Schon 1913 gab es zu wenig Parkplätze Die faszinierende Geschichte der Castroper Pferderennen

Die faszinierende Geschichte des traditionellen Pferderennens
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Dieser Text ist ursprünglich im Sommer 2023 erschienen, damals stand die erste Neuauflage des Pferderennens vor der Tür. 2024 wird es die Veranstaltung trotz großem Zuspruch nicht geben, wie es 2025 aussieht ist noch offen.

Am 9. September wird in Castrop eine alte Tradition in die Gegenwart geholt: Die Castroper Pferderennen. Aber wann hat und wo hat die Geschichte der Rennen angefangen? Wir schreiben das Jahr 1870. Im Sommer des Jahres beginnt der Deutsch-Französische Krieg, auf den Straßen gibt es keine Autos. Die Welt ist geprägt von Fortschritt und Industrialisierung, gleichzeitig wird die Stimmung zwischen den Großmächten in Europa immer aggressiver.

Die Industrialisierung verändert auch das bis dahin kleine und ländliche Castrop und Rauxel von Grund auf. Genau genommen gibt es Castrop-Rauxel damals noch nicht, Castrop und Rauxel werden erst 1926 zusammengelegt. 1867 wird auf Zeche Erin zum ersten Mal Kohle gefördert. Gründer der Zeche ist der Mann, der auch für die Geschichte der Pferderennen entscheidend ist: William Thomas Mulvany.

Mulvany fördert Pferderennen

Mulvany ist Ire und wird 1806 in Dublin geboren. Er wird Ingenieur und kommt nach einigen Jahren im Staatsdienst nach Deutschland. Bis zu seinem Tod 1885 lebt er im Düsseldorfer Stadtteil Pempelfort, im Sommer lebt er allerdings im Haus Goldschmieding. William Thomas Mulvany ist ein reicher Mann, und er mag Pferderennen. Schon bevor Mulvany nach Castrop kommt, gibt es hier Pferdesport, aber der Unternehmer legt den Grundstein für den Erfolg.

Wer etwas auf sich hält, kommt zum Pferderennen natürlich bestens gekleidet. Die Damen mit Hut und Kleid, die Herren im Anzug.
Wer etwas auf sich hält, kommt zum Pferderennen natürlich bestens gekleidet. Die Damen mit Hut und Kleid, die Herren im Anzug. © Fr. Argleb, Photograph Castrop

Das erste Rennen findet 1875 statt, damals noch rund um das Haus Goldschmieding durch die Wälder. Ganz nach englischem Vorbild ist die Bahn drei englische Meilen lang (4800 Meter), es lockt ein Preisgeld von 10.000 Mark und der Castroper Ehrenpreis mit 1200 Mark.

Die Rennen kommen gut an, wie sich der Fotograf Klaus Michael Lehmann, der sich intensiv mit dem Pferderennen beschäftigt hat, erinnert: „Das war hier bei uns ein Großereignis. Weit über die Stadtgrenzen hinaus sind die Leute angereist.“ Mehrere Quellen aus der Zeit belegen, dass die Rennen trotz adeligen Publikums in der gesamten Stadt ein Fest waren. Klaus Michael Lehmann: „Die Menschen haben ihre Häuser geschmückt. Für einen Tag war dann Volksfest.“

Die ersten Rennen führten rund um das Haus Goldschmieding, das auf dieser Ansichtskarte aus dem 19. Jahrhundert links zu sehen ist.
Die ersten Rennen führten rund um das Haus Goldschmieding, das auf dieser Ansichtskarte aus dem 19. Jahrhundert links zu sehen ist. © Archiv

„Heben wir Castrop in den Sattel“

1886 schreibt die „Barmer Zeitung“ über die Pferderennen in Castrop, durchaus mit einem ironischen Unterton: „Es war ein Glückstag, als vor 11 Jahren zur großen und freudigen Ueberraschung der biederen Castroper, in deren Schädeln durch einen glücklichen Zufall plötzlich der ausgeprägteste Rennsportsinn entdeckt wurde, einflußreiche Localpatrioten mit Bismarckscher Zuversicht dachten: ‚Heben wir Castrop in den Sattel, reiten wird es schon können! [...] Selbst unsere überaus und stets pessimistisch angehauchten Oekonomen sind darüber einig, daß das hiesige Wettrennen nächst den Kartoffeln die wichtigste Erfindung ist.“ Das Publikum zu Beginn der Renntage ist hochkarätig: „Buntgekleidete Militärs aller Chargen und Waffen, geistliche und weltliche Würdenträger, Väter und Mütter und solche, die es werden wollen – alles rennt wie die Ameisenhaufen durcheinander, um möglichst die schönsten Punkte zu besetzen.

Die meist gut betuchten Gäste werden über die gesamte Region von Rheine oder Essen bis Bielefeld in Hotels verteilt, wie Dokumente von damals zeigen. Aus Städten des gesamten Ruhrgebiets gab es Sonderfahrten mit dem Zug nach Castrop. Einen besonders guten Eindruck in die Hochphase der Pferderennen gibt ein uralter Flyer vom Rennen am 21. August 1907. Klaus Michael Lehmann hat ihn der Redaktion für diesen Artikel zur Verfügung gestellt.

Der Flyer zum Pferderennen am 21. August 1907 in Castrop-Rauxel.
Der Flyer zum Pferderennen am 21. August 1907 in Castrop. © Lehmann

Gewettet wird an den sogenannten Totalisatoren. Anders als bei anderen Wetten wird hier nicht gegen einen Buchmacher, sondern gegeneinander gewettet. Die Regeln für die Wetten werden in dem alten Flyer minutiös aufgeführt. Unter Punkt eins heißt es: „Der Zutritt zum Totalisator ist für Jedermann frei. Damen ist der Zutritt nicht gestattet.“ Schon damals gibt es Werbung, denn die Hotels und Gaststätten versuchen sich an den Rennen eine goldene Nase zu verdienen. Das Hotel Schlenkhoff in Herne wirbt mit einer „Haltestelle für Fuhrwerk“ und einem kostenlosen Konzert nach dem Rennen.

