Mario Rommel, Lokführer im Güterverkehr und parteiloser Bürgermeisterkandidat bei der letzten Kommunalwahl, wollte ins Gastro-Geschäft. Er sah es als die Gelegenheit, als das Haus Oestreich auf Schwerin und das Gleis 4 am Hauptbahnhof geschlossen wurden. Deren Pächter war und ist der Schweriner Inan Acar. Rommel soll nach eigenen Angaben 30.000 Euro investiert haben. Doch nach wenigen Öffnungstagen in den vergangenen Wochen sind die Gaststätten an den meisten Tagen geschlossen. Aber auch nicht immer. Auf Facebook wird ganz viel schmutzige Wäsche gewaschen. Hinter den Kulissen soll es noch härter zugehen. Aber von vorn.
Haus Oe ist eine Institution in Castrop-Rauxel. Das Haus, in dem die Traditionsgaststätte mit rund 125 Jahren Geschichte untergebracht ist, gehört einem über 90-jährigen Mann, der ganz in der Nähe wohnt. Früher, als „Corny“ Hilpert hier über Jahrzehnte der Wirt war, lief alles. Nicht immer war das Geschäft super, aber man half sich gegenseitig und schaffte es so, die Eckkneipe mit Saal und Biergarten zu erhalten.
Mitte 2020 ging Alfred Hilpert in den wohlverdienten Ruhestand. Nach 23 Jahren hinter der Theke war Schluss für den 72-Jährigen. Es schien, als sollte es gut weiter gehen: Dachdecker Christian Pachholleck, Mitte 20, trat als neuer Pächter dieser und auch der Gaststätte Gleis 4 in Rauxel auf, die seither immer im Doppelpack zu nehmen sind. Auch Aleksandra Galwas, sie sollte das laufende Geschäft stemmen, stellte sich vor unsere Kamera.
Übernahme kurz vor Corona
Doch es kam eine schwierige Zeit für die Gastronomie: Das Coronavirus brach aus, im März 2020 wurde Covid-19 zur Pandemie erklärt. Es gab Auflagen, es gab Schließungen. Und es gab staatliche Hilfen, auch und vor allem für Gastro-Betriebe. Erstmals trat dabei 2021 Inan Acar ins Licht der Öffentlichkeit. Der damals 43-Jährige gab unserer Redaktion im Februar einen Einblick ins Geschäftliche. Er sagte, damals durchaus gegen den Mainstream, der eher beklagte, dass das Geld so schwer zu beantragen und bekommen sei: Die Corona-Hilfen retten uns.
Auch er ist wie der Vermieter des Hauses Schweriner, wohnt ebenfalls in der Siedlung, wurde in Castrop-Rauxel geboren. Und sagte damals, er sei angestellt als Betriebsleiter der beiden Gaststätten. Er stellte damals den neuen Lieferservice vor, warb für die gute Küche und erklärte, wie er sich die Zukunft von Haus Oe vorstelle

Die Corona-Pandemie ist lange Geschichte. Ums Haus Oe wurde es ruhiger. Es gab vereinzelt Konzerte, als es wieder ging, der Saal soll auch für private Feiern vermietet worden sein. Die Kneipe war mal geöffnet, mal auch nicht. Der Lieferdienst bot mal an, dann wieder nicht. Ende 2022 hieß es, Haus Oe sei Opfer eines Hackerangriffs geworden. Darum könne man bei Instagram und Facebook nichts mehr einstellen, beklagte Inan Acar damals gegenüber unserer Redaktion.
Bis Ende März 2024 wurde es öffentlich still. Zu der Zeit tauchte Gleis 4 bei „Kleinanzeigen“ auf. Verhandlungsbasis 40.000 Euro: So lautete die Anzeige, in der Inan Acar als Verkäufer angegeben war. Monatsmiete knapp 2000 Euro, hieß es. Es war Inventar aufgelistet, das man käuflich erwerben würde, wie Möbel und Theke, Kühl- und Klimaanlage.

