Wie war das Leben in der Habinghorster Unterkunft?

Wohncamp für Flüchtlinge

Ein eigener kleiner Stadtteil Castrop-Rauxels ist Geschichte. Einer aus Leichtbauhallen, in einer Notsituation errichtet – und nun überflüssig: Die Großnotunterkunft in Habinghorst hat ihren Dienst getan. Wir sind mit Leiter Horst Kreienkamp noch einmal durch alle Stationen gegangen. Wie funktionierte das Leben hier?

HABINGHORST

, 27.10.2016, 05:51 Uhr / Lesedauer: 3 min
Horst Kreienkamp in der Kleiderkammer der Notunterkunft: Hier kamen gespendete Kleidungsstücke aus der ganzen Region an. Hier wurden sie sortiert und dann an bedürftige Flüchtlinge ausgegeben. Kreienkamp: "Manche hatten viel Kleidung dabei, andere kamen nur mit dem, was sie am Körper trugen."

Horst Kreienkamp in der Kleiderkammer der Notunterkunft: Hier kamen gespendete Kleidungsstücke aus der ganzen Region an. Hier wurden sie sortiert und dann an bedürftige Flüchtlinge ausgegeben. Kreienkamp: "Manche hatten viel Kleidung dabei, andere kamen nur mit dem, was sie am Körper trugen."

Horst Kreienkamp war bei der Feuerwehr in Recklinghausen beschäftigt. Und mit seinen 64 Jahren pensioniert. Er hatte anderes vor, als im Herbst 2015 jemand fragte, ob er sich vorstellen könnte, einen wichtigen Job zu übernehmen. Die Leitung der zu errichtenden Groß-Notunterkunft in Habinghorst – das wäre was für ihn.

Nach einigem Überlegen entschied er sich für diese Aufgabe. Und bewältigte sie. Organisieren von Dienstplänen für 80 Mitarbeiter, das war noch die geringste Herausforderung. Die Fäden in der Hand zu halten, die Arbeit zu koordinieren – das hatte mehr.

Funkgerät und Handy waren Begleiter

Dafür hatte er auch „nur“ eine halbe Stelle Zeit, auf der anderen Seite aber auch Teamleiter im Büro nebenan und in der Anlage, die Führungsaufgaben hatten. Ein Funkgerät und ein Handy, das waren seine Begleiter. Denn im Büro selbst, einem Container wie ein Baubüro in Eingangsnähe, wo „Leitung“ auf der Tür steht, war er ja nur einen Teil seiner Zeit. Immer unterwegs, um hier und da, wo sie eben gerade auftraten, sprichwörtliche „Brände“ zu löschen.

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So funktionierte die Groß-Notunterkunft Habinghorst

