
© Thomas Schroeter
Nach Vorwürfen: Bürgermeister erklärt Problem mit Osteuropa-Zuwanderern
Wittener Straße
Das Problem mit Zuwanderern wie denen, die an der Wittener Straße unter Quarantäne stehen, sei nicht schnell zu lösen. Das sagt Castrop-Rauxels Bürgermeister Kravanja - und auch, was man dagegen tut.
Die Stadt hat nicht gehandelt, sei schon weit vor der Corona-Krise vor den Häusern an der Wittener Straße in Merklinde gewarnt worden, wo derzeit fast 100 Menschen in Virus-Quarantäne sitzen: So lauten die Anschuldigungen, unter anderem von Nachbarn der Häuser.
Wir haben Bürgermeister Rajko Kravanja mit den Vorwürfen konfrontiert. Der erläuterte in einem ausführlichen Gespräch die Situation mit osteuropäischen Zuwanderern generell, die Einflussmöglichkeiten der Stadt und die ganz konkrete Corona-Krise in Merklinde.
Stadt hat eine eigene Task-Force gegründet
„Bei jeder meiner Facebook-Sprechstunden gibt es mindestens einen zehnminütigen Block, in dem es um das Problemfeld Zuwanderung aus Osteuropa geht. Das Thema ist also nicht neu und wird auch in der Politik schon lange diskutiert“, so Kravanja. „Wir beschäftigen uns wirklich schon lange und intensiv mit der Problematik. Wir haben im letzten Jahr dafür eigens eine Task-Force gegründet.“
Dazu habe man sich im Vorfeld intensiv mit der Stadt Gelsenkirchen ausgetauscht. „Denn das ist ja nicht nur unser Problem, das gibt es auch in Dortmund, Gelsenkirchen oder Hagen“, so der Bürgermeister. Im Austausch mit Gelsenkirchen und anderen Städten habe man einen ganzheitlichen Ansatz zur Bewältigung des Problems gewählt, „das wir nicht einfach im Handstreich beseitigen können, denn es gibt da ja auch ganz viele privatrechtliche Fragen“.
Viele Einsätze in den beiden Häusern
Um sich der Probleme umfassend anzunehmen, sei man sowohl an der Wittener Straße als auch an der Langen Straße und in anderen Problemzonen seitdem mit verschiedensten ordnungsbehördlichen Aktionen tätig geworden. Man sei mit Ordnungsamt, mit Bauordnung und Brandschutz, mit der Verkehrsbehörde, dem Sozialamt und dem Jobcenter in den Häusern im Einsatz gewesen.
Kravanja: „Wir haben Autos abschleppen lassen, haben nach Sozialbetrug gefahndet, haben Brandschutz- und Baumängel moniert, einfach, um eine Handhabe zu haben. Das Grundproblem dabei ist: Die Häuser gehören privaten Vermietern. Wir haben die Leute da nicht zugewiesen. Wir versuchen mit allen Mitteln, die Situation zu bekämpfen, und das meine ich wörtlich.“

Wie Bürgermeister Rajko Kravanja jetzt erläuterte, zeige dieses Foto Mitarbeiter des Bereichs für Migration dabei, wie sie die Bewohner des Hauses bei einer Befragung zum Abstandhalten auffordern. © Privat
Er könne die Nachbarn der Häuser sehr gut verstehen, sagte er. „Aber das Problem besteht nicht, weil wir zu blöd sind, denn es gelingt ja auch anderen Städten nicht, das so einfach zu lösen“, so Kravanja. „Wir haben bisher in den Häusern schlicht keinen Grund gefunden, sie zumachen zu können.“
Mit dem Jobcenter könne man den Besitzern der Häuser noch den meisten Ärger bereiten. Denn wenn vom Jobcenter keine Leistungen an Bewohner der Häuser bezahlt werden, weil Widersprüche in den Angaben zu Minijobs und anderen Tätigkeiten erkannt wurden oder die Zahl der Bewohner nicht mit den Anträgen übereinstimmen, dann würden Vermieter hellhörig. „Denn dann bekommen sie kein Geld, und das wirkt“, so Kravanja.
