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Drath: „Vergleichbar mit nichts! So eine Krise hat das Handwerk noch nie erlebt!“
Coronavirus
Er ist Dachdecker und Klempner aus Castrop. Er ist Kreishandwerksmeister mit Überblick über alle Branchen. Hans-Joachim Drath sagt im Interview: „Diese Corona-Krise ist vergleichbar mit nichts.“
Im Interview mit Redakteur Tobias Weckenbrock hat Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath keinen allzu optimistischen Blick auf die Krise: Er macht sich große Sorgen, und bezieht das auf die kleinsten und kleinen ebenso wie auf die größeren Betriebe in Castrop-Rauxel. Nur einen Hoffnungsschimmer hat er: Die Lobby der Handwerksbranche sei inzwischen besser.
Wie geht es den Handwerkern, Herr Drath?
Schlecht.
Das haben wir uns gedacht. Geht es konkreter?
Es hat ja viele Facetten, die Handwerks-Familie hat viele Kinder.
Was meinen Sie damit?
Das eine Kind ist das Handwerk am Menschen, also Friseure, Kosmetiker und andere, die ihre Betriebe ganz schließen mussten. Ich sage: Viele von ihnen werden nicht wieder aufmachen, wenn ihnen nicht geholfen wird. Das sind viele Klein- und Kleinstbetriebe – die haben massive Probleme: Die Kosten laufen weiter, aber sie erzielen keine Einnahmen.
Das hört sich böse an. Und das zweite Kind…
… ist das Lebensmittelhandwerk: Bäcker und Konditoren können zwar verkaufen, aber mussten ihre Bistros schließen. Das ist für viele heute eine Haupteinnahmequelle. Allein vom Bäckereiverkauf kann man kaum noch leben.
Welchem Ihrer Kinder geht es denn besser?
Moment. Metzger und Fleischer können auch an der Theke verkaufen, aber sie haben aufgrund der Konkurrenzlage durch Discounter in den vergangenen Jahren oft Catering-Services aufgebaut. Viele beliefern Schulen und Kindergärten. Das bricht alles auf einmal weg. Auch da müssen Arbeitsplätze in Kurzarbeit verlegt werden. Viele Kollegen versuchen das aufzufangen, aber da trennt sich die Spreu vom Weizen.
Sie malen schwarz. Gibt es keine Branche, die besser wegkommt?
Die nächsten sind das fertigende Handwerk: Schlosser, Tischler und andere. Die berichten uns, dass die Auftragseingänge komplett zurückgehen, zum Teil auf Null. Kein Mensch bestellt im Moment einen Einbauschrank. Möbel für Schulen und Kindergärten, die oft in Schreinereien gefertigt werden – da ist totaler Stillstand. Die Kollegen haben zum Teil in hochmoderne Maschinen investiert, die teuer waren – die stehen jetzt still.
Kommen wir zu Ihrer eigenen Branche, den Dachdeckern, oder besser dem Bauhandwerk. Die dürfen ja weiter machen.
Stimmt, das Bauhandwerk ist gerade eine privilegierte Branche. Wir versuchen, die hygienetechnischen Vorschriften einzuhalten. Viele Betriebe teilen ihre Mitarbeiterschaft in zwei Teams auf, damit man eine Reserve hat: Maler, Dachdecker, Zimmerleute, Maurer.
Damit man eine Rumpfmannschaft für den schlechtesten Fall hat, wenn man selbst infizierte Mitarbeiter im Betrieb hat. Die Kapazitäten sind aber auch hier weit runtergefahren. Die Baustellen laufen auf niedrigem Niveau weiter.
Gibt es schon Quarantäne- und Infektionsfälle in Ihrem Beritt?
Nein, bisher nicht.
Immerhin.
Ja, aber es wird nach der Krise das nächste Problem auf uns zukommen: Das Handwerk hatte ja vor dem Ausbruch des Virus gut zu tun. Nun hat es uns eine Zwangspause auferlegt. Angenommen, wir können in acht Wochen normal weiterarbeiten: Dann müssen wir das entstandene Loch schließen und vieles, vieles aufholen.
Dann ist Ihre Familie jetzt komplett?
Nein. Elektriker oder Installateure, die in den Gebäuden arbeiten, haben auch Probleme: Viele Eigentümer und Mieter wollen die Kollegen jetzt nicht in ihren Wohnungen haben. Die Rohbauaufträge laufen zwar weiter, die Arbeit beim Kunden fällt aber zum größten Teil weg. Oder deren Wartungsarbeiten in Einzelhandelsbetrieben: Schiebetüren, Lichter, Klimaanlagen – da ist ja nichts mehr.
