Die Bauchtanzgruppe „Indie Cats“ aus Waltrop und Datteln sorgte mit ihrem „Oriental Fantasy Dance“ am Samstagabend für den ersten Lichtblick am Alten Schiffshebewerk Henrichenburg. Dort traf sich an diesem Wochenende zum vierten Mal die Steampunk-Szene, um den Geburtstag des historischen Schiffsfahrstuhls am Dortmund-Ems-Kanal zu feiern. Am 11. August 1899 hatte Kaiser Wilhelm II. das technische Wunderwerk in Waltrop bekanntlich eingeweiht. Und die Steampunker – angereist aus allen Teilen der Republik und den nahen Benelux-Staaten – übernahmen mit ihren aufwändig gestalteten, viktorianisch-wilhelminisch inspirierten Gewändern erneut die Regie bei dieser Reise durch die Zeit.

„Wir haben schon befürchtet, dass wir hier absaufen wie die Heavy-Metal-Fans zuletzt beim Wacken-Festival“, meinte Dr. Arnulf Siebeneicker, Leiter des LWL-Industriemuseums, am Samstagnachmittag. Nach wiederholten Starkregen-Schauern hatten viele Besucherinnen und Besucher bereits den Heimweg angetreten, als gegen 16.30 Uhr endlich der Himmel über dem Ostvest aufriss und die Sonne hervorkam. Verständlicherweise fanden dann vorwiegend nur noch Zaungäste aus Waltrop und den benachbarten Städten Datteln, Castrop-Rauxel und Oer-Erkenschwick den Weg zum Museumsgelände, um das bunte Treiben dort zu bestaunen.

Für den ersten Hingucker sorgte die Bauchtanzgruppe „Indie Cats“: Julia Bauer (38), ihre Tochter Maja Sophie, Melanie Heiber (52), Mira-Malin Scholz (27) aus Waltrop sowie Stefanie Mogge (41) aus Datteln entführten die Zuschauer mit Schleiern, Fächern und einem Säbeltanz in die Welt des Orients. „Wir haben uns Anfang des Jahres selbstständig gemacht“, erklärte Chefin und Dozentin Julia Bauer, „und feiern unsere Premiere hier beim Steampunk.“ Melanie Heiber, im normalen Leben auch als sachkundige Bürgerin für die Waltroper FDP im Einsatz, ließ bei ihrem Solo einen Säbel auf dem Kopf schweben. Und die erst 12-jährige Maja Sophie Bauer verzauberte das Publikum mit ihren goldenen „Isis Swings“.

Als Festival-Organisatorin Sybille Nix die Mitstreiter anschließend zum obligatorischen Gruppenfoto ins Amphitheater am Oberwasser rief, ist das ganze Spektrum der Szene zu bewundern: Die „Apocalyptic Marauders“ sind Zeitreisende aus der Endzeit, die mit ihrer „Höllenmaschine“ die Blicke auf sich ziehen, „Lost Outpost“ aus dem Rheinland gehen mit Tropenhelm auf Großwildjagd in Afrika, auf dem bayrischen Bayreuth kommt „Lichtfieber“ mit ihrer Steampunk-Rakete, eine hochherrschaftliche Gesellschaft fährt im altehrwürdigen Ford (Modell A) vor, aus Hattingen stammen Nero und Rotanes, die lustigen „Ruhrpott-Fluffies“ und schließlich sorgt der ganz in schwarz gehüllte „Pest-Mann“ mit seiner Hexe für Schaudern. All diese Charaktere und viele mehr wollen natürlich bewundert und fotografiert werden.
„Ravenchild“ zeigt spektakuläre Feuershow
Zum Abend ging es noch einmal artistisch zu, als die Gruppe „Ravenchild“ ihre spektakuläre Feuershow zelebrierte. Aber nicht nur mit Flammen konnte das Team aus dem brandenburgischen Cottbus meisterlich umgehen, nein – sie stellten auch klassische Gemälde alter Meister im Steampunk-Gewand nach. Der Ausstellungsbereich Fotografie am Unterwasser zählte in diesem Jahr zu den Höhepunktendes Festivals, denn dort konnten sich die Gäste im historischen Kollodium-Nassplatten-Verfahren ablichten lassen und dem Fotografen bei der Arbeit über die Schulter schauen.
Linedance lernen mit den „tanzenden Schotten“
Am Sonntag (13.8.) stimmt das Wetter dann perfekt: Nicht so brütend heiß wie im letzten Jahr, aber auch nicht so nass wie tags zuvor. Tausende Menschen strömen auf das Museumsgelände, die Parkplätze sind schon am Mittag ausgebucht. „Einfach Wahnsinn“, schwärmt Organisatorin Sybille Nix. Kinder drehen mit „Foster Stoom“ eine Runde auf dem Dampftraktor, die Steampunk-Folk-Band „Jezibaba“ sowie die Weltenwanderer Lennie Wolf und Michael Völkel sorgen musikalisch für Stimmung, während die „tanzenden Schotten“ zum Linedance aufrufen. Und die zahlreichen Zuschauer feiern natürlich ausgelassen mit!
- Steampunk gibt es bereits seit den 1980er-Jahren. Es ist eine Subkultur, in der moderne Technik mit Elementen des viktorianisch-wilhelminischen Zeitalters verknüpft werden. Aspekte wie Recycling und Upcycling sind dabei wichtig; Höflichkeit und gute Umgangsformen sind ebenfalls gerne gesehen.
- Die Bewegung ist von Science-Fiction Autoren wie H.G. Wells und Jules Verne inspiriert und zeigt mithilfe von meist selbstgefertigten Kleidern, Accessoires und Geräten, wie sich die Menschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Zukunft, also unsere Gegenwart, vorgestellt haben könnten.
- Allein in Europa gibt es einige tausend aktive Steampunks, die sich regelmäßig auf Festivals treffen und miteinander austauschen.
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