
Wenn Jörg Haase ein besonders interessantes Teil repariert, baut er die Kamera auf. Mehr als 11.000 Menschen wollen ihm bei YouTube zusehen. © Ronny von Wangenheim
Elektronik-Reparaturen machen Castrop-Rauxeler zum YouTube-Star
Mit Video
Die Materie ist kompliziert. Jörg Haase (62) macht sie einfach. Wenn er Unterhaltungselektronik repariert, schauen Menschen aus ganz Deutschland zu. Sein YouTube-Kanal wird immer beliebter.
Unter einem YouTube-Star stellt man sich jemand anders vor. Jörg Haase ist 62 Jahre alt, ein ruhiger Typ mit nüchterner Ausstrahlung und unaufgeregter Stimme. Musik und Effekte braucht er nicht. Seine Leidenschaft: Das Reparieren von Unterhaltungs- und Haushaltselektronik.
Doch wenn er zu Schraubenzieher oder Lötkolben greift, wollen immer mehr Menschen bei YouTube zusehen. Und das nicht nur aus Deutschland. Wir waren in seiner Werkstatt. Auch für unser Video spricht er aus dem Stegreif.
11.312 Abonnenten zählt sein YouTube-Kanal. „Für einen technischen Kanal in Deutschland ist das eine immense Zahl“, sagt Jörg Haase. Und liefert weitere Zahlen: 1.773.399 Klicks gab es bislang. 160 Tutorials hat er in ziemlich genau drei Jahren veröffentlicht. Ein Video über Fake-Bauelemente wurde bislang 139.145-mal angesehen. 9 Prozent der Abonnenten kommen aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden.
Jörg Haase animiert Radio- und Fernsehtechniker aktiv zu werden
Gestartet hat der Castrop-Rauxeler unter dem Namen Repaircafé. Seit er dort vor Kurzem ausgestiegen ist, hat er den Kanal in VE99 Online umbenannt. Gerade hat Jörg Haase eine Pause eingelegt. Drei Wochen war er nicht in seiner Werkstatt. Corona hatte ihn schwer erwischt. „Das gab es noch nie“, sagt er lachend.
Dinge zu reparieren, sie damit am Leben zu erhalten, Sinn für Nachhaltigkeit zu entwickeln, etwas gegen unsere Wegwerfgesellschaft zu tun, dafür brennt er, dafür will er andere begeistern. Und das mit Erfolg. Radio- und Fernsehtechniker im Ruhestand, so erzählt, schreiben ihm, dass sie ihre Werkzeuge rausgeholt haben und wieder anfangen zu reparieren. Das sind wichtige Momente für Jörg Haase.
Der Castrop-Rauxeler ist gelernter Maschinenschlosser. Später hat er sich zum Radio- und Fernsehtechniker ausgebildet. Den ersten Fernseher hat er lange vorher repariert, schon als Schüler ein Radio gebaut. „Ich bin Autodidakt, mein Leben lang“, sagt er. Dinge zu erklären, fällt ihm nicht schwer. Beruflich ist Haase seit 47 Jahren bei der Deutschen Bahn und inzwischen als führende Lehrkraft für Bremsinstandhaltung in Frankfurt aktiv.
Jörg Haase repariert, was keiner mehr reparieren kann
Unter dem Namen „Der Silberling“ hat er für Fans und Profis übrigens einen zweiten Kanal zum Thema Eisenbahn eingerichtet. Hier wie da geht es Jörg Haase darum, dass Erfahrungswissen und Fachwissen nicht verloren geht. „Das Internet bleibt ja“, sagt er.

Dieses alte Röhrenradio, seinerzeit ein Spitzenprodukt, liefert nach der Reparatur einen tollen Radiosound in Jörg Haases Wohnzimmer. © Ronny von Wangenheim
„In der Elektronik gibt es nichts, was ich nicht anfasse“, sagt er. „Ich repariere das, was keiner mehr reparieren kann.“ Für seinen YouTube-Kanal muss er inzwischen auswählen. Viele Menschen bieten ihm Dinge an. Aber auch weniger schöne Schreiben wie: „Kann ich meine Heißluftfritteuse vorbeibringen und wann kann ich sie wieder abholen“, erreichen ihn.
Haase selektiert: „Was ist für die Allgemeinheit interessant, was ist erhaltenswert und in welcher Lage sind die Menschen, die sich melden“, sagt er. Wenn es also um ein Andenken mit hohem emotionalen Wert geht, steckt er gerne Stunden in die Reparatur. Und schaltet dabei die Kamera an.
Seefunkempfänger aus dem Sperrmüll bleibt Nachwelt erhalten
Ein Beispiel: „Ein Berliner meldete sich, seine Schwester habe in München im Sperrmüll einen alten Seefunkempfänger entdeckt. Er suchte jemanden, der ihn reparieren konnte.“ In zwei Videos kann man Jörg Haase nun dabei beobachten. „Das war eine Spitzenleistung deutscher Ingenieurkunst. Das sind die Sachen, die mich interessieren,“ sagt er. Ihn freut der Gedanke, dass diese Videos auch noch in 20 Jahren zu finden sein werden – und damit dieses auch historisch gesehen wichtige Gerät.

