Bäckerei Auffenberg, Dachdecker Drath, EvK & Co. Hilfe! Fachkräftemangel in Castrop-Rauxel

Bäckerei Auffenberg, Dachdecker Drath & Co.: Hilfe, es ist Fachkräftemangel!
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Als Isabel Auffenberg den Kontakt zur Agentur für Arbeit suchte, da stand nach ihren Aussagen nur eine Fachkraft für den Verkauf von Backwaren in der Datenbank, die eine Stelle suchte. Ihr fehlen gut eine Handvoll Leute, um den Betrieb des Kaffeehauses in Castrop weiterzuführen. Zum 30.6.2023 schließt das Café. Nicht, weil es schlecht lief, sagt die Geschäftsfrau aus Ickern. Sondern, weil Personal fehlt. Sie vergoss deshalb so manche Träne.

„Die Lage ist beängstigend“, sagt Hans-Joachim Drath. „Wer soll demnächst unsere Häuser bauen?“ Für seinen Dachdeckerbetrieb im Erin-Park hat der Kreishandwerksmeister zu wenig Fachleute, die Fassaden und Dächer dämmen können, und sagt, im Bauhandwerk der Kollegen sei das nicht anders: Fliesenleger, Heizungsmonteure – es fehlt an Personal.

Als Heinz-Werner Bitter, Geschäftsführer der Evangelischen Krankenhausgemeinschaft Herne/Castrop-Rauxel jetzt in Ruhestand ging, benannte er eines als die größte Herausforderung für seinen Nachfolger: Fachkräftemangel.

Die eine Frage wollte Caritas-Vorständin Veronika Borghorst auf die lange Bank schieben, als sie auf Anfrage unserer Redaktion bestätigte, dass sie eine neue Kita in Merklinde errichten wird. Wie sie dafür zehn neue Erzieherinnen oder Erzieher finden wolle, darauf hatte sie erst einmal keine Antwort. Die Frage lag auf der Hand, denn am Stadtmittelpunkt, wo die Caritas seit letztem Sommer eine Zwei-Gruppen-Kita als Nebenstelle ihrer Kita an der Oskarstraße führt, fehlen auch Leute. Sonst hätte diese Kindertagesstätte nicht zwei, sondern vier Gruppen. So jedenfalls war es geplant.

Die Modulare Kita am Stadtmittelpunkt wird wieder genutzt: Die Caritas ist seit einem Jahr in diesen Räumen. Aber es fehlten Fachkräfte.
Die Modulare Kita am Stadtmittelpunkt wird wieder genutzt: Ab Sommer wird die Caritas hier eine Zweigstelle der Kita Oskarstraße eröffnen. © Volker Engel

Man könnte diese Liste weiterführen, wenn man weitere Betriebe fragen würde. Der Fachkräftemangel ist kein Problem einzelner Unternehmen oder bestimmter Sektoren unserer Wirtschaft. Er ist inzwischen überall.

Für Stefan Bunse, Leiter der Agentur für Arbeit in Castrop-Rauxel, ist das Alltag. Wenn die Arbeitsagentur die aktuellen Arbeitslosenstatistiken veröffentlicht, dann sind das auf der einen Seite gute Nachrichten: Die Quote der Arbeitslosen liegt bei unter 7 Prozent, weit entfernt von den zweistelligen Werten vor Jahren. Heute liegt das Problem woanders: „Viele Unternehmen haben seit langem erhebliche Schwierigkeiten, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Die Vakanzzeiten von offenen Stellen haben sich auch in Castrop-Rauxel in den vergangenen fünf Jahren nahezu verdoppelt“, so Bunse.

„Babyboomer gehen langsam in Rente“

Inzwischen dauere es durchschnittlich fast sechs Monate, bis er eine Stelle, die bei der Agentur für Arbeit gemeldet ist, mit einem neuen Mitarbeitenden besetzt habe. „In einigen Branchen, wie der Pflege oder im Handwerk dauert es noch deutlich länger“, so Bunse. Und: „Wir stehen gerade erst am Anfang des demografischen Wandels. Die Babyboomer gehen langsam in Rente. Die Entwicklung wird sich daher noch verstärken.“

In den kommenden zehn Jahren, prognostiziert er, würden jährlich mehr als 400.000 Fachkräfte in Deutschland fehlen; und man sei aufgrund der Bevölkerungsstruktur nicht in der Lage, sie aus dem Inland zu ersetzen. „Das wird neben dem Klimawandel die gesellschaftliche Herausforderung des kommenden Jahrzehnts. Davon ist natürlich auch Castrop-Rauxel betroffen.“

Hans-Joachim Drath, Dachdeckermeister aus Castrop-Rauxel, hat zu wenig Fachkräfte und kennt als Kreishandwerksmeister auch die Probleme in anderen Baubetrieben.
Hans-Joachim Drath, Dachdeckermeister aus Castrop-Rauxel, ist der Kreishandwerksmeister der KH Herne/Castrop-Rauxel. Nach der Fusion zur Kreishandwerkerschaft Ruhr ist er stellvertretender Kreishandwerksmeister. © Nora Varga

