Unterrichtsausfall, zu wenige Lehrer und Lehrerinnen – wer Kinder an einer Schule hat, kennt das Problem. Umfangreiche Daten der NRW-Landesregierung zeigen, wie es auf dem Stellenmarkt an den Schulen im Land aussieht. Auch für Castrop-Rauxels insgesamt 19 Schulen gibt es Daten.
Die detaillierte Auswertung dieser Redaktion weist eklatante Unterschiede auf. Mit 77,5 Prozent (Stand 19. Oktober) ist die Personalausstattungsquote an der Wilhelmschule am schlechtesten, mit 137,6 Prozent an der Lindenschule am besten. Die Realität ist aber offenbar eine andere. Und das an beiden Schulen.
Die schwarz-grüne NRW-Landesregierung hat die landesweiten Zahlen auf eine Anfrage der SPD mitgeteilt. Ergänzend haben Landtagsabgeordnete, unter ihnen auch die Castrop-Rauxelerin Lisa Kapteinat, nach der Situation im Kreis Recklinghausen gefragt. Demnach haben die Schulen in Castrop-Rauxel einen Gesamtbedarf von 667,38 Stellen. Besetzt sind davon 641,9. Damit fehlen insgesamt 25,48 Stellen.
Kritik an Landesregierung
Hintergrund der Anfrage ist der teils eklatante Lehrerinnen- und Lehrermangel an den Schulen in Nordrhein-Westfalen. Die SPD kritisiert hier: „Die neue Landesregierung wirbt in ihrem gemeinsamen Koalitionsvertrag damit, 10.000 zusätzliche Lehrkräfte in das System Schule zu bringen, dabei sind immer noch rund 7000 Lehrkräftestellen unbesetzt. Die Landesregierung schafft zusätzliche Lehrkräftestellen im Wissen, dass diese Lehrkräfte zur Zeit gar nicht auf dem Markt sind.“
Zudem entspreche die Stellenbesetzungsquote nicht der realen Personalausstattungsquote an den Schulen, so die Kritik der SPD. Sabbatjahr, Elternzeit, Krankheit, unbezahlte Freistellung, Fachleitertätigkeit würden dazu führen, dass Personalstellen nicht besetzt seien. Darauf weist auch Schulministerin Dorothee Feller in ihrer Antwort hin.

Das zeigt sich auch an den Schulen in Castrop-Rauxel. Zwei Schulleiterinnen, deren Schulen jeweils am Ende der Skala stehen, beurteilen die Situation sehr überraschend. Isabell Schütz leitet die Lindenschule in Frohlinde mit 200 Schülern. 9,2 Stellen ist der Gesamtbedarf, 12,7 die Ausstattung, macht mit 137,6 Prozent die beste Quote in Castrop-Rauxel.
Zwischen Theorie und Praxis
In den Zahlen sei ein Fehler gewesen, der inzwischen korrigiert sei, erklärt Isabell Schütz im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch davon abgesehen: „Auf dem Papier sind wir bombastisch gut ausgestattet“, sagt die Schulleiterin der zweizügigen Grundschule. „Vor Ort aber haben wir Krankheitsfälle, die wir zeitweise nicht auffangen können.“
Langzeit-Erkrankungen, akute Erkrankungen, dazu Lehrerinnen, die während der Schwangerschaft theoretisch arbeiten können, aber bei nur einem Corona-Fall in der Schule 14 Tage zu Hause bleiben müssen, also höchstens aus der Distanz zum Unterricht beitragen können: „In drei Jahrgängen geben wir eine Stunde weniger, als die Stundentafel vorsieht“, sagt Isabell Schütz. Vollständig sei man die vergangenen fünf Wochen nie gewesen. Und Vertretungslehrer, wie es sie vor Jahren noch gab, seien heute nicht mehr zu bekommen.
