Alarmierende Stimmung im Handwerk Castrop-Rauxeler Unternehmer über eine historische Krise

Krise im Handwerk: Hans-Joachim Drath stellt alarmierende Zahlen vor
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Über Jahre hinweg war der Konjunkturbericht der Handwerkskammer Dortmund ein Grund für Jubel. Dem Handwerk ging es blendend. Selbst die Corona-Pandemie wurde schnell überwunden. Doch jetzt sind die Aussichten düster. So düster wie nie.

Im Bereich der Kreishandwerkerschaft Herne/Castrop-Rauxel zeigen sich die Unternehmen sogar noch pessimistischer als in der Nachbarschaft. Nur bei einem Detail liegen die Handwerksbetriebe vorne. Und im Handwerk ist nach aktueller Lage ein neuer Aspekt angekommen: die Work-Life-Balance.

Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath, Dachdeckermeister aus Castrop-Rauxel, zitierte bei der Präsentation der Herbst-Konjunkturumfrage einen Kollegen: „Man sieht viele Baukräne, aber weniger Löcher daneben.“ Es werden also Aufträge abgearbeitet. Aber neue Aufträge fehlen.

Gerade Baugewerbe und Ausbaugewerbe haben in den vergangenen Jahren profitiert. Doch angesichts steigender Preise und Zinsen geht die Zahl neuer Aufträge zurück. „Der gewerbliche Wohnungsbau bricht ein“, sagt Drath über die Lage vor Ort. „Investoren geben Grundstücke zurück.“

Jede zweite Stelle unbesetzt

85 Prozent aller Betriebe bei der Handwerkerschaft Dortmund (HWK), die sich an der Umfrage beteiligt haben, bezeichnen ihre Lage als gut oder befriedigend. In Castrop-Rauxel und Herne sind es 77 Prozent, der schlechteste Wert unter den fünf zur HWK gehörenden Kreishandwerkerschaften. Vor einem Jahr waren es noch 91 Prozent.

Dass sich die Situation verbessern oder gleichbleiben wird, glauben nur 51 Prozent bei der KH Herne/Castrop-Rauxel. 88 Prozent waren es noch vor einem Jahr.

Eine Frau kauft in einer Bäckerei ein.
Bäckereien kämpfen mit der Energiekrise: In der Bäckerei Vieting in Ickern blieb als Protest an einem Tag das Licht aus. Im Nahrungsmittelhandwerk ist die Stimmung so schlecht wie in keinem anderem Handwerk. © Tobias Weckenbrock

Vor allem die Situation der Stadt Herne – „nicht die reichste Kommune“ – ist für Drath ausschlaggebend für diese Bewertungen: „In Castrop-Rauxel ist die Kundenstruktur eine andere, hier gibt es mehr hochwertige Privatimmobilien.“

Generell zeigt sich nach Gewerbe ein unterschiedliches Bild: Im Bauhaupt- und Ausbaugewerbe ist die Stimmungslage im Kammerbezirk Dortmund mit 95 und 90 Prozent gut. In den Nahrungsmittel- und Gesundheitshandwerken bewerten aber nur 62 und 65 Prozent die Lage als befriedigend oder besser. Gerade hier können gestiegene Preise nicht immer an Kunden weitergegeben werden.

Noch wichtiger als steigende Energiepreise und Löhne ist im Handwerk aber eins: die Sicherung der Fachkräfte. Bundesweit fehlen bereits 250.000 Beschäftigte, 30.000 Ausbildungsplätze sind unbesetzt. In NRW konnten von 3500 Stellen im Elektrohandwerk 2500 nicht besetzt werden, so HWK-Geschäftsführerin Olesja Mouelhi-Ort.

Auf der anderen Seite fordert die Energiewende viel Personal: „500.000 Wärmepumpen erfordern 60.000 Monteure“, sagt sie. Ein Ergebnis der Umfrage: In fast jedem zweiten Handwerksbetrieb bleiben derzeit offene Stellen unbesetzt.

Übertarifliche Löhne

Hans-Joachim Drath hat noch gute Nachrichten für seine Kreishandwerkerschaft: „Die Zahl der Auszubildenden ist bei uns gestiegen.“ Die Bereitschaft zur Ausbildung im Handwerk steige in Castrop-Rauxel und Herne, hat er registriert. Hilfreich seien Praktika.

Die werden zwar überall im Land angeboten. Aber: „Es fehlt meist die Schnittstelle vor Ort in der Schule“, sagt Drath. „Man kann den Jugendlichen nicht sagen: Jetzt sucht euch mal eine Praktikumsstelle. Man muss sie ihnen anbieten.“ Als sehr gut bezeichnet er hier die Zusammenarbeit mit der Willy-Brandt-Gesamtschule in Castrop-Rauxel.

Friseurmeisterin Theresa Wagener arbeitet im Familienbetrieb.
Theresa Wagener arbeitet im Familienbetrieb. Bei personenbezogenen Dienstleistungen sind im Kammerbezirk sämtliche Konjunkturindikatoren schwächer als im übrigen Handwerk. Nur 45 Prozent rechnen damit, dass sich ihre Lage nicht weiter verschlechtert. © Ronny von Wangenheim

Neue Wege geht man hier demnächst: „Wir planen ein Eltern-Speeddating in Herne.“ Eltern seien entscheidend bei der Berufswahl des Nachwuchses. Denen wolle man nun ganz bewusst zeigen, dass Handwerk eine gute Option für die Zukunft ihrer Kinder sei.

Und wie kann man noch attraktiver werden? Kammerpräsident Berthold Schröder meint, dass sich Handwerk verändern muss, um Mitarbeiter zu halten und nicht beispielsweise an Feuerwehren oder Stadtverwaltungen zu verlieren. Höhere Löhne – immerhin 49 Prozent der befragten Betriebe zahlen über Tarif – seien nicht alles. Flexible und damit familienfreundliche Arbeitszeiten oder Verzicht auf Samstagsarbeit gehören für die Zufriedenheit der Mitarbeiter dazu. Work-Life-Balance ist heute auch im Handwerk gefragt.

Die Geschäftslage betrachten 33 Prozent als gut (Vorjahr 52 Prozent), 43 Prozent als befriedigend (39), 23 Prozent als schlecht (9).

27 Prozent der Betriebe haben Beschäftigte verloren, nur 17 Prozent haben mehr Mitarbeiter als vor einem Jahr.

Die Auftragslage ist bei 43 Prozent gefallen, bei 23 Prozent gestiegen.

Der Umsatz ist bei 40 Prozent gefallen, bei 17 Prozent gestiegen, 47 Prozent der Betriebe haben ihre Verkaufspreise erhöht.

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