Neun Monate war die Groß-Notunterkunft in Habinghorst bewohnt: Hier war Platz für bis zu 1000 Flüchtlinge. Am Tag mit der höchsten Belegung waren es 570. Jetzt wird die Einrichtung geschlossen: Seit dem 19. Oktober wohnen dort keine Menschen mehr. Wir waren in der Einrichtung und haben sie uns vom Leiter Horst Kreienkamp erklären lassen.
26.10.2016
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Die Groß-Notunterkunft für Geflüchtete in Habinghorst: Hier war monatelang Platz für bis zu 1000 Menschen. Mehr als 570 waren aber nie gleichzeitig hier untergebracht.© Foto: Tobias Weckenbrock
Das Medizinzelt: Horst Kreienkamp erklärt, dass hier jeder Bewohner nach der Anmeldung medizinisch gecheckt wurde. Man habe mit aller Art Krankheitsbilder zu tun gehabt und von hier aus zu Fachärzten vermittelt, falls nötig,© Foto: Tobias Weckenbrock
Horst Kreienkamp, Einrichtungsleiter, in seinem Büro: Hier hatte er den Papierkram zu erledigen. Der pensionierte Feuerwehrmann schrieb Konzepte, Dienstpläne, Orga-Abläufe.© Foto: Tobias Weckenbrock
Das Telefon war ein Jahr lang, ist aber auch heute noch sein steter Begleiter. Immer wieder muss er in Telefonaten Organisatorisches klären. Hier spricht er mit der Bezirksregierung, die für die Unterbringung der Flüchtlinge als Behörde zuständig ist.© Foto: Tobias Weckenbrock
Das Telefon war ein Jahr lang, ist aber auch heute noch sein steter Begleiter. Immer wieder muss er in Telefonaten Organisatorisches klären. Hier spricht er mit der Bezirksregierung, die für die Unterbringung der Flüchtlinge als Behörde zuständig ist.© Foto: Tobias Weckenbrock
Sein stetes Begleiter in der Einrichtung: dieses Funkgerät. Hiermit waren schnelle Absprachen oder Rufe möglich.© Foto: Tobias Weckenbrock
Das Büro der Einrichtungsleitung: Horst Kreienkamp war nur mit einer halben Stelle hier tätig, baute aber über 100 Überstunden auf. Er verließ sich aber auf seine Teamleiter, die mit ihm das Organisatorische regelten.© Foto: Tobias Weckenbrock
Leer ist es geworden: Seit dem 19. Oktober ist kein Asylbewerber mehr in der Einrichtung. Die großen Zelte stehen leer. Mitarbeiter sind zurzeit dabei, die Dinge zusammenzuräumen, Defektes von Brauchbarem zu trennen.© Foto: Tobias Weckenbrock
Getrennt waren die Leichtbauhallen: zum Teil nach Geschlechtern, zum Teil nach Herkunftsländern. So versuchte die Einrichtungsleitung, hier Eskalationen zu vermeiden und wichtige Lebensformen zu respektieren.© Foto: Tobias Weckenbrock
An dieser Schautafel im Eingangsbereich vermeldete die Einrichtungs-Organisation wichtige Nachrichten. Zum Teil hängen hier noch Namenslisten.© Foto: Tobias Weckenbrock
An dieser Schautafel im Eingangsbereich vermeldete die Einrichtungs-Organisation wichtige Nachrichten. Zum Teil hängen hier noch Namenslisten.© Foto: Tobias Weckenbrock
Das Lagerzelt: Hier war von allem immer alles da - Toilettenpapier, andere Hygieneartikel, aber auch Wasservorräte und vieles mehr.© Foto: Tobias Weckenbrock
Noch sind die Bestände vor Ort - aber was noch gebraucht werden kann, wird nicht einfach weggeworfen. Die Mitarbeiter arbeiten sich gerade durch die Bestandslisten durch.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Polizei auf dem Gelände in Habinghorst: Das kam schon mal vor in den neun Monaten, in denen hier Asylbewerber untergebracht waren. Laut Horst Kreienkamp, dem Einrichtungsleiter, hielt sich das aber in Grenzen.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Polizei auf dem Gelände in Habinghorst: Das kam schon mal vor in den neun Monaten, in denen hier Asylbewerber untergebracht waren. Laut Horst Kreienkamp, dem Einrichtungsleiter, hielt sich das aber in Grenzen.© Foto: Tobias Weckenbrock
Horst Kreienkamp in der Kleiderkammer der Notunterkunft: Hier kamen gespendete Kleidungsstücke aus der ganzen Region an. Hier wurden sie sortiert und dann an bedürftige Flüchtlinge ausgegeben. Kreienkamp: "Manche hatten viel Kleidung dabei, andere kamen nur mit dem, was sie am Körper trugen."© Foto: Tobias Weckenbrock
So sah das dann in einer der Schlafkabinen aus: In diesen Doppelstockbetten schliefen die Flüchtlinge in Habinghorst. Zum Glück, sagt Horst Kreienkamp, habe es keinen Tag mit voller Belegung gegeben. So konnte man dafür sorgen, dass nicht zwölf Menschen auf diesem engen Raum übernachten mussten. Schränke gab es nicht.© Foto: Tobias Weckenbrock
So sah das dann in einer der Schlafkabinen aus: In diesen Doppelstockbetten schliefen die Flüchtlinge in Habinghorst. Zum Glück, sagt Horst Kreienkamp, habe es keinen Tag mit voller Belegung gegeben. So konnte man dafür sorgen, dass nicht zwölf Menschen auf diesem engen Raum übernachten mussten. Schränke gab es nicht.© Foto: Tobias Weckenbrock
Hinten sind zwei Unterbringungszelte, links waren alleinreisende Frauen oder Frauen mit Kindern untergebracht, rechts vor allem alleinreisende Männer. Das Zelt, vor dem Horst Kreienkamp steht, ist ein Sanitärzelt für Männer: Dutzende Duschen, Waschbecken und Toiletten sind hier drin.© Foto: Tobias Weckenbrock
