
© Thomas Schroeter
Kneipensterben: Die Kneipenszene in Castrop schrumpft immer weiter
Gastronomie
Gerade einmal fünf klassische Bierkneipen gibt es noch in der Castroper Altstadt. Tendenz: weiter fallend. Trotz günstiger Bierpreise. Für die Kneipiers rechnet sich das Geschäft kaum noch.
Kneipe in Gefahr: Innerhalb von zehn Jahren haben 105 Gastro-Betriebe im Kreis
Recklinghausen geschlossen. Darauf weist die Gewerkschaft NGG hin. Zwischen 2007 und 2017 hat damit jede neunte Gaststätte, Kneipe oder Eisdiele zugemacht. Zuletzt zählte der Kreis 801 gastronomische Betriebe, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten mitteilt.
Der Niedergang betrifft dabei insbesondere die klassische Kneipe. In der Castroper Altstadt gibt es davon gerade noch fünf Exemplare: Die „Kulisse“ an der Münsterstraße, „Zum Bus“ an der Straße im Ort, das „Treppchen“ am Lambertusplatz sowie die „Klapsmühle“ und die „Marktschänke“, beide an der Mühlenstraße.
„Treffpunkt“ ist die letzte Kneipenschließung gewesen
Vor nicht allzu langer Zeit gehörte noch der „Treffpunkt“ an der Lönsstraße dazu, der ist aber seit einem Brand im vergangenen Jahr geschlossen. Hier wird zur Zeit renoviert. Die Wiedereröffnung plant Pächterin Kadur Morgner für den Herbst 2019. (Anm. Zunächst hatten wir berichtet, dass der Treffpunkt wohl nicht wieder öffnen würde. Im Nachgang an die Berichterstattung meldete sich die Pächterin und erklärte uns, dass das so nicht richtig ist.)

Der „Treffpunkt“ an der Lönsstraße gehörte zu den echten Kneipen in der Altstadt. Doch die Gaststätte ist nach einem Brand auch Vergangenheit. © Thomas Schroeter
Läuft die Kneipen-Zeit in Castrop also ab? Wir haben uns in der Marktschänke mit Reinhard Becker unterhalten. Der kennt die Szene seit langer Zeit, war selbst mal Betreiber der „Marktschänke“, hat aber auch im „Treffpunkt“ hinter dem Tresen gestanden, ist in der Schänke an der Mühlenstraße noch heute als Angestellter tätig.
Rentner und Püttleute fehlen den Kneipiers
Wie ist das also mit dem Kneipensterben, vor dem die NGG warnt? „Es läuft noch, aber wie lange, das weiß ich nicht. Im Vergleich zu früher, als es noch die Rentner oder die Püttleute in die Kneipe gezogen hat, ist das nicht mehr zu vergleichen. Die sterben alle weg. In meiner Zeit hier in der Marktschänke sind bestimmt 30 Stammgäste gestorben, die hier ihr Bierchen und das Körnchen getrunken haben.“ Auch morgens schon oder an Markttagen.
„Die Markttage waren früher Kneipentage. Hier in der Kneipe, aber auch bei Casi gegenüber im Alten Markt. Auch die Marktleute kamen auf einen Kaffee, die Kunden trafen sich zum Frühschoppen. Das ist alles vorbei“, erinnert sich der Bierfachmann.
Ertrag hat sich für Becker nicht mehr gerechnet
NGG-Gewerkschaftssekretär Adnan Kandemir macht für den Trend zur Kneipenschließung unter anderem die harten Arbeitsbedingungen in der Branche verantwortlich. „Nachts und am Wochenende hinterm Tresen zu stehen, das wollen viele nicht mehr. Deshalb hat die Branche schon heute mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen“, so der Gewerkschafter. Und selbst der Wirt verdient heute nicht mehr gut.