Vielen Autowerkstätten ging es vor der Krise gut. Sie waren erfolgreich und gesund. Vor allem diese Betriebe und ihre Kfz-Mechaniker trifft es nun besonders. Und dann gibt es auch noch Augenoptiker oder Orthopädie-Geschäfte: Wie sollen die Leute dort vernünftig Brillen oder ähnliches anpassen, wenn sie zwei Meter Abstand halten müssen?
Zusammengefasst: Wie groß ist die Alarmstimmung?
Sehr groß, vergleichbar mit nichts: So eine Krise hat das Handwerk noch nie erlebt. Die allergrößte Krise ist aber natürlich unsere Gesundheit, das steht über allem. Wir wünschen uns allen, dass es schnell vorbei geht, damit mehr Menschen gesund bleiben – nicht in erster Linie, damit unsere Betriebe wieder Arbeit haben.
Es gibt kleine und Kleinstbetriebe und große. Wen trifft es aus Ihrer Sicht härter?
Stimmt. Wir haben den Betrieb mit Chef und zwei Mitarbeitern und die Betriebe mit zwei Meistern und 20 Handwerkern. Die großen Betriebe sind anders, aber mindestens genauso betroffen wie die kleinen. Wie soll man schließlich seine Leute weiter bezahlen und beschäftigen?
Woran denken Sie, wenn Sie an die Zukunft denken?
Je länger die Krise dauert, desto größer wird das Betriebssterben. Ein Friseur mit vier Mitarbeitern ist vier Monate zu – die Rücklagen dafür kann der gar nicht haben, auch wenn die Mitarbeiter in Kurzarbeit gehen. Die Kosten des Salons bleiben ja, vor allem die Mieten. Und er hat in dieser Zeit keine Einnahmen.
Eine so lange Schließung wäre das Schlimmste, was uns passieren kann. Wir leben in einer komplizierten Volkswirtschaft, es wird wegen der Rücklagen die Betriebe unterschiedlich treffen. Aber wenn VW vier Wochen zumacht, haben selbst die ein Problem. Nur wirtschaftliche Hilfen können uns retten.
Der Bund hat Mittwoch ein Hilfspaket mit 156 Milliarden Euro Neuverschuldung und Garantien in Höhe von 600 Milliarden Euro beschlossen. Davon entfallen 50 Milliarden Euro auf direkte Zuschüsse für kleine Firmen und Solo-Selbständige. Was meinen Sie: Geht davon zu viel Geld an die Großen?SO KÖNNEN BETRIEBE SICH INFORMIEREN
Das Handwerk hat in den letzten Jahren viel für sein Image getan: „Das Handwerk – die Wirtschaftsmacht von nebenan“ – diesen Slogan gibt es seit fünf Jahren. Das ist dadurch in den Köpfen der Entscheider angekommen. Bei Wirtschaftsgipfeln sind inzwischen Handwerksvertreter dabei, das hat sich deutlich gebessert. Darum gehe ich davon aus, dass wir Förderung bekommen. Ich wünsche sie mir nicht nur, ich gehe davon aus.
In welcher Form?
Die Leute brauchen Hilfe für den Ausfall, den sie haben. Also einen Zuschuss für laufende Kosten zum Beispiel. Das kann über Sonderzahlungen, Bürgschaften oder Darlehen sein – aber es geht um Geld. Ein Friseur mit drei Mitarbeitern wird aber kaum mit einem Darlehen zu helfen sein. Denn er hat gegenüber einer Bank ohnehin schon Schwierigkeiten.
Wie sieht es beim Dachdecker Drath im Erin-Park aus?
Wir sind bemüht, alles zu tun, damit wir unsere Fachkräfte halten können. Wir gehören zu der privilegierten Gruppe, die noch arbeiten darf, sorgen für hygienische Standards an den Baustellen. Die Mitarbeiter fangen zu verschiedenen Zeiten an, fahren maximal zu zweit in einem Auto, begegnen also den anderen Kollegen möglichst nicht.
Wir haben wegen unserer Asbest-Arbeiten auch ein paar Anzüge und FFP3-Schutzmasken auf Lager – aber nicht endlos. Die Mitarbeiter fordern auch zum Teil sowas zum eigenen Schutz ein. Sie haben Familie und wollen sich nicht anstecken. Andere Kollegen versuchen wir vorübergehend zu beurlauben: Überstundenabbau, Resturlaube und so weiter, um eine Reserve zu haben für einen Infektionsfall.
Was sagen Ihre Kunden?
Viele reagieren mit Verständnis. Aber ein Kunde hat mir vor einer Woche gesagt: „Stellen Sie sich nicht so an!“ Grundsätzlich ist aber das Telefon bei uns auch ruhiger geworden. Jede Innungsversammlung endet mit den Worten: „Gott schütze das ehrbare Handwerk“. Das gilt heute mehr denn je.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
