Das EBG hat eine neue Flüchtlingsklasse
Interviews mit Verantwortlichen
Für das Ernst-Barlach-Gymnasium beginnt ein neuer Abschnitt: Seit Mittwochmorgen hat die Schule eine eigene Flüchtlingsklasse. In Interviews erklären der Schulleiter und eine der federführenden Lehrerinnen, welche Chancen und Herausforderungen auf sie und die neuen Schüler warten.
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Friedrich Mayer, Sie haben am Ernst-Barlach-Gymnasium eine neue Schulklasse, die sich aus Flüchtlingen zusammensetzt.
Ja, da muss ich aber korrigieren: Es ist zwar eine Klasse, die aus Flüchtlingen besteht, aber in Fachdeutsch würde man dabei von äußerer Differenzierung sprechen. Die Schüler haben gemeinsam jeden Tag ein paar Stunden Deutsch und gehen dann in die Regelklassen – und zwar Fifty-fifty: An den langen Tagen haben sie zuerst vier, an den kurzen Tagen drei Stunden zusammen Deutschunterricht, danach werden sie irgendwelchen Klassen zugewiesen: 5a, 5b, 6c…
Was steckt dahinter?
Wir wollen die Schüler nicht überfordern mit acht Stunden Deutsch am Tag und gleichzeitig Kontakte herstellen zu gleichaltrigen Schülern. Auch wenn sie natürlich fachlich aus dem Unterricht zum Beispiel in Biologie erst einmal nicht so viel mitnehmen können. Aber so ist das geplant, und im Laufe der Monate schauen wir dann, wer stärker in den Regelunterricht der eigentlichen Klasse eingegliedert werden kann.
Haben Sie in der Schule sich das selbst ausgedacht oder ist das ein Konzept, das landesweit zum Einsatz kommt?
Nein, das regelt jede Schule selbst für sich – und ich habe mir das so ausgedacht.
Warum halten Sie das so für das richtige Modell? Ist es nicht eher für Schüler ein Hemmnis, weil sie fachlich nichts lernen in den ersten Monaten?
Sie lernen schon viel. Vier Stunden eine Fremdsprache am Tag zu lernen bei Schülern, die zum Teil auch in ihrer Muttersprache Analphabeten sind – das ist Herausforderung genug. Zwei solcher Schüler aus Irak und Syrien haben wir dabei. Sie sprechen Arabisch, aber können weder lesen noch schreiben. Außerdem wollten wir keine Exotenklasse schaffen, zu der die anderen Schüler herüber schauen und sagen: „Ach, das sind die Flüchtlinge da hinten.“ In unserem System werden sie zu Mitschülern. Wenn man allein oder zu zweit in einer fünften Klasse sitzt, lernt man durchs Alltagsgespräch auch viel Deutsch.
Wir haben zwei Kinder, die mutmaßlich in die siebte Klasse gehen müssten. Aber da wissen wir auch nicht, ob die Angaben genau stimmen. Vielleicht kommen sie aber auch in die siebte Klasse bei uns, das müssen wir dann sehen.
Die neue Flüchtlingsklasse am EBG
Ist das für die Lehre in einer Klasse denn nicht hinderlich, wenn da nun Leute dazu kommen, die dem Unterricht inhaltlich gar nicht folgen können? Und welche Herausforderung ist das für die jeweilige Lehrkraft?
Die größte Herausforderung besteht für Frau Hoste und Frau Knade, die den Deutschunterricht machen. Die anderen Lehrkräfte haben ja in der Regel nur ein bis zwei Schüler. Das ist auch eine Herausforderung, klar, aber die hält sich im Rahmen. Ich erwarte von den Lehrern ja nicht, dass sie denen in den ersten Wochen Englisch, Mathe und alles andere beibringen. Das wird sich im Laufe der Zeit einspielen. Sie bekommen auch keine Noten am Ende des Halbjahres, die über die Versetzung entscheiden.
Das sind nun 17 Schüler. Ist das eine gute Zahl zum Start für Sie als Schule oder hätten Sie sich eine kleinere Dosis gewünscht?
Eine kleinere Dosis wäre natürlich besser, aber eine Klasse mit 17 lässt sich handlen. Erst wenn es mehr als 20 werden, ist das schwierig. Es hängt ja auch von den Vorkenntnissen ab: Es sind Schüler dabei, die waren schon ein halbes Jahr in Ostdeutschland an der Schule. Sie können schon etwas Deutsch. Das Problem ist nicht die Gruppengröße, sondern die Heterogenität, die Spannweite der Vorkenntnisse.
Jetzt kam das recht kurzfristig auf Sie zu. War das ein Problem, vor allem für Frau Knade und Frau Hoste?
