Kneipensterben: Die Kneipenszene in Castrop schrumpft immer weiter

© Thomas Schroeter

Kneipensterben: Die Kneipenszene in Castrop schrumpft immer weiter

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Gerade einmal fünf klassische Bierkneipen gibt es noch in der Castroper Altstadt. Tendenz: weiter fallend. Trotz günstiger Bierpreise. Für die Kneipiers rechnet sich das Geschäft kaum noch.

Castrop

, 02.08.2019, 16:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Kneipe in Gefahr: Innerhalb von zehn Jahren haben 105 Gastro-Betriebe im Kreis

Recklinghausen geschlossen. Darauf weist die Gewerkschaft NGG hin. Zwischen 2007 und 2017 hat damit jede neunte Gaststätte, Kneipe oder Eisdiele zugemacht. Zuletzt zählte der Kreis 801 gastronomische Betriebe, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten mitteilt.

Der Niedergang betrifft dabei insbesondere die klassische Kneipe. In der Castroper Altstadt gibt es davon gerade noch fünf Exemplare: Die „Kulisse“ an der Münsterstraße, „Zum Bus“ an der Straße im Ort, das „Treppchen“ am Lambertusplatz sowie die „Klapsmühle“ und die „Marktschänke“, beide an der Mühlenstraße.

„Treffpunkt“ ist die letzte Kneipenschließung gewesen

Vor nicht allzu langer Zeit gehörte noch der „Treffpunkt“ an der Lönsstraße dazu, der ist aber seit einem Brand im vergangenen Jahr geschlossen. Hier wird zur Zeit renoviert. Die Wiedereröffnung plant Pächterin Kadur Morgner für den Herbst 2019. (Anm. Zunächst hatten wir berichtet, dass der Treffpunkt wohl nicht wieder öffnen würde. Im Nachgang an die Berichterstattung meldete sich die Pächterin und erklärte uns, dass das so nicht richtig ist.)

Der „Treffpunkt“ an der Lönsstraße gehörte zu den echten Kneipen in der Altstadt. Doch die Gaststätte ist nach einem Brand auch Vergangenheit.

Der „Treffpunkt“ an der Lönsstraße gehörte zu den echten Kneipen in der Altstadt. Doch die Gaststätte ist nach einem Brand auch Vergangenheit. © Thomas Schroeter

Läuft die Kneipen-Zeit in Castrop also ab? Wir haben uns in der Marktschänke mit Reinhard Becker unterhalten. Der kennt die Szene seit langer Zeit, war selbst mal Betreiber der „Marktschänke“, hat aber auch im „Treffpunkt“ hinter dem Tresen gestanden, ist in der Schänke an der Mühlenstraße noch heute als Angestellter tätig.

Rentner und Püttleute fehlen den Kneipiers

Wie ist das also mit dem Kneipensterben, vor dem die NGG warnt? „Es läuft noch, aber wie lange, das weiß ich nicht. Im Vergleich zu früher, als es noch die Rentner oder die Püttleute in die Kneipe gezogen hat, ist das nicht mehr zu vergleichen. Die sterben alle weg. In meiner Zeit hier in der Marktschänke sind bestimmt 30 Stammgäste gestorben, die hier ihr Bierchen und das Körnchen getrunken haben.“ Auch morgens schon oder an Markttagen.

„Die Markttage waren früher Kneipentage. Hier in der Kneipe, aber auch bei Casi gegenüber im Alten Markt. Auch die Marktleute kamen auf einen Kaffee, die Kunden trafen sich zum Frühschoppen. Das ist alles vorbei“, erinnert sich der Bierfachmann.

Ertrag hat sich für Becker nicht mehr gerechnet

NGG-Gewerkschaftssekretär Adnan Kandemir macht für den Trend zur Kneipenschließung unter anderem die harten Arbeitsbedingungen in der Branche verantwortlich. „Nachts und am Wochenende hinterm Tresen zu stehen, das wollen viele nicht mehr. Deshalb hat die Branche schon heute mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen“, so der Gewerkschafter. Und selbst der Wirt verdient heute nicht mehr gut.

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Die Kneipen der Altstadt

Nur noch fünf klassische Bierkneipen gibt es in Castrop.
02.08.2019
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Die Klapsmühle an der Mühlenstraße. Sie ist Ur-Bestandteil der Castroper Kneipenlandschaft. Auch unter dem früheren Namen "Schwabinchen".© Thomas Schroeter
Die "Kulisse", das "Wohnzimmer der Altstadt", so nennt sie sich selbst, ist derzeit die angesagteste Kneipen-Adresse in Castrop.© Thomas Schroeter
Die Marktschänke an der Mühlenstraße gehört zu den wenigen übrig gebliebenen Kneipen in der Altstadt.© Thomas Schroeter
Die Marktschänke an der Mühlenstraße gehört zu den wenigen übrig gebliebenen Kneipen in der Altstadt. Am Tresen sprachen wir mit Reinhard Becker, dem der Laden acht Jahre lang gehörte.© Thomas Schroeter
Die letzten echten Kneipen in der Altstadt. Dazu gehört auch die Gaststätte "Zum Bus" ein paar Meter vom Busbahnhof entfernt an der Straße Im Ort.© Thomas Schroeter
Die letzten echten Kneipen in der Altstadt. Das Treppchen am Lambertusplatz gehört dazu, ist laut Info in der Tür derzeit aber wegen technischer Probleme mit der Bierkühlung aber geschlossen.© Thomas Schroeter
Das Nichtraucherschutzgesetz hat der Kneipenlandschaft zugesetzt. Und die Raucher vor der Tür sind auch nicht gern gesehen bzw. gehört. Davon kündigt dieser Zettel in der "Marktschänke".© Thomas Schroeter
Der "Treffpunkt" an der Lönsstraße gehörte zu den echten Kneipen in der Altstadt. Doch die Gaststätte ist nach einem Brand auch Vergangenheit© Thomas Schroeter

