Donnerstag, 22. August um halb acht, Mario Rommel veröffentlicht auf Facebook ein langes Statement. Es ist die neuste Wendung in einem langen Schauspiel um zwei Castrop-Rauxeler Kneipen. Nach allem, was wir wissen, ist dieses Statement eine große Lüge – die schon damit beginnt, dass Mario Rommel nicht der Autor ist. Zum ersten Mal taucht in diesem Statement öffentlich ein neuer Name auf. Markus K. Er sei der kriminelle Kopf hinter all dem Streit um das Gleis 4 und das alteingesessene Haus Oe.
Markus K. erzählt eine ganz andere Geschichte. Bewusst habe er sich in den vergangenen Wochen zurückgehalten, wollte erst seine Angelegenheiten regeln, bevor er sich öffentlich äußert. Als er Mitte August zum Gespräch in die Redaktion kommt, gibt er sich betont lässig, lockeres Marken-Shirt, einen Stapel brisante Dokumente unter dem Arm. Markus K. wird erst viele Stunden und etliche Fragen später wieder die Redaktion verlassen. Er ist der dritte Spieler in einem Spiel, das am Ende niemand gewonnen hat. Doch bevor er die Bühne betritt, verhandeln zwei andere Männer um die Kneipen. Mario Rommel und Inan Acar.
Rommel wollte 2020 Bürgermeister werden und schmückt sich gerne damit, dass er Nachfahre des NS-Feldmarschall Erwin Rommel sei – Belege gibt es nicht. Mario Rommel kommt aus Eisenach, die thüringische Herkunft hört man ihm immer noch an. Er ist Lokführer für Güterzüge. In mehreren Gesprächen mit der Redaktion stolpert er wieder und wieder über seine eigenen Aussagen, behauptet etwas, nur um es am nächsten Tag wieder zurückzunehmen. Spricht er heute über Inan Acar, sagt er eigentlich immer nur verbittert „der nette Herr Acar“. Mit allen Mitteln nachzuweisen, dass Acar ihm Unrecht getan habe, ist für Rommel eine Obsession geworden. Heute können sich Rommel und Acar kaum noch gegenübertreten, aber Anfang Mai 2024 sieht das noch ganz anders aus.
Die andere Seite des Inan Acar
Inan Acar ist damals wie heute der Pächter von Haus Oe und Gleis 4. Er ist es, der Verträge mit den Hauseigentümern hat. Auch wichtig: 2021 ist Inan Acar in die Privatinsolvenz gerutscht. Mitte August wurde ihm die Restschuldenbefreiung gewährt. Sollte niemand mehr Einspruch erheben, wäre Inan Acar finanziell gesehen wieder ein freier Mann.
Viele Menschen erzählen uns, wie charmant Acar sei: „Eloquent ist er“ oder „der sülzt wie sonst was“. Er kann sehr nett sein. Inan Acar hat, ohne dafür Geld zu verlangen, das Haus Oe für das Fastenbrechen des Frauenvereins zur Verfügung gestellt. Die Vorsitzende des Vereins Ruziye Malkus hält den Streit um die Kneipen zwar für „Kinderkram“, aber über Inan Acar kann sie nur Gutes berichten.
Doch Inan Acar hat eine andere Seite. Bekommt er nicht, was er möchte, kann es ungemütlich werden. Nicht erst seit dem Streit um die Kneipen. Als er das Haus Oe 2020 übernimmt, stehen in der Kneipe noch die Billardtische des BC Schwerin. Der Verein will seine Tische rausholen.
Acar verlangt von dem Verein eine dreistellige Summe, als Ersatz für die ausgefallenen Einnahmen. Der Verein will nicht zahlen, ist sich sicher, dass er vor Gericht gewinnen würde, wie Pressewart Thorsten Warner erzählt. Doch dem Verein läuft die Zeit davon, bald beginnt die neue Saison und sie brauchen die Tische. „Am Ende haben wir zähneknirschend bezahlt“, bedauert Warner. Inan Acar bestätigt die Geschichte, er sagt aber, der Club habe einen Deal nicht eingehalten und deswegen habe er die Tische erstmal behalten.
Thorsten Warner erinnert sich noch an die Gespräche im Haus Oe. In den Verhandlungen sei Acar „kindisch“ gewesen, habe rumgeschrien, sei mittendrin vom Tisch aufgestanden. Es sind solche Geschichten, die uns verschiedene Menschen erzählen – über die „unschönen“ Seiten von Inan Acar. Die meisten haben Angst. Kaum fällt der Name Acar, machen sie dicht. Und diejenigen, die sprechen, wollen ihren Namen nicht öffentlich lesen. Es geht um Beleidigungen, versteckte Manipulation und offene Drohungen.