Frau Hoste haben wir als Vertretungskraft eingestellt. Sie hat eine Zusatzausbildung in Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Und sie hat an der Schule in Herten, an der sie ihr Referendariat gemacht hat, schon Flüchtlingsklassen betreut. Sie hat schon Ahnung. Für Frau Knade ist die Sache neu, aber im Team wird das schon funktionieren.
Sind denn beide gleichzeitig in der Klasse?
Ja, in den ersten beiden Stunden eines jeden Tages sind die beiden Kolleginnen gemeinsam in der Klasse, als Team. Aber der dritten und vierten Stunde ist Frau Hoste da und wird durch andere Kräfte ergänzt. Eine Kollegin, die wir bis Weihnachten hier haben, ist Frau Al-Jabari, eine Kurdin aus dem Irak. Sie kann eine kulturelle Brücke sein und wird das sehr gut machen. Und es kommen auch andere Lehrer dazu, die nicht unbedingt Deutschlehrer sein müssen, die aber noch Zeit haben.
Wer ist Frau Al-Jabari?
Sie will im Mai ins Referendariat gehen, hat also ihr erstes Staatsexamen an der Uni gemacht und ist seit Sommer als Vertretungskraft bei uns. Sie macht auch normalen Unterricht in einer achten Klasse, das läuft auch schon sehr gut. Sie scheint ein Naturtalent zu sein… Sie spricht Kurdisch.
Was waren die Auswirkungen auf den Stellenplan der Schule?
Die Schüler werden wie normale deutsche Schüler gezählt. Und danach bemisst sich ja auch die Stellenzahl. Eigentlich hat sich dadurch jetzt nichts getan, aber wenn Ende November alle Schulen ihre Flüchtlingskinder haben, dann soll geschaut werden, ob die eine oder andere Schule noch eine zusätzliche Kraft mit der Spezialausbildung hat. Und darauf hoffe ich persönlich.
Da gibt es aber vermutlich wenig Fachkräfte-Personal…
So ist das. Sie sind sehr begehrt. Eine Kollegin, die bei uns befristet war, hat die Ausbildung Deutsch als Fremdsprache gemacht. Weil wir aber keine feste Stelle für sie frei hatten, hat sie unsere Schule verlassen. Aber Frau Hoste habe ich als Plan B im Hinterkopf…
Blick in die Zukunft: Wann, glauben Sie, haben Sie es geschafft, diese Schüler, die heute ihren ersten Schultag haben, wie die anderen Schüler normal im Unterricht mitlaufen zu lassen?
Wenn ich ehrlich bin: Keine Ahnung! Das Gebiet ist für uns alle neu. Und wir wissen auch gar nicht, ob die Schule überhaupt gymnasialtauglich sind – also in ihrer Heimatsprache. Würden sie in der Heimat eine höhere Schulbildung absolvieren können? Das wissen wir nicht.
Und wann stellt man das fest? Gibt es irgendwann den Moment, an dem man die Schüler einstuft?
Das soll nach maximal zwei Jahren geschehen.
Wer macht das dann? Die Lehrerinnen selbst?
Das machen wir hausintern, so sehe ich das. Wir können ja aber nach zwei Jahren zu einem heute Zehnjährigen sagen: Okay, die Perspektiven sind gut, im Moment ist das Niveau noch nicht erreicht – aber wiederhole doch noch mal die sechste Klasse.
Wir haben am Mittwoch auch mit Miriam Knade, Klassenlehrerin der 8a und tätig in den neuen Deutsch-Vorbereitungsstunden für die Flüchtlinge, selbst gesprochen:
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Was konkret passiert denn heute mit den Kindern?
Wir begrüßen die 14 Jungen und 3 Mädchen, die heute hier starten. Zwei kommen aus Somalia, acht aus Syrien, fünf aus dem Irak und zwei aus Rumänien. Das machen wir zusammen mit meiner Klasse 8a, die das Büfett mitorganisiert und aufgebaut hat. Wir laden sie ein zu einem gemeinsamen Frühstück mit ihrer Patenklasse. Wir machen dann hier auch die offizielle Anmeldung, dann gehen die Schüler der 8a mit den neuen Kindern durchs Schulgebäude zu einer Schulführung.
Seit wann sind die Kinder denn in Castrop-Rauxel?
So in etwa sechs Monate. Einige haben schon ein bisschen Vorwissen in Deutsch, dafür haben wir aber auch zwei, die komplette Analphabeten auch in ihrer Muttersprache sind.
Wie kamen die Flüchtlinge nun an Ihre Schule?
Die sind uns durch das kommunale Integrationszentrum zugeteilt worden.
Ist das der erste Kontakt der Schule mit Flüchtlingen?