So sehen die Duschkabinen und WC-Kabinen aus: Alles maßangefertigt für die Leichtbauhallen der Notunterkunft. Der Aufbau und der Betrieb der Einrichtung kostete das Land NRW mehrere Millionen.© Foto: Tobias Weckenbrock
So sehen die Duschkabinen und WC-Kabinen aus: Alles maßangefertigt für die Leichtbauhallen der Notunterkunft. Der Aufbau und der Betrieb der Einrichtung kostete das Land NRW mehrere Millionen.© Foto: Tobias Weckenbrock
Beliebter Ort und mit Rindenmulch nett gemacht: Im hinteren Bereich des Geländes gab es ein zum Teil von den Bewohnern und den Mitarbeitern selbst gestalteten Platz, auf dem man sich aufhalten konnte: Volleyballspielen, in zwei Öfen grillen, zusammensitzen und unterhalten - das war hier möglich.© Foto: Tobias Weckenbrock
Horst Kreienkamp vor dem inzwischen abgesperrten Spielplatz: Bis zu 80 Kinder waren zeitgleich in der Einrichtung. Sie hatten eine Tagesbetreuung von Erzieherinnen in einer Art Kita im Pagodenzelt nebenan. Die, die länger da waren, knüpften auch richtige soziale Kontakte zu den Erzieherinnen und lernten schnell Deutsch. So konnte man auch in der Einrichtung erste Integrationsaufgaben wahrnehmen.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Kita in der Notunterkunft: Horst Kreienkamp vor dem Pagodenzelt, in dem die Kinderbetreuung stattfand. Ausgestattet war das Zelt mit viel Spielzeug - zum Teil aus Spenden, zum Teil aus dem Internet zusammengekauften gebrauchten Sachen.© Foto: Tobias Weckenbrock
Mitarbeiterinnen der Kinderbetreuung: Sie packen derzeit auch alles zusammen, was noch gut zu gebrauchen ist - mit Wehmut, wie viele der 80 Mitarbeiter sie derzeit haben. Sie hatten gehofft, hier auch nach Jahresfrist noch zu arbeiten. Nun müssen sie sich neue Stellen suchen.© Foto: Tobias Weckenbrock
Das Kita-Zelt und ein "Carport": Auch hier bauten Mitarbeiter der Einrichtung und Bewohner zusammen eine Holzkonstruktion zum Abstellen der Fahrräder. Darauf konnten die Kinder Radfahren lernen und so auch Verkehrserziehung genießen. Überall auf dem Asphalt hinterließen die Kinder ihre bunten Spuren: Sie drückten bunte Hände auf und gestalteten den Platz so ein wenig bunter.© Foto: Tobias Weckenbrock
Das Verpflegungszelt: Hier fanden auch Veranstaltungen statt - zum Beispiel arabische Abende, die beliebtesten Veranstaltungen, von denen es vier gab in den neun Monaten. "Da war immer viel los, denn da konnten einige der Flüchtlinge ein bisschen Heimatgefühl genießen", so Kreienkamp. Inzwischen ist auch dieses Zelt fast leer geräumt. Es wird aber noch für Konferenzen unter den Mitarbeitern genutzt. Hinter Kreienkamp ist ein "Schwarzes Brett" zu sehen: Darauf waren besondere Aktionen angepriesen. Auch Kunstprojekte oder andere Dinge organisierten die Sozialbetreuer.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Waschcontainer: Hier konnten Bewohner ihre Kleidung abgeben. Die wurde gereinigt, getrocknet und zurückgegeben.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Waschcontainer: Hier konnten Bewohner ihre Kleidung abgeben. Die wurde gereinigt, getrocknet und zurückgegeben.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Waschcontainer: Hier konnten Bewohner ihre Kleidung abgeben. Die wurde gereinigt, getrocknet und zurückgegeben.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Groß-Notunterkunft für Geflüchtete in Habinghorst: Hier war monatelang Platz für bis zu 1000 Menschen. Mehr als 570 waren aber nie gleichzeitig hier untergebracht.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Groß-Notunterkunft für Geflüchtete in Habinghorst: Hier war monatelang Platz für bis zu 1000 Menschen. Mehr als 570 waren aber nie gleichzeitig hier untergebracht.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Groß-Notunterkunft für Geflüchtete in Habinghorst: Hier war monatelang Platz für bis zu 1000 Menschen. Mehr als 570 waren aber nie gleichzeitig hier untergebracht.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Groß-Notunterkunft für Geflüchtete in Habinghorst: Hier war monatelang Platz für bis zu 1000 Menschen. Mehr als 570 waren aber nie gleichzeitig hier untergebracht.© Foto: Tobias Weckenbrock
Die Groß-Notunterkunft für Geflüchtete in Habinghorst: Hier war monatelang Platz für bis zu 1000 Menschen. Mehr als 570 waren aber nie gleichzeitig hier untergebracht.© Foto: Tobias Weckenbrock
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„Wir hatten kein Konzept – das mussten wir uns selbst erarbeiten“, sagt er. Zusammen mit dem Mitarbeiterteam des Deutschen Roten Kreuzes setzte er in kurzer Zeit ein System aus medizinischer Versorgung, interner Registrierung, Nahrungsmittelaufnahme, Sozialbetreuung und Beschäftigung, Sicherheit und Zusammenarbeit mit den Behörden wie Polizei, Stadtverwaltung, Bezirksregierung auf, das funktionierte.