30.000 Euro in bar
Dass Inan Acar gut reden kann und Mario Rommel zuweilen leichtgläubig ist, führt zu Problemen. Anfang Mai unterzeichnen beide zwei Unterpachtverträge, einen für das Haus Oe auf Schwerin und einen für das Gleis 4 am Hauptbahnhof. Ab dem 15. Mai ist Mario Rommel Pächter. Er will die Kneipen betreiben, am liebsten noch vor der EM öffnen. So weit, so friedlich und normal, aber dann beginnt der Ärger.
Denn im Gleis 4 schließt Mario Rommel mit dem Unterpachtvertrag auch einen Darlehnsvertrag ab. Im Vertrag steht: Monatlich zahlt Mario Rommel Geld an Inan Acar, bis er 15.000 Euro für das Inventar im Gleis 4 abbezahlt hat. Im Haus Oe bleibe das Inventar im Besitz von Inan Acar. Später wird Acar uns sagen, es gehöre seiner Frau. Und noch später taucht ein Unternehmen aus Unna auf, dem das Inventar gehören soll – aber bis dahin vergeht noch Zeit.

Mario Rommels Version der Geschichte ist: Er hat Inan Acar nach dem Vertrag 30.000 Euro in bar gegeben. 15.000 Euro fürs Inventar im Gleis 4 und 15.000 Euro für das Inventar im Haus Oe – also ganz anders als in den Verträgen vereinbart. Es gibt mehrere Personen in diesem Streit, die sagen, dass Rommel in diesem Punkt die Wahrheit sagt. Eine Quittung gibt es nicht. Rommel behauptet, er habe eine gewollt, aber Acar habe das abgelehnt.
Inan Acars Version: Mario Rommel hat ihm die Summe nicht gegeben: „Wer bitte gibt wem 30.000 Euro ohne irgendeinen Beleg?“ Laut Acar hat Rommel lediglich 5000 Euro in bar bezahlt.
Fakt ist: Rommel hat einen Kredit über 30.000 Euro bei seiner Bank aufgenommen. Das kann er belegen, die nächste Rate ist am 1. September fällig, wie er sie bezahlen soll, weiß er nicht. Das Geld rund um den Kneipenstreit hat auch die Aufmerksamkeit von Acars Insolvenzverwaltern erregt, das bestätigten sie uns am Telefon. Es gibt viele Hinweise, dass nicht alles sauber gelaufen ist. So sagt Acar bewiesenermaßen in einem Telefonat: „Ich werde euch niemals Quittungen schreiben“ und „Ich möchte das nicht versteuern das Geld.“
Der Streit beginnt
Streit um die 30.000 Euro gibt es Mitte Mai noch nicht. Dieser Konflikt bricht erst aus, als ohnehin schon alles im Argen liegt. Damals ist die Stimmung noch gut.
Ende Mai kommt dann Markus K. ins Spiel. Dem Schweriner gefällt die Idee, eine Kneipe zu besitzen. Rommel und er kennen sich lose und trotzdem beschließt er Rommels Geschäftspartner zu werden. Er will investieren, kauft Farbe, neue Stühle, die Rechnungen hat er alle fein säuberlich abgeheftet. Er zahlt auch ausstehende Löhne der Mitarbeiterinnen – bar – dafür hat er sich Quittungen unterschreiben lassen.
Doch während im Gleis 4 die Wände gestrichen werden, rumort es im Hintergrund zwischen den Dreien. Rommel bekommt von Acar keinen Schlüssel, soll zwischendurch sogar Hausverbot haben. Rommel stellt Anzeigen gegen Acar, nimmt sie dann wieder zurück – heute sagt er, er wurde gezwungen. Als Markus K. Anfang Juni in den Urlaub fährt, eskaliert die Situation zwischen Acar und Rommel. Wieder gibt es Anzeigen, wieder gibt es Streit, dafür liegen der Redaktion gleich mehrere Belege vor.

