlerei für RWE, machte aber auch „Trockenbau und größere Sachen“. In den vergangenen Jahren kamen sehr viele energetische Sanierungsmaßnahmen wie Fenster oder Haustüren hinzu, während Corona auch viele Schutzwände. „Ungefähr 30 Prozent waren Möbel und Einzelanfertigungen für Privatkundschaft“, sagt Hubertus Segin. Das habe besonders Spaß gemacht.
Hubertus Segin liebt seinen Beruf – und trotzdem gibt er seine Tischlerei bald auf und zieht mit seiner Frau Catrin in deren Heimat. Das Gebäude ist schon an einen Reifenhändler verkauft, die Maschinen anderweitig. „Ich würde es wahnsinnig gerne weitermachen, aber neben weiteren Gründen ist das Hauptproblem einfach die Mitarbeiter-Situation“, sagt er ehrlich und ohne Bitterkeit: „Da war wirklich niemand mehr dabei, auf den man sich verlassen konnte und der auch in der Lage war, das womöglich auch weiterzuführen.“

Fünf Jahre lang habe er alles versucht, um genau das zu ändern; habe Gesellen angestellt und Azubis. Er habe sich Ruhe und Zeit genommen, den Leuten das beizubringen, was Tischler eben können müssen. „Aber sie haben einfach keine Standfestigkeit mehr“, sagt er. „Sobald man irgendwie kritisch wird oder irgendetwas zum zweiten Mal gemacht werden muss, dann bricht immer alles zusammen.“ Letztendlich habe er dann immer alleine vor den Problemen gestanden. Und wenn das Problem eine „bleischwere“ Tür ist, dann sei es auch kaum zu lösen: „Stellen sie sich vor, sie müssen Fenster und Türen einbauen und morgens meldet sich der einzige Mitarbeiter mal wieder krank. Da geraten dann alle Termine durcheinander.“
Mit diesem Problem stehe der Tischler nicht alleine da: „Also wenn ich mich heute mit einem 25-Jährigen unterhalte, dann sagt der: ‚Ach du, die 19-Jährigen, die gehen mir so auf die Nerven.‘“ In Abschnitten von fünf Jahren merke man, wie sich die Bereitschaft völlig verändere. Doch was ist mit erfahrenen Fachkräften? „Also an die älteren Tischler, da kommt man eigentlich kaum ran, weil die seit vielen Jahren irgendwo in Festanstellung sind“, erklärt Hubertus Segin: „Die kriegen einen Euro mehr in der Stunde und dadurch sind die gebunden. Das hat Tradition in den Betrieben.“ Ein weiteres Problem: Aus genau dieser Generation gehe gerade wieder ein Großteil in den Ruhestand. Das hinterlasse in den Betrieben Lücken, die kaum zu füllen sind.
Probleme auch in der Gastro
Auch seine Frau Catrin kennt das Problem der fehlenden Fachkräfte. Sie kommt aus der Gastronomie und führte jahrelang ein Restaurant mit zwölf Mitarbeitenden in Kiel. „Das Konzept Gastronomie, das ist einfach ganz schwer zu rechnen. Da mit Gewinn rauszugehen und trotzdem gute Qualität anzubieten und die Leute ordentlich zu bezahlen, das ist echt schwer“, sagt sie. Nach dem Umzug nach Castrop-Rauxel eröffnete die 54-Jährige eine Catering-Firma. Doch aufgrund ihrer Erfahrung stellte sie „Cati kocht“ bewusst so auf, dass alles von ihr alleine zu bewältigen war. „Ich war also nicht abhängig von Mitarbeitern.“ Mit dem Umzug in die Heimat schließt neben der Tischlerei auch der Catering-Service.
Hubertus Segin hat in den letzten zwei Jahren schon angefangen, das Tischlerei-Unternehmen langsam herunterzufahren und „wirklich alles alleine hergestellt, alleine getragen, alleine montiert“. Nun sagt er: „Das möchte ich so in der Form nicht mehr leisten.“ Auch, weil er es auch anders kennt: „Bis vor fünf Jahren waren wir immer zu dritt, manchmal zu viert.“ Damals habe er nur am Wochenende alleine gearbeitet. Entweder er machte Termine bei Kunden oder nahm sich in der Werkstatt Zeit für Feinarbeiten, die seine ungeteilte Aufmerksamkeit erforderten. Bei 40 Wochenstunden blieb es zwar nie, doch das war durchaus okay so. Er hatte genug Ablenkung neben- und Spaß an der Arbeit selbst.
Arbeitsweise stirbt aus
Das lag auch daran, dass es an seinem Arbeitsplatz viel Abwechslung gab: „Das ist die klassische Form einer Tischlerei, wie es sie vor 100 Jahren auch schon gab“, sagt Hubertus Segin. Was er damit meint? „Wir waren breit aufgestellt: Da kommt eine Oma rein, die möchte einen Rollladen gewechselt haben, der Nächste will einen Stuhl verleimen. Dann kommt einer, der will eine Holzwand, der Nächste ein Carport, dann will einer einen Schrank. Und wir haben alles gemacht.“

Genau diese Tischlereien sterben aber gerade aus. Die neue Art sei eine ganz andere. „Entweder ganz groß oder ganz klein. Dazwischen gibt es nichts mehr“, sagt der Tischler: „Die einen, die ganz kleinen, die sagen, ich fahre in den Baumarkt, kaufe einen Satz Dachlatten, fahre zum Kunden und schraube dem was an die Decke.“ Die Möglichkeit, selbst etwas in der Werkstatt herzustellen, gebe es dann kaum noch.
Und die anderen, die großen Tischlereien? „Die kaufen sich eine CNC-Maschine für 300.000 Euro, wo das komplette Auftragsgeschehen dann nur noch um diese Maschine geht.“ Wenn dann aber ein Kunde hereinkomme und etwas anderes wolle, sei das nicht so einfach.
In der neuen Heimat will Hubertus Segin in Zukunft auch weiter in einer kleinen Werkstatt mit Holz arbeiten – erstmal nur für sich. Wenn er dann doch mal den Kundenkontakt vermisse, könne er ja immer noch neu starten.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 6. Juli 2024.
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