Doch nur wenige Tage später war die Anzeige gelöscht: Am 8. April erklärte Inan Acar, er selbst habe sich eigentlich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Das Inserat sei ein Testballon gewesen. Nun wolle man eine „Discounter-Kneipe“ aus dem Gleis 4 machen. Unter der Regie von Aleksandra Galwas.
Im Mai und Juni die nächste Überraschung: Mario Rommel trat als Käufer und neuer Pächter beider Gaststätten auf die Bühne. Anfang Juni bekam er wohl die Konzession von der Stadt. Dabei, so wird jetzt klar, lief das Geschäft aber über Bande: Er soll mit Inan Acar ausgehandelt haben, 30.000 Euro fürs Inventar zu bezahlen, soll sich dafür einen Kredit bei der Targobank genommen haben und plante eine Eröffnung pünktlich zur Fußball-EM 2024. „Die 15.000 Euro fürs Inventar im Gleis 4 waren angemessen“, sagt Rommel heute. Er soll eine angeforderte Quittung nicht erhalten haben.
Verträge über Bande und viel Bargeld
Das Geschäft lief (oder läuft) über Bande, wie jetzt bekannt wurde: Vertragsnehmer Rommel sollte laut Mietvertrag die monatliche Pacht an Vertragsgeber Inan Acar zahlen. Haus Oe soll Rommel nach Informationen unserer Redaktion demnach 2600 Euro im Monat kosten. Acar soll an den Eigentümer rund 2100 Euro zahlen. Im Mietvertrag soll festgehalten sein, dass bar zu zahlen ist. Noch ein Detail: Auf den Betrieben liegen vertraglich vereinbarte Bezugsverpflichtungen. Das ist im Gastro-Geschäft üblich: Es gibt feste Getränke-Lieferanten. Im Mietvertrag ist eine Klausel fixiert, nach der bei Vertragsbruch, sprich bei Getränkebezug aus anderen Quellen, 45 Euro pro ausgeschenktem Hektoliter Vertragsstrafe zu zahlen seien. An Inan Acar.
Der Rommel-Start verlief aber mehr als holprig. Er renovierte nach eigenen Angaben mit Beschäftigten vor allem im Gleis 4: Anstrich, Möbel neu polstern, Tische neu beziehen – all das sei richtig gut geworden, meint er. Aber: Die Stadt entzog dem neuen Betreiber die Konzession für beide Lokale. So sagt er es. Die Stadt bestätigt auf Anfrage, dass man bei einer Begehung vor einigen Wochen im Gleis 4 festgestellt habe, dass Brandschutzauflagen nicht erfüllt seien. In einem Lokal seien die Feuerlöscher abgelaufen, im anderen die Kohlendioxid-Anlage für die Zapfanlage wohl nicht nach Vorschrift, sagt Rommel selbst. Sicherheitsrelevante Mängel, die erst zu beheben seien. „Das mach‘ ich, ist kein Problem“, so Rommel.
Dennoch sollen die Lokale phasenweise geöffnet gewesen sein. Das sollen einstige Angestellte zum Teil in Eigenverantwortung gemacht haben, behauptet er. In einer Facebook-Schlammschlacht wurde Rommel von Beschäftigten halböffentlich bis ins Persönlichste diskreditiert. Ein Vorwurf von vielen anderen, die hier nicht zentral eine Rolle spielen, soll lauten, er habe die 30.000 Euro niemals bezahlt. Das behauptet er aber gegenüber unserer Redaktion.
Er selbst sagt, es habe in den vergangenen Wochen verschiedenste Drohungen gegeben. Er habe mehrere Strafanzeigen bei der Polizei erstattet. Er selbst sei gegen die Öffnungen ohne Konzession selbst vorgegangen, habe Ordnungsdienst und Polizei hinzugeholt. Es habe auch Ortstermine gegeben. Doch er sei einmal abgewimmelt worden.

Rommel behauptet, inzwischen seien Schlösser ausgetauscht worden. Mit seinem Generalschlüssel komme er nicht mehr in die Lokale. „Dabei wollte ich immer eine Kneipe haben“, sagt Mario Rommel. Er habe nach der Übernahme das Haus Oe in ein Partylocation-Portal eingestellt. Binnen kurzer Zeit habe er mehrere Anfragen für den 200 Leute fassenden Saal erhalten. „Man kann damit richtig Geld verdienen“, sagt Mario Rommel.
Er wolle am liebsten weiter machen, schwärmt immer wieder von dem tollen türkischen Koch im Haus Oestreich. Bei DB Schenker wolle er kürzertreten. Zurzeit sei er krankgeschrieben wegen einer Entzündung am Fuß. Vorher habe er etwas am Bein gehabt.
Sein Umgang gegenüber Mitarbeitern im Gleis 4 soll nicht einwandfrei sein, heißt es. Es soll Bedrohungen gegeben haben, auch gegenüber der Familie von Inan Acar. Der wiederum soll auch gedroht haben.
Inan Acar, zurzeit im Urlaub, sagt, er habe Mario Rommel die Verträge gekündigt. Rommel habe keine Pachten bezahlt. Es gebe Aufhebungsverträge. Darum seien die Lokalitäten zurzeit geschlossen. Er sei bereit, nach dem Urlaub die Unterlagen vorzulegen. Es geht auch um mögliche Strafanzeigen wegen Bedrohung und Verleumdung, wohl hüben wie drüben.
Unter dem Strich ist aktuell nur eines richtig klar: Die Lokale haben geschlossen. Ohne Konzession und ohne gültige Verträge kann kein Betrieb stattfinden. Inan Acar will raus aus den Verträgen mit Mario Rommel. Mario Rommel würde am liebsten als direkter Pächter beim Eigentümer beide Lokale betreiben. Ob die 125 Jahre alte Geschichte von Haus Oe hier unrühmlich endet: Ende offen.