Alle an einem Tisch
Am 21. Juni setzen sich im Haus Oe alle Streitparteien im Heimatzimmer der historischen Kneipe zusammen. Aus gesicherten Quellen weiß die Redaktion, was an diesem Tag besprochen wurde. In der Runde am Tisch verhalten sich die drei Hauptakteure geradezu beispielhaft. Acar redet viel – hört sich vielleicht auch gern reden – und schafft es, Rommel mit kleinen Sticheleien zu provozieren. Großes Thema für Acar sind die Pachten. Für das Gleis 4 ist laut Acar nur die Pacht für den halben Mai geflossen – später dementiert er das.
Am Ende einigt man sich darauf, dass Markus K. die nächste Pacht (1500 Euro) für das Gleis 4 bezahlt. Die Quittung liegt vor. Die Pachten im Haus Oe möchte man durch Veranstaltungen wieder reinholen, darüber sind sich am Tisch alle einig. Am Ende werden neue Verträge unterschrieben, alle wollen auf Feiern und die Öffnung der Lokale hinarbeiten, um „Geld zu generieren“.
Es steht noch ein weiterer Vertrag im Raum: mit der Warsteiner Brauerei. Warsteiner will Rommel für das Gleis 4 am Bahnhof 25.000 Euro für Investitionen geben. Rommels Version: Er soll das Geld Inan Acar geben, für das Inventar im Haus Oe. Acars Version: Das stimme nicht. Was mit dem Geld stattdessen passieren sollte? „Das müssen Sie den Herrn Rommel fragen.“
Am Ende spielt es keine Rolle mehr. Rommel bekommt kein Geld, aber dafür ein Einschreiben: „Wie wir erfahren haben, wird die Absatzstätte [Gleis 4, Anm. d. Red.] von Ihnen nicht mit unseren Bieren betrieben.“ Rommel soll Entschädigung zahlen, 14.000 Euro. Die Frist für die Zahlung ist längst verstrichen. Rommel will dagegen vorgehen. Auf unsere Anfrage an die Warsteiner gibt es keine Antwort.

Wem gehört das Inventar?
Nach dem Treffen im Juni öffnen beide Kneipen, allerdings nur sporadisch und nicht regelmäßig. So steht es in den Kassenbüchern, die Markus K. führt. Nur decken die Einnahmen nach K.‘s Büchern kaum die vielen Ausgaben. Echten Gewinn gibt es nach diesen Unterlagen nicht. Acar behauptet später, Markus K. habe in dieser Zeit viel Geld mit dem Haus Oe gemacht. Dabei sagt Markus K., dass er noch nicht mal die vorgestreckten Rechnungen aus der Kasse genommen hat: „Es war ja eh schon nichts da.“ Als K. aufhört, die Bücher zu führen, hat das Haus Oe ein Plus von 89,01 Euro in der Kasse – das Gleis 4 macht sogar Minus.
Während sich die Verhandlungen mit der Warsteiner Brauerei hinzogen, soll Inan Acar Markus K. hinter dem Rücken von Rommel das Inventar des Haus Oe für 20.000 Euro zum Verkauf angeboten haben. Inan Acar sagt uns, es sei ganz anders gewesen. Markus K. habe ihm „20.000 Euro angeboten, wenn ich Herrn Rommel rausschmeiße.“ Doch gehört Familie Acar das Inventar überhaupt? Markus K. erzählt uns, das Inventar gehöre zu großen Teilen einem Getränkelieferanten aus Unna. Es sollte auch ein Mitarbeiter der Firma kommen und genau das bestätigen. Zu dem Treffen kommt es nicht mehr. Unsere schriftliche Anfrage und Anrufe bei dem Lieferanten laufen ins Leere.
Um den 2. Juli herum sitzen Markus K. und Mario Rommel beim Ordnungsamt, es geht um verschiedene Sicherheitsmängel in beiden Kneipen. Die Gaswarnanlage funktioniert nicht, Feuerlöscher sind abgelaufen und die Schilder an den Notausgängen leuchten nicht. Im Ordnungsamt wird Markus K. erst klar, dass die Kneipen nicht geöffnet sein dürfen. Im Nachhinein ärgert er sich, dass ihm das nicht früher aufgefallen ist.
Rommel unterschreibt Aufhebungsvertrag
Wenige Tage später treffen sich Acar und Rommel, zu zweit im Café del Sol – Markus K. weiß davon nichts. Am Ende unterschreibt Mario Rommel einen Aufhebungsvertrag. Das ändert alles. Er ist ab diesem Moment nicht mehr Unterpächter von Gleis 4 und Haus Oe. Er verpflichtet sich mit seiner Unterschrift ausgebliebene Pachten für beide Kneipen zu zahlen.