Nein, wir haben schon ein Geschwisterpaar seit einem Jahr an der Schule. Ein Mädchen ist in meiner Klasse, der jüngere Bruder in Klasse 7.
Vorher waren die beiden Schüler ja schon in Regelklassen, nun schaffen Sie eine Auffangklasse – was ist das bessere Modell?
Die offizielle Bezeichnung ist Deutsch-Vorbereitungsklasse. Für die Klasse bin ich zuständig. An den langen Tagen haben die Kinder vier Stunden Deutsch, an den kurzen Tagen drei Stunden. Das ist bei mir und bei Frau Hoste, eine neue Kollegin an der Schule. Danach verteilen wir sie auf Regelklassen. Wir fangen bei ganz einfachen Sätzen und bei den Buchstaben an. Das ist in gewisser Weise Grundschulunterricht.
Können Sie das denn? Sind Sie dafür ausgebildet?
Ausgebildet nicht. Ich unterrichte Deutsch, Geschichte und Philosophie in der Sekundarstufe I und II.
Wie kam es dann dazu, dass Sie das machen?
Ich habe mich freiwillig gemeldet. Der Schulleiter hat mich dann angesprochen, ob ich bereit wäre, die Flüchtlingsklasse zu übernehmen.
Gibt es denn gutes Unterrichtsmaterial?
Ja, ich habe gesucht und etwas gefunden. Wir führen ein Schulbuch ein, dass mit dem Ziel Sprachniveau A1, also auf dem untersten Level, beginnt. Wir wollen die Schüler schnell dazu bringen, dass sie sich ausdrücken, sich vorstellen können – auch wenn sie das dann noch nicht schreiben können. Das steht für die ersten Stunden an. Danach werden wir stark binnendifferenzieren: Wir werden versuchen, die Schüler dann möglichst individuell zu fördern. Da muss man gucken, was derjenige kann. Dann werden wir Kopien verteilen oder die beliebten Selbstlernkästen von Lük nutzen. Denn wir sind hier mit zwei Kollegen in der Klasse. Und wenn man 17 Leute vor sich hat, die alle ein verschiedenes Niveau haben, muss man ja Möglichkeiten haben, alle zu beschäftigen.
Wie ist denn die Vorgabe? Alle Kinder sollen nach wie vielen Monaten oder Jahren fit für den normalen Unterricht sein?
Das ist auch sehr individuell. Der offizielle Plan sieht vor, dass die Kinder nach einem Jahr dem Regelunterricht folgen sollen. Nach zwei Jahren soll die Spezialförderung abgeschlossen sein – sprich: Dass sie fließend Deutsch lesen und sprechen und schreiben können. Das ist der grobe Plan. Ich habe mich mit vielen Kollegen, die solche Klassen betreuen, unterhalten und bekomme immer zu hören, dass das sehr utopisch ist. Das ist zu wenig Zeit. Aber in diese Richtung steuern wir zurzeit.
Wie sind denn die Erfahrungen mit den Schülern, die Sie bisher in den Regelklassen hatten? Wurden die gut aufgenommen oder standen sie doch etwas am Rande?
Ich war nicht dabei, als sie in die Klassen hereinkamen – aber ich würde das als zurückhaltende Neugierde bei den Klassenkameraden bezeichnen. Die haben sich gefreut, wollten wissen: Wer ist das? Aber die Sprachbarriere ist einfach eine Hemmung. Vor jemandem zu stehen und mit Händen und Füßen zu sprechen, ist eine Hürde. Aber die Schüler finden schnell einen Weg, um damit klar zu kommen. Meine Schülerin Layal in der 8a hat mir gesagt, dass sie sich inzwischen sehr wohl fühlt.
Die schreibt auch schon die normalen Klassenarbeiten mit? Wie wird da bewertet?
Sie schreibt ab diesem Schuljahr komplett mit, ja. Die deutsche Sprache bewerte ich aber nicht, also die Rechtschreibung. Die anderen Maßstäbe sind aber dieselben wie bei den anderen Schülern.
Frau Merkel sagt: „Wir schaffen das.“ Bezogen auf Ihr Feld: Wie ist da Ihre Einschätzung?
Das kann ich noch gar nicht sagen. Der, der hierhin kommt, wird nach bestem Wissen und Gewissen unterrichtet. Aber ich bin da optimistisch, dass wir das schaffen, auch wenn die Voraussetzungen dafür nicht optimal sind. Ich bin ja nicht dafür ausgebildet zum Beispiel. Aber ich habe in drei Wochen meine erste Fortbildung – ich werde da jetzt ins kalte Wasser geworfen. Wirklich sicher, wie viele Schüler wir bekommen, wissen wir ja erst seit sechs Wochen.