Reinhard Becker: „Früher haben die Kneipiers gut gelebt. Da waren ja abends alle Kneipen voll. Und da gab es ja noch viel mehr. Hatte auch was mit dem Pütt zu tun, aber damals waren allein vom Rochus bis zum Markt bestimmt acht Kneipen.“ Auch er selbst habe die „Marktschänke“ abgegeben, weil er sich den Stress nicht mehr antun wollte: „Der Ertrag auf Stunden umgerechnet, da hatte ich kein Böcke mehr drauf. Du musst dich krumm legen und wenn ich das umlege, habe ich weniger Geld in der Stunde als der Mindestlohn ist.“

NGG sieht Verbraucher in der Verantwortung

NGG-Mann Kandemir sieht weitere Gründe für die Probleme im Gastrogewerbe. „Die Gastronomen müssen sich gegen Pleiten absichern. Dazu gehört das nötige betriebswirtschaftliche Know-how. Genauso aber originelle Ideen, wie man eine Gaststätte zum Treffpunkt für junge Leute macht.“ Die Gewerkschaft sieht auch die Verbraucher in der Verantwortung. „Statt das Feierabendbier zu Hause zu trinken, kann man einfach mal wieder in die Kneipe gehen. Das macht Spaß und ist geselliger.“

Das Nichtraucherschutzgesetz hat der Kneipenlandschaft zugesetzt. Und die Raucher vor der Tür sind auch nicht gern gesehen bzw. gehört. Davon kündigt dieser Zettel in der „Marktschänke“.

Das Nichtraucherschutzgesetz hat der Kneipenlandschaft zugesetzt. Und die Raucher vor der Tür sind auch nicht gern gesehen bzw. gehört. Davon kündigt dieser Zettel in der „Marktschänke“. © Thomas Schroeter

Aus Beckers Erfahrung kämen die jungen Leute zwar in die Kneipe: „Aber da muss man sich was einfallen lassen. Da muss gute und laute Musik her, wenn die feiern wollen. Und die kommen auch nur am Freitag oder Samstag, oft zum Vorglühen, um dann in die Großstädte weiter zu ziehen.“ Die Sommermonate seien für den klassischen Kneipier im Übrigen immer eine harte Zeit. „Es sei denn, man hat einen schönen Biergarten, dann hat man Glück“, so Becker.

Mit dem Rauchverbot fing das große Elend an

Das Elend für die Kneipe an der Ecke hat aus Beckers Sicht mit dem Rauchverbot angefangen. „Das war der erste Sargnagel für viele Kneipen. Jetzt kommt hinzu, dass das Ordnungsamt mittlerweile am Rad dreht. Wenn du abends fünf oder sechs Leute vor der Tür stehen hast und die rauchen draußen, dann ist das zu laut. Am liebsten wäre es den Leuten, wenn ab 22 Uhr die Tür zu bliebe und keine Musik liefe.“

Hinzu käme aber auch, dass das Geld knapper werde, das Geld für ein Pils nicht mehr so locker sitze. Auch wenn das Bier in Castrop im Vergleich zu Dortmund oder Bochum etwa immer noch günstig sei.

So sehen die Bierpreise in Castrop heute aus

Wir haben uns die Bierpreise in den fünf Castroper Kneipen angesehen und vergleichen sie mit denen in anderen Gastro-Betrieben:

Bier 0,2 Liter

Klapsmühle 1,30 Euro

Marktschänke 1,30 Euro

Zum Bus 1,30 Euro

Zum Treppchen 1,40 Euro

Kulisse 1,60 Euro

Leutholds 1910 2,20 Euro

Café del Sol 2,80 (0,3 Liter, umgerechnet also ca. 1,95 Euro)

Zum Alten Markt Dortmund 1,60 Euro

Fieges Stammhaus Bochum 3,00 Euro (0,3 Liter, umgerechnet also 2,00 Euro)

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Kneipenschwund

  • In ganz Nordrhein-Westfalen ging die Zahl der Gastro-Betriebe nach Angaben des Statistischen Landesamtes seit 2007 um gut elf Prozent zurück.
  • Von damals rund 28.000 Restaurants, Kneipen und Gaststätten waren im Jahr 2017 nur noch 24.900 geöffnet.