Mario Rommel hat mittlerweile etliche Aussagen zu diesen Verträgen gemacht: Sie seien gefälscht, Acar habe ihn mit Waffengewalt gezwungen zu unterschreiben, Acar habe ihn angelogen – die Liste ist lang.
Fakt ist: Rommel ist nicht mehr Unterpächter der beiden Kneipen. Für Markus K. ist das Spiel damit vorbei, anders als Rommel ficht er den Vertrag nicht an. Am 6. Juli schickt Inan Acar ihm eine Nachricht: „Hiermit erteile ich Ihnen mit sofortiger Wirkung Hausverbot.“ Markus K. ist ab jetzt nur noch eine Sache wichtig: „Ich möchte das Geld, was ich investiert habe, auch wieder zurückhaben.“
Für Haus Oe und Gleis 4 gibt es schon einen neuen Pächter, das bestätigt Inan Acar auf Anfrage. Geöffnet sind die Lokale noch nicht, doch ab und zu brennt mal Licht oder es ist jemand drin. Wann geöffnet wird, wie lange es dieses Mal hält? Ungewiss.
Schmutzige Wäsche im Internet
Nach dem Rauswurf können die Castrop-Rauxeler in verschiedenen Facebook-Gruppen verfolgen, wie Inan Acar und Mario Rommel sich Vorwürfe machen. Sie gehen weit unter die Gürtellinie. Acar wirft Rommel vor, pädophil zu sein, zerrt Details aus Rommels Krankheitsgeschichte an die Öffentlichkeit. Inan Acar erzählt uns von einem Mann, der von Mario Rommel angeheuert worden sei, um ihn zu verprügeln und behauptet, Markus K. habe seine Familie bedroht. Rommel sagt, Acar sei ein Betrüger und habe ihn bedroht.
Trotzdem kann Mario Rommel nicht loslassen: „Ich will die Gaststätten weiter betreiben“, sagt er der Redaktion. Seine Sturheit bringt ihm eine Anzeige ein. Er bricht am 8. August in das Haus Oe ein, soll Pfand und abgelaufene Cola geklaut haben. Er will mit dem Fahrrad fliehen, aber jemand hat die Reifen zerstochen.
Die Vorwürfe lassen sich kaum nachprüfen und sichere Belege gibt es nicht. Markus K. legt uns Sprachnachrichten von Acar an ihn vor: „Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du kleine Schwuchtel?“ oder „Ich werde alle, die mir was wollten, ich werde die richtig fertigmachen.“ Die Liste der Bedrohungen ließe sich noch viel weiterschreiben, auch gegen Familienmitglieder von Markus K.
Eine zweifelhafte Entschuldigung
Am 21. August telefonieren wir mittags mit Inan Acar. Er beantwortet letzte Fragen und kündigt an, dass es heute noch ein Statement geben wird, wir sollten doch die Augen offenhalten. Was er meine? Mehr verrät er nicht.
Am Abend wird Mario Rommel eine Nachricht zugeschickt. Sein ohnehin zweifelhafter Ruf in Castrop-Rauxel ist mittlerweile ruiniert. Er erzählt uns, dass er auf offener Straße beleidigt wird, der Vorwurf der Pädophilie wiegt schwer. Um 19.22 Uhr bekommt er eine Nachricht, nicht von Acar, sondern von einer Person, die Vermittler zwischen Acar und Rommel spielt. Der Screenshot eines Chat-Verlaufs, der der Redaktion vorliegt, zeigt den Namen „Mirsad Freiberg“. Der Castrop-Rauxeler ist nicht zuletzt als Besitzer von Immobilien und als Unternehmer bekannt, außerdem leitete er eine Kampfkunstschule.
Laut Rommel war Freiberg früher mal sein Freund, doch der Wind hat sich anscheinend gedreht. Es ist ein langes, vorformuliertes Statement, das Rommel veröffentlichen soll: „Liebe Castroper, ich möchte mich auf diesem Weg und in aller Öffentlichkeit bei der Familie Acar entschuldigen.“ Auf einer halben DIN A4-Seite soll Mario Rommel öffentlich die komplette Schuld auf Markus K. schieben. Alle Vorwürfe gegen Acar soll er zurücknehmen. Mario Rommel will die Nachricht nicht veröffentlichen: „Auf keinen Fall, damit würde ich mir ja selbst schaden. Das stimmt nicht.“
Wenige Stunden nach diesem Gespräch postet Mario Rommel das Statement.