Der Beschäftigungsaufbau finde inzwischen zu mehr als 90 Prozent über Zuwanderung statt. Ein bisschen was gehe über eine Mobilisierung einer „stillen Reserve“ an Fachkräften, die zurzeit nicht nach Arbeit suchen, sich aber trotzdem Arbeit wünschen. „Aber das Vermittlungsgeschäft ist viel kleinteiliger und die Problemlagen komplexer geworden“, sagt Bunse. Hinzu komme: Arbeitsmarkt und Berufe seien im ständigen und immer schnelleren Wandel. „Anforderungen an Arbeitskräfte steigen. Hier die Stelle, dort der Bewerber, das funktioniert immer seltener.“

Isabel Auffenberg würde sofort Leute einstellen, sagt sie. Aber woher nehmen? Für das eigene Unternehmen auszubilden, das funktioniere zwar im Bäckerei-Handwerk noch ganz ordentlich.

Das sah aber bei der Backstube Vieting, die jahrzehntelang nebenan im Wettbewerb zu Auffenberg stand, zuletzt schon anders aus. Der Chef musste im vergangenen Jahr zu viele Löcher in der Backstube selbst schließen. Er soll darüber den Überblick über die Finanzen und am Ende die Kraft verloren haben. Vieting schloss im Januar 2023, von heute auf morgen. Die wenigen verbliebenen Fachkräfte fanden schnell neue Jobs. Als Auffenberg fürs Kaffeehaus suchte, sollen keine der Mitarbeiterinnen mehr auf Arbeitssuche gewesen sein, so Isabel Auffenberg.

Stefan Bunse leitet die Geschäftsstelle der Agentur für Arbeit in Castrop-Rauxel. Er analysiert für uns die Lage.
Stefan Bunse leitet die Geschäftsstelle der Agentur für Arbeit in Castrop-Rauxel © Tobias Weckenbrock

Die Führungsarbeit eines Betriebes bestehe heute auch darin, kreative Lösungen für (künftige) Beschäftige anbieten zu können, sagt Bunse. „Unternehmen, die gute Ideen haben, finden leichter Mitarbeitende.“ Es gehe um Motivationssysteme: Fluktuation vermeiden, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter erhalten. „Und wir merken, dass das Interesse der Arbeitgeber an Arbeitnehmern aus dem Ausland, auch aus den sogenannten Drittstaaten außerhalb der EU, wächst. Auch hier beraten wir“, sagt Stefan Bunse.

Das Kaffeehaus von Bäckerei Auffenberg schließt. Isabel Auffenberg sagt, sie würde es schnell wieder öffnen, wenn sich die Lage ändern würde, meint sie. Die Kita am Stadtmittelpunkt bietet für das nächste Jahr laut Kita-Navigator der Stadt 85 Betreuungsplätze für Kinder ab zwei Jahren an. Das sind deutlich mehr als zwei Gruppen. Veronika Borghorst hat den Optimismus offensichtlich nicht verloren. Stellenausschreibungen findet man auf der Website.

Schnell-Qualifizierung für Kitas

In Merklinde bietet das Kinderhaus Rasselbande inzwischen Schnellausbildungen an. Nach einer Erhebung der Bertelsmann-Stiftung fehlen in NRW nämlich rund 24.400 Fachkräfte in Kitas. Angelika Kirstein, Mara Kirstein und ihr Team wollen diesen Mangel bekämpfen: Mitte Mai haben sie deshalb an der Merklinder Straße 12 in Castrop-Rauxel mit „Fokus Kita“ ein Wissenszentrum eröffnet.

Hier können Quereinsteiger, sofern sie gewisse Vorqualifikationen mitbringen, eine 160-Stunden-Qualifizierung machen. Sie können dann im Anschluss als pädagogische Fachkraft in einer Kita oder Ganztagsbetreuung arbeiten.

Kinderpflegerin Ines Steinert (v.l.) hat die 160-Stunden-Qualifizierung zur Kita-Fachkraft bei Fokus Kita gemacht. Angelika Kirstein, Geschäftsführerin von Fokus Kita, und Mara Kirstein, Bildungsreferentin des Wissenszentrums, haben die Möglichkeit in Castrop-Rauxel geschaffen.
Kinderpflegerin Ines Steinert (v.l.) hat die 160-Stunden-Qualifizierung zur Kita-Fachkraft bei Fokus Kita gemacht. Angelika Kirstein, Geschäftsführerin von Fokus Kita, und Mara Kirstein, Bildungsreferentin des Wissenszentrums, haben die Möglichkeit in Castrop-Rauxel geschaffen. © Anna Katharina Wrobel

„Es ist eine Chance, dem Fachkräftemangel zu begegnen“, sagt Bildungsreferentin Mara Kirstein im Gespräch mit unserer Redaktion. „Und ein Teil, der zukünftig sicher dazu beitragen wird, das Problem zu beheben.“

Sieben Personen – darunter sechs Kinderpflegerinnen und -pfleger sowie eine Tagesmutter – lernen in den Räumen des Wissenszentrums an der Merklinder Straße 12, um die Qualifikation zu bekommen. Über Jahre hinweg aufwendig qualifizierte Fachkräfte aus anderen Einrichtungen sehen das mitunter kritisch. Aber da sind wir beim nächsten Problem...

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