Rundgang mit Leiter Kreienkamp

Bei unserem Rundgang kommen wir durch die Kleiderkammer, wo die Mitarbeiter die gespendeten Dinge aus den Regalen nehmen und sortiert in Kartons verpacken. „Alles, was noch gut ist, wird weiterverwendet“, sagt Kreienkamp. Wie, ist offen. Aber es sei ja das meiste abgezählt. Auch für das Materiallager gilt das: ein Pagodenzelt, in dem noch Hunderte Rollen Toilettenpapier liegen, andere Hygieneartikel, Mineralwasserflaschen und vieles mehr.

Die großen, langen Zelte – das waren die, in denen sich das „Leben“ der Bewohner abspielte: eine Leichtbauhalle für alleinreisende Frauen oder Frauen mit Kindern, unterteilt in Parzellen für zwölf Personen. Darin je sechs hölzerne Etagenbetten. Keine Schränke, nichts. „Wir mussten verhindern, dass sicherheitsrelevante Gegenstände oder Verderbliches in den Zelten aufbewahrt werden“, so Kreienkamp. Privatsphäre? „Dafür hatten wir keinen Platz.“

 

 

Immerhin: In den Sanitärzelten, getrennt nach Geschlecht, gab es für jede Dusche eine Kabine. Gut sieht es da aus, weil der Reinigungsdienst schon durchgegangen ist – alles sauber, alles fertig zur Demontage. „Alle Bretter, alle Kabinen maßangefertigt für die Notunterkunft“, so Kreienkamp.

50, 60 Kinder spielten hier

Wir gehen über den Asphalt, auf dem Hunderte bunte Kinderhände zu sehen sind – ein Kunstprojekt; kommen an der Außenfläche vorbei, die Mitarbeiter und Bewohner gemeinsam geschaffen haben zur Freizeitbeschäftigung: Rindenmulch ist ausgelegt, zwei Grillplätze, einige Bänke und Stühle, ein Volleyballfeld. „Hier war bei gutem Wetter was los“, sagt Kreienkamp.

Und ein paar Meter weiter der Spielplatz, ebenfalls auf weichem Mulch: gespendete Spielgeräte, einige für kleines Geld im Internet zusammengekauft. Nebenan das Kita-Zelt: Hier waren mal 50, 60 Kinder gleichzeitig, die von Erzieherinnen betreut wurden. Und die erste Integrationsschritte machen konnten: etwas Deutsch und Radfahren lernen.

Arabische Abende waren beliebt

Das Freizeitzelt ist jetzt ein großes Matratzenlager: Alle Bettmatratzen sind hier aufgestapelt, wo sich die Leute sonst aufgehalten haben. Und daneben das Verpflegungszelt, in dem auch schon kaum noch was ist, wie es war: Das schwarze Brett, wo „Veranstaltungen“ angekündigt waren, ist leer. Die arabischen Abende, sagt Kreienkamp, seien beliebt gewesen. „Da konnten die Bewohner ein Stück Heimat erleben“, sagt er.

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Wir gehen durchs Medizinzelt. In vier Behandlungskabinen wurden die Patienten versorgt. Alle wurden bei ihrer Ankunft durchgecheckt. Hier lief auch die Vermittlung zu Fachärzten, zu denen Mitarbeiter die Bewohner begleiteten.

Mitarbeiter haben Zukunftssorgen

Vor dem Wäsche-Container sitzen drei dieser Mitarbeiter: Sie haben hier bald keine Aufgabe mehr. Die Notunterkunft ist geschlossen. „Einige haben Zukunftssorgen“, sagt Horst Kreienkamp.

Er selbst nicht: Er feiert bald noch seine 100 Überstunden ab, wenn die Bauarbeiter die „Gnuk“ abgebaut haben. Der Abbau beginnt nächste Woche. Danach ist Kreienkamp, der Feuerwehrmann, zurück im Ruhestand.