Ortswechsel zur Wilhelmschule in Rauxel. Auf dem Papier stehen Schulleiterin Angela Goldbach für ihre prinzipiell dreizügige Schule (derzeit elf Klassen und 322 Schüler) 20,7 Stellen zu, 15,6 sind besetzt, das macht eine Ausstattungsquote von 77,5 Prozent. Der schlechteste Wert in Castrop-Rauxel. Doch die Schulleiterin sagt: „Mit dem, was wir haben, kann der Unterricht laut Stundentafel stattfinden.“
„Echte“ Lehrkräfte gewünscht
Klar stünden ihr mehr Lehrkräfte zu und die hätte sie auch gerne – „echte Lehrkräfte, keine Seiteneinsteger“ – aber es gebe halt nicht genug Lehrer. Gerade weil die Klassen mit bis zu 31 Kindern sehr voll sind, würde sie sich zusätzliche Kolleginnen und Kollegen wünschen.
Es klappe, weil es, „toi toi toi“, zurzeit keine Langzeiterkrankungen oder schwangere Kolleginnen gebe, so Angela Goldbach. So müssen aktuell nur die Stunden von erkrankten Lehrkräften aufgefangen werden. „Da fallen dann mal Förderstunden im Mittagsbereich aus“, sagt Angela Goldbach.

Ein Blick auf die weiterführenden Schulen: Die Ausstattungsquoten liegen zwischen 87,8 Prozent bei der noch jungen Neuen Gesamtschule Ickern, bis zu 105,6 und 106,6 Prozent bei Adalbert-Stifter-Gymnasium und Ernst-Barlach-Gymnasium. Dass bei den Gymnasien über 100 Prozent stehen, obwohl an beiden Schulen die reale Ausstattung niedrige liegt als der Stellenplan vorsieht, habe mehrere Gründe, so ASG-Leiter Joachim Höck.
Allein zwei Stellen kommen an seiner Schule zusammen, wenn man die Ermäßigungsstunden zusammenrechnet, die Lehrer unter anderem aus Altersgründen bekommen. „Nominell haben wir einen Überhang, faktisch sind wir unter 100 Prozent“, so Joachim Höck. 60 Stellen sind beim ASG als Gesamtbedarf ausgewiesen.
Für ihn ist aber die entscheidende Aussage: „Wir sind so mit Lehrern ausgestattet, dass wir keinen Unterricht kürzen müssen.“ In die Karten spielt ihm derzeit, so Höck, dass es beim 5. Jahrgang eine Klasse weniger als vorgesehen gibt: „Wir hätten mehr Schwierigkeiten, wenn wir mehr Schülerinnen und Schüler hätten.“
Sonderpädagogen fehlen
Um Seiteneinsteiger und um Stellen im Bereich der sonderpädagogischen Förderung geht es in der ergänzenden Anfrage der SPD zur Situation im Kreis Recklinghausen. Neun Seiteneinsteiger haben zum Schuljahresbeginn an verschiedenen Schulformen begonnen, für Castrop-Rauxel gibt es hier aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Aussage.
Unbesetzte Stellen im Bereich der sonderpädagogischen Förderung gibt es etliche. In Castrop-Rauxel listet das Schulministerium (Stand 31.8.) neun unbesetzte Stellen auf: eine an der Fridtjof-Nansen-Realschule (FNR), drei an der Willy-Brandt-Gesamtschule (WBG), vier an der Martin-Luther-King-Förderschule und eine an der Hans-Christian-Andersen-Förderschule.
Tabelle mit allen Schulen
In der folgenden Tabelle sind die Werte für alle 19 Schulen in Castrop-Rauxel aufgelistet. Der offizielle Bedarf, die tatsächliche Ausstattung mit Lehrkräften und die Ausstattungsquote sind verzeichnet. Über die Suchfunktion oberhalb der Tabelle können Sie nach dem Standort suchen, der Sie interessiert. Alternativ können Sie per Klick auf den kleinen Pfeil am rechten Rand durch das Dokument blättern.
GG Gemeinschaftsgrundschule, RS Realschule, FÖ Förderschule, GE Gesamtschule, BK Berufskolleg, Gym Gymnasium
Schockierende Zahlen: Fast zwei Drittel an Castrop-Rauxeler Gymnasium haben Hatespeech erlebt
Castrop-Rauxeler Familien wählen Schule bewusst: Wollen wieder alle ans Ernst-Barlach-Gymnasium?
Gewalt gegen Lehrer nimmt zu: „Die Akzeptanz für die, die hier ihren Job machen, nimmt ab“
Schuljahr 2023/24: Eine Grundschule in Castrop-Rauxel ist besonders beliebt