Stadt möchte die Häuser gern ankaufen
Die Vermieter all der Häuser kommen nicht aus Castrop-Rauxel, so viel steht fest. Und sollen, wenn es nach der Stadt ginge, auch möglichst nicht mehr lange Eigentümer der Häuser sein. „In anderen Städten, etwa in Dortmund, hat man begonnen, solche Immobilien anzukaufen, um dann selber städtebaulich handeln zu können“, so Kravanja.
Das möchte man in Castrop-Rauxel auch tun, sei zur Finanzierung aber auf Zuschüsse des Landes angewiesen. Und auf die neue Grundstücksentwicklungs-Gesellschaft, die man gerade voran treibe. All das brauche aber Zeit. „Und selbst wenn wir die Häuser kaufen und die Vermietung regeln, müssten wir mit einem Verdrängungsprozess rechnen. Denn die Menschen werden dann auch nicht verschwinden, sondern irgendwohin umziehen“, so Kravanja.
Mit dem Bereich Migration und Obdachlosenhilfe verfolge man zudem einen sozialpolitischen Ansatz. „Denn es gibt da in den Häusern auch Familien, die hier bleiben wollen. Und mit denen versuchen wir, Wege heraus aus den Bedingungen in diesen Häusern aufzuzeigen“, sagt Kravanja.
Der Corona-Ausbruch in den Häusern habe nun noch einmal den Fokus auf die Situation gelenkt. „Da uns das Problem bewusst ist, sind wir nach Bekanntwerden des ersten Falls durch unsere Task-Force ja auch sofort mit dem Massentest und dann mit der Quarantäne eingestiegen, um sofort für Abschottung zu sorgen.“
Ansonsten würde der Ablauf dort genauso gehandhabt wie bei jedem Corona-Fall - egal wo, egal in welcher Umgebung. Dass vor dem Test Menschen aus dem Haus geflohen seien, wüsste er nicht. Er könnte die Beobachtung oder das Gerücht weder bejahen noch dementieren. Alle Menschen, die dort gemeldet seien, habe man angetroffen. „Und noch einen Besucher, der jetzt zu seinem Pech mit in Quarantäne dort sitzt“, so der Bürgermeister.
Man begleite die Situation sehr eng, habe am Donnerstag Nachtests durchgeführt und sorge mit den Mitarbeitern des Migrationsbereichs, bei denen es welche gebe, die Rumänisch sprechen, für die Einhaltung der Auflagen. „Auf dem Foto, das veröffentlicht wurde, ist genau der Moment zu erkennen, wo einer der Mitarbeiter die Menschen zum Abstandhalten auffordert“, geht Kravanja noch einmal konkret auf die Beschwerden der Nachbarn ein.

Mitarbeiter des DRK bei der großen Testaktion in den Häusern an der Wittener Straße. Die notwendigen Nachtests der vielen Menschen stehen dort bald an. © Privat
Der Sicherheitsdienst regele die Einhaltung der Quarantäne rund um die Uhr. Im Gespräch mit dem Sicherheitsdienst habe man am Donnerstag beschlossen, das doch recht unübersichtliche Gelände nach hinten zur Bahnstrecke hin zur Sicherheit noch mit einem Zaun zu umgeben. Kravanja: „Das wird am Donnnerstag auch noch vom EUV sofort in die Tat umgesetzt.“
Was der Sicherheitsdienst, der Zaun usw. im konkreten Fall so alles koste, könne er noch nicht annähernd beziffern. Kravanja: „Das Gesundheitsamt ordnet zwar die Quarantäne an. Bezahlen aber muss die Stadt das. Das ist leider so.“
1961 geboren. Dortmunder. Jetzt in Castrop-Rauxel. Vater von drei Söhnen. Opa. Blogger. Interessiert sich für viele Themen. Mag Zeitung. Mag Online. Aber keine dicken Bohnen.