Der Arbeitsplatz von Jörg Haase in seiner Werkstatt © Ronny von Wangenheim
Manche Geräte also gehen nach der Reparatur zurück an den Besitzer, der die Ersatzkosten zahlt. Andere Sachen bekommt Jörg Haase geschenkt oder gespendet. Manchmal verlost er ein Gerät. Manchmal versteigert er es nach der Reparatur. 700 Euro seien so kürzlich für die Ukraine-Hilfe zusammengekommen, erzählt er. Als ihm 40 Messgeräte aus einer geschlossenen Berufsschule geschenkt wurden, hat er diese ganz im Sinne der Nachhaltigkeit an Studenten der Elektrotechnik weitergegeben. Das sind Dinge, die den 62-Jährigen freuen.
Das erste Video entstand 2019. Per Ebay-Kleinanzeigen hatte ein Saarländer angefragt, wer eine „Hutschachtel“, wie sich ein alter Plattenspieler aufgrund seiner Form nennt, reparieren könne. Jörg Haase machte gerade Urlaub in der Nähe und konnte. Damit startete sein YouTube-Kanal. „Es gibt hervorragende Technik-Kanäle“, sagt er, „aber sie sind alle auf Englisch.“ Das sei schwierig, wenn es um Fachbegriffe geht.
YouTube-Kanal kommt mit einem Autoradio in Schwung
So richtig in Schwung kam der YouTube-Kanal, als Jörg Haase ein Citan-Autoradio untersuchte, dass im eigenen Auto viel Probleme bereitete. „Da habe ich Murks nachgewiesen“, erzählt er. 80.000 Klicks habe es darauf gegeben. Spitzenreiter ist bislang ein Video zu einem Blu-Ray-Player und Fake-Bauelementen. 139.145 Klicks hat es bisher.

Mit diesen alten Geräten setzt sich Jörg Haase manchmal mit Funkern in Verbindung. Die staunen immer, dass jemand bewusst nicht auf neue Technik setzt. Und dass das auch funktioniert. © Ronny von Wangenheim
„Ein Kollege hatte für einen Blue-Ray-Player Ersatzteile bestellt, die aus China kamen. Fünf Steuer-Chips für 10 Euro, alle funktionierten nicht.“ So erzählt er. Am Ende haben sie diese Teile bei einer Spezialfirma röntgen lassen. Das Ergebnis: „Es war kein Chip drin.“ Betrug also. „Das interessierte die Menschen“, sagt Haase. Aber auch das Video über eine simple Steckdosenleiste fand viele Interessenten.
Werbeangebote lehnt Jörg Haase ab: Will unabhängig bleiben
Manchmal stellt Jörg Haase auch Geräte vor. „Aber nur, wenn ich sie gut finde“, sagt er. Eine Firma, so erzählt er, habe danach 40 Prozent Umsatzsteigerung gehabt. Werbeangebote allerdings lehnt er ab, auch wenn „pausenlos Mails von Herstellern kommen“.
Jörg Haase will unabhängig bleiben. „Ich habe keine monitären Interessen“ – das ist ihm wichtig. Der größte Gewinn, auch das erzählt er, sei eine enge Freundschaft, die über seinen Youtube-Kanal entstanden sei: „Ein Lotto-Volltreffer“.
Nach der Corona-Zwangspause geht es jetzt langsam wieder los. Mit zwei Videos hat sich Jörg Haase zurückgemeldet. Ein Schachcomputer von 1989 aus der DDR steht als nächstes an, außerdem zwei hochwertige Revox-Geräte. Seine Fans freuen sich. „Micha“ beispielsweise schreibt: „Als großer Revox-Fan freue ich mich natürlich auf die angekündigten Projekte. Eine neue Platine für den B251 habe ich auch schon hier. Da warte ich mit der Generalüberholung noch dein Video ab, um aus deinen Erfahrungen zu lernen.“