Beim Rennen 1913 tummeln sich die Menschen vor den Totalisatoren, an denen die Wetten abgegebenen wurden.
Beim Rennen 1913 tummeln sich die Menschen vor den Totalisatoren, an denen die Wetten abgegeben werden. © Stadtarchiv

Neben den Jockey-Rennen gab es damals auch die Herren-Rennen. Bei diesen Rennen wurden die Pferde von ihren – meist adeligen Besitzern – geritten. Damit die Zuschauer ihre Wette auch auf den richtigen Mann abschließen konnten, wird in der Broschüre kurz beschrieben, wie der adelige Reiter denn aussieht.

So tritt 1907 beim 5. Castroper Jagd-Rennen über die 4000 Meter beispielsweise ein gewisser Leutnant Fussband an – zu erkennen an seiner Artillerie-Uniform. Die Pferde, die antreten, werden mit Namen aufgeführt, wie Prinzessin, Siegfried, Freyja oder Miss Monti.

Zur Hochzeit der Rennen wird ihnen in Castrop ein prominentes Denkmal gesetzt. Der Verschönerungsverein Castrop spendiert 1912 den Reiterbrunnen auf dem Marktplatz, gestaltet von Bildhauer Georg Grasegger.

Der Reiterbrunnen bei der Einweihung 1912.
Der Reiterbrunnen bei der Einweihung 1912. © Stadtarchiv Castrop-Rauxel

Parkplatzprobleme 1913

Während einiges aus dieser Zeit heute nur schwer vorstellbar ist, hat sich manches über die Jahrzehnte aber dann doch nicht verändert. Ein Foto vom Rennen im Jahr 1913 zeigt ein ganzes Feld voller Kutschen. Klaus Michael Lehmann: „Die Adeligen sind natürlich alle mit Kutsche angereist, und irgendwo mussten die auch stehen. Probleme mit dem Parkplatz gab es damals auch schon.“

Am 17. Juni 1914 findet das letzte Castroper Rennen vor dem Ersten Weltkrieg statt. Eigentlich hätte es im August noch ein Rennen geben sollen, aber am 28. Juli bricht der Krieg in Europa aus. Nach dem Ersten Weltkrieg werden nicht direkt wieder Pferderennen veranstaltet. 1934 – zur 1100-Jahr-Feier der Stadt Castrop – gibt es dann wieder ein Rennen.

In der Zeit des Nationalsozialismus, am 10. Juni 1937, wird der Rennverein neu gegründet. Die Rennwiese wird umgestaltet und im Januar des folgenden Jahres eingeweiht. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gibt es 1939 noch einen Renntag, danach gibt es die zweite größere Unterbrechung in der Renngeschichte.

Eine kurze Renaissance

Auf diesen Bildern aus den 1960er-Jahren erkennt man schon viel besser die Skyline des heutigen Castrop-Rauxel.
Auf diesen Bildern aus den 1960er-Jahren erkennt man schon viel besser die Skyline des heutigen Castrop-Rauxels. © Lehmann

Nach dem Zweiten Weltkrieg will man die Castroper Pferderennen wieder aufleben lassen. Am 13. März 1950 ist es so weit: Pferde galoppieren wieder in Castrop. Das erste Rennen ist ein Erfolg. „In der Zeitung ist von einer ‚imposanten Wiedergeburt‘ die Rede.“ Doch die Rennen erleben nur eine Schein-Renaissance, schon zwei weitere Renntage im August und Oktober werden ein Verlustgeschäft.

Der Zuschauer-Rückgang ist aber nicht nur in Castrop-Rauxel ein Problem. Das Fernsehen macht dem Sport Konkurrenz, auch Fußball wird immer beliebter. Klaus Michael Lehmann hat diese dritte Phase der Pferderennen erlebt. Er vermutet „dass die Pausen zwischen den Rennen zu lang waren. Es gab dann ein paar Minuten Aufregung und dann ist ganz lange nichts passiert. Im Vergleich zum Fernsehen ist das natürlich langsamer.“

Im Vordergrund die galoppierenden Pferde, im Hintergrund der Zechenturm, fünf Jahre nach diesem Rennen am 27. Juni 1965 findet das letzte Pferderennen in Castrop-Rauxel statt.
Im Vordergrund die galoppierenden Pferde im Hintergrund der Zechenturm. Fünf Jahre nach diesem Rennen am 27. Juni 1965 findet das letzte Pferderennen in Castrop-Rauxel statt. © Lehmann

Die Preisgelder werden niedriger und es gehen nicht mehr die Top-Tiere an den Start. Das liegt auch daran, dass die Bahn in Castrop-Rauxel eine Naturhindernisbahn ist und das Verletzungsrisiko für die Pferde ziemlich hoch.

Am 28. Juni 1970 findet das letzte Castroper Rennen statt. Nach 97 Rennen ist Schluss. Zum letzten Rennen im strömenden Regen kommen nur 421 zahlende Zuschauerinnen und Zuschauer. Ein zweiter Renntag am 13. September wird abgesagt, die Stadt will das Defizit nicht mehr übernehmen. Sie streicht den Zuschuss für das Jahr 1971, damit kann die Anlage nicht mehr betrieben werden. Es ist das Ende der Pferderennen in Castrop-Rauxel.

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