„Wenn du nicht wählen gehst, unterstützt du Extremisten“ Was tun, um für die EU zu werben?

Drei Parteien, ein Raum voller Schüler und eine große Aufgabe
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Montag, fünfte Stunde am Adalbert-Stifter-Gymnasium in Castrop-Rauxel. In der Aula bauen mehrere junge Menschen ihre Bühne auf. Eine Europaflagge wird aufgehängt, eine Girlande gespannt, an den Stühlen werden kleine EU-Flaggen mit Tesafilm befestigt. Das Thema ist klar: die EU. Niklas von Estorff (Junge Union), Rosalie Starke, Selim Korkutan (beide Grüne Jugend) und Nora Chouiqa (KiJuPa, Juso) wollen über die Europawahl informieren. Am Sonntag dürfen zum ersten Mal auch 16-Jährige das Europäische Parlament mitwählen.

Die ersten Schüler kommen aus der Pause und setzen sich hin, alle in die Mitte. In die ersten Reihen will sich noch keiner setzen, wenn er nicht muss. „Die Arbeit war echt voll anstrengend“, „Ne, ich glaube, wir haben Vertretung“, „Kann ich kurz deine Bürste“, leise unterhalten sich die Jugendlichen. Es wird voller, nicht nur Schüler vom ASG sind da, auch vom Ernst-Barlach-Gymnasium sind Kurse anwesend. Es wird voller, und lauter, dann ergreift Moderatorin Nora Chouiqa das Wort. Sie ist bei den Jusos aktiv, heute aber in ihrer Rolle als Leiterin des Kinder- und Jugendparlaments als neutrale Moderatorin da.

Auf der Bühne sitzen Niklas von Estorff, Rosalie Starke und Selim Korkutan. Zwei Parteien. Direkt am Anfang geht Nora Chouiqa darauf ein. Man habe nur diejenigen eingeladen, die auch einen Jugendverband in Castrop-Rauxel haben. Das sind allerdings nur CDU, SPD und Grüne. Die Jusos seinen aber aus Krankheitsgründen nicht vertreten, so bleiben zwei Parteien. Die AfD habe man grundsätzlich nicht einladen wollen, Jugendverband hin oder her. „Weil wir deren Werte nicht vertreten und sie gegen Europa sind“, erklärt Nora knapp.

Die EU im Schnelldurchlauf

Sie fragt zu Beginn, wer denn eigentlich älter als 16 ist und damit wählen darf: Mehr als die Hälfte der Hände gehen hoch. Sie beginnen mit einem Appell für die Wahl: „Wenn du nicht wählen gehst, unterstützt du automatisch Extremisten“ steht in großen Buchstaben auf einer Folie.

Dann gibt es einen Crashkurs in Sachen EU, wie eine Stunde Sozialwissenschaft im Schnelldurchlauf. Viel zu schnell steht ganz viel Text auf den Folien, von den Vorläufern der EU geht es im Rekordtempo bis in die Gegenwart. Es wird unruhig im Raum. Ein paar Werte werden eingeblendet, Reisefreiheit, Frieden, doch so richtig passen die meisten Schüler nicht auf.

Nora Chouiqa hat die Veranstaltung in der Aula des ASG moderiert.
Nora Chouiqa hat die Veranstaltung in der Aula des ASG moderiert. © Nora Varga

Dann kündigt Nora ein Video an: „Es wäre schön, wenn ihr aufpasst.“ Doch die Bitte ist gar nicht nötig. Der kleine Film fesselt die vorher so unruhigen Schüler direkt. Das Video zeigt verschiedene Großmütter und Großväter aus der EU, hinter der Kamera sitzen ihre Enkel. Eine Frau erzählt, wie ihre Mutter von Soldaten erschossen wurde, um ihr Leben zu retten. Eine andere berichtet, wie Prag 1968 von Soldaten eingenommen wurde, eine weitere von Erschießungen während der rumänischen Revolution 1989. Untermalt von langsamer Klaviermusik starren die Schüler gebannt auf die Geschichten der Großeltern. Die Letzte schließt mit: „Passt gut auf die Demokratie auf, wenn ich nicht mehr bin.“

Danach gibt es einen Werbeblock für die Jugendparteien. Weil keiner von den Jusos da ist, übernimmt skurrilerweise Rosalie Starke von den Grünen. Bei der Vorstellung gibt es keine Überraschungen, nichts, was man nicht auch schon auf den Wahlplakaten gelesen hätte, die überall hängen. Einzig als Selim Korkutan eine Döner-Aktion der Grünen Jugend ankündigt, bei der es Döner für drei Euro gibt, brandet tosender Applaus auf.

Schüler für Europa zu begeistern, ist keine leichte Aufgabe. Gerade an einem Montag in der fünften und sechsten Stunde nicht.
Schüler für Europa zu begeistern, ist keine leichte Aufgabe. Gerade an einem Montag in der fünften und sechsten Stunde nicht. © Nora Varga

Im zweiten Teil gibt es eine Podiumsdiskussion. Die Schüler konnten in der Pause Zettel mit Fragen in eine Kiste werfen. Die Fragen sind überraschend auf den Punkt, vielleicht schon provokant. „Ist es wirklich transparent, die AfD nicht einzuladen, sollte man nicht aufklären, wofür die Partei steht?“ Man wolle die Positionen nicht wiederholen. „Warum ist die CDU vertreten, die AfD aber nicht, wenn doch beide in Potsdam mit dabei waren?“ Vehementer Widerspruch von Niklas von Estorff.

Eine aufgeladene Fragerunde

Während die drei Jungpolitiker diskutieren, kocht die Stimmung hoch. Es wird gejohlt und reingerufen, aber die Schüler passen auf. „Warum reden wir so viel über das Sylt-Video, aber nicht über den Anschlag in Mannheim?“ Eine finale Antwort darauf schafft das Podium nicht. Richtig hitzig, wird es dann bei der letzten Frage. Eine Schülerin stellt sie live, traut sich vor allen zu sprechen: „Was machen Sie mit Leuten, die nach Deutschland kommen und sich nicht an Regeln halten wollen?“ Nach der Frage gibt es Applaus, jemand jubelt.

Rosalie Starke versucht zu erklären, warum alle Menschen Schutz vor Verfolgung verdienen. Die Debatte dreht sich in eine andere Richtung, es geht um Migration und Integration. Niklas von Estorff sagt schließlich: „Wer die Bezahlkarte für Flüchtlinge ablehnt, der will sich nicht integrieren.“ Johlender Applaus. Wollen die Schüler provozieren oder fühlen sie sich gehört? Es bleibt unklar.

Es gibt nochmal einen Dank an das Podium und die Schüler für ihre Aufmerksamkeit. Im Abschlussapplaus springen die ersten schon auf. Nach zwei Minuten ist der Saal leer.

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