Reinhard Becker: „Früher haben die Kneipiers gut gelebt. Da waren ja abends alle Kneipen voll. Und da gab es ja noch viel mehr. Hatte auch was mit dem Pütt zu tun, aber damals waren allein vom Rochus bis zum Markt bestimmt acht Kneipen.“ Auch er selbst habe die „Marktschänke“ abgegeben, weil er sich den Stress nicht mehr antun wollte: „Der Ertrag auf Stunden umgerechnet, da hatte ich kein Böcke mehr drauf. Du musst dich krumm legen und wenn ich das umlege, habe ich weniger Geld in der Stunde als der Mindestlohn ist.“
NGG sieht Verbraucher in der Verantwortung
NGG-Mann Kandemir sieht weitere Gründe für die Probleme im Gastrogewerbe. „Die Gastronomen müssen sich gegen Pleiten absichern. Dazu gehört das nötige betriebswirtschaftliche Know-how. Genauso aber originelle Ideen, wie man eine Gaststätte zum Treffpunkt für junge Leute macht.“ Die Gewerkschaft sieht auch die Verbraucher in der Verantwortung. „Statt das Feierabendbier zu Hause zu trinken, kann man einfach mal wieder in die Kneipe gehen. Das macht Spaß und ist geselliger.“

Das Nichtraucherschutzgesetz hat der Kneipenlandschaft zugesetzt. Und die Raucher vor der Tür sind auch nicht gern gesehen bzw. gehört. Davon kündigt dieser Zettel in der „Marktschänke“. © Thomas Schroeter
Aus Beckers Erfahrung kämen die jungen Leute zwar in die Kneipe: „Aber da muss man sich was einfallen lassen. Da muss gute und laute Musik her, wenn die feiern wollen. Und die kommen auch nur am Freitag oder Samstag, oft zum Vorglühen, um dann in die Großstädte weiter zu ziehen.“ Die Sommermonate seien für den klassischen Kneipier im Übrigen immer eine harte Zeit. „Es sei denn, man hat einen schönen Biergarten, dann hat man Glück“, so Becker.
Mit dem Rauchverbot fing das große Elend an
Das Elend für die Kneipe an der Ecke hat aus Beckers Sicht mit dem Rauchverbot angefangen. „Das war der erste Sargnagel für viele Kneipen. Jetzt kommt hinzu, dass das Ordnungsamt mittlerweile am Rad dreht. Wenn du abends fünf oder sechs Leute vor der Tür stehen hast und die rauchen draußen, dann ist das zu laut. Am liebsten wäre es den Leuten, wenn ab 22 Uhr die Tür zu bliebe und keine Musik liefe.“
Hinzu käme aber auch, dass das Geld knapper werde, das Geld für ein Pils nicht mehr so locker sitze. Auch wenn das Bier in Castrop im Vergleich zu Dortmund oder Bochum etwa immer noch günstig sei.
So sehen die Bierpreise in Castrop heute aus
Wir haben uns die Bierpreise in den fünf Castroper Kneipen angesehen und vergleichen sie mit denen in anderen Gastro-Betrieben:
Bier 0,2 Liter
Klapsmühle 1,30 Euro
Marktschänke 1,30 Euro
Zum Bus 1,30 Euro
Zum Treppchen 1,40 Euro
Kulisse 1,60 Euro
Leutholds 1910 2,20 Euro
Café del Sol 2,80 (0,3 Liter, umgerechnet also ca. 1,95 Euro)
Zum Alten Markt Dortmund 1,60 Euro
Fieges Stammhaus Bochum 3,00 Euro (0,3 Liter, umgerechnet also 2,00 Euro)
Kneipenschwund
- In ganz Nordrhein-Westfalen ging die Zahl der Gastro-Betriebe nach Angaben des Statistischen Landesamtes seit 2007 um gut elf Prozent zurück.
- Von damals rund 28.000 Restaurants, Kneipen und Gaststätten waren im Jahr 2017 nur noch 24.900 geöffnet.
1961 geboren. Dortmunder. Jetzt in Castrop-Rauxel. Vater von drei Söhnen. Opa. Blogger. Interessiert sich für viele Themen. Mag Zeitung. Mag Online. Aber keine dicken Bohnen.
