
Mein Freund wurde als Kleinkind in den frühen 60er-Jahren im Kinderwagen angegurtet, kam beim Laufen in eine Art Pferdegeschirr. Nicht etwa, weil seine Eltern böse Menschen waren. Nein, es war die Sorge um das Kind, die sie antrieb. Der Freund war umtriebig, unternehmungslustig. Darum kam er aus Sicherheitsgründen an die Leine, wenn seine Mutter mit ihm und seinem Bruder unterwegs war. Wie viele Kinder damals.
Die Fotos davon haben ihn und mich später trotzdem immer verstört. Aufgewachsen in einer Zeit, in der man sich von den Fesseln der obrigkeitshörigen Kaiserzeit, des mörderischen Nazi-Regimes und der prüden 50er-Jahre endlich lösen wollte, passte ein solches „an die kurze Leine nehmen“ nicht in unser Weltbild einer offenen, selbstbestimmten Menschheit.
Argument Sicherheit
Die Aversion gegen Menschen in Fesseln ist geblieben, macht mich bis heute zu einem vehementen Verfechter von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit. Starker Tobak an dieser Stelle, an der es doch nur um eine Sicherheitsleine einer Tagesmutter für ein Kind geht? Das mag so sein. Aber das ungute Gefühl beim Anblick des Kindes geht dadurch nicht weg.
Um Menschen ihrer eigenen Sicherheit wegen im Kranken- oder Pflegebett zu fixieren, bedarf es eines richterlichen Beschlusses. Die Fixierung eines Patienten stellt laut Bundesverfassungsgericht nämlich einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person dar.
An der Hand halten
Auch ein Kleinkind hat dieses Grundrecht auf Freiheit, auch wenn es, wie bei einem fraglichen Patienten, um seine Sicherheit geht. Natürlich muss man das Kind zurückhalten, damit es nicht etwa in den Verkehr läuft. Aber gibt es nicht immer auch irgendeinen Weg, es dabei an der Hand zu halten, statt es anzuleinen?
Die Leine mag da praktisch sein. Das Bild, das sie abgibt, ist aber ein unmenschliches.
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