Wechsel-Possen: Ein Spiel mit vielen Spielverderbern
Sittenverfall im Profifußball?
Den Fall Pierre-Emerick Aubameyang werten manche als Beleg für einen „Sittenverfall“ im Profifußball. Wir erklären, was Spieler alles tun, um einen Wechsel zu forcieren, und warum die Vereine bei diesem Theater nicht unbedingt ohnmächtig sind.

Sittenverfall oder Normalität? Die Wechselabsicht von Pierre-Emerick Aubameyang befeuert die Diskussion. © dpa
Das Spiel mit der Moral
Bundesliga-Trainer Niko Kovac hat im Wirbel um wechselwillige Profis wie Borussia Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang vor einem Sittenverfall im Fußball gewarnt. „So etwas kann man nicht gutheißen. Wo endet das denn? In Anarchie!“, sagte der Coach von Eintracht Frankfurt dem „Kicker“. „Da macht jeder, was er will, dann kommen Spieler zum Training, wann und wie sie wollen.“
Fußballer oft Spielball
Fälle wie die Affäre Aubameyang oder der per Streik erzwungene Wechsel von Ousmane Dembélé zum FC Barcelona im vergangenen Sommer bilden nach wie vor die Ausnahme. „Es gibt diese Fälle, das ist auch nicht schön, aber das sind Einzelfälle“, sagt Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV. Die Fußballer seien oft ein Spielball von Beratern oder Klubs und unterschiedlichen Interessen. „Manchmal ist das ein doppelzüngiges Spiel“, sieht Baranowsky den Schwarzen Peter zu Unrecht bei den Spielern.
Offensichtlich ist jedoch auch, dass das profitable Zeitfenster im Leistungssport begrenzt ist und es für manche Sportler kein Halten mehr. Elf Freunde waren selten eine gute Mannschaft. Elf Egoisten noch weniger. „Wo gibt es denn so was, dass einer sagt: Ich komme oder ich komme nicht. Wo ist die Verantwortung geblieben?“, sagte Kovac. Wenn’s um Geld geht, bleiben Werte auf der Strecke.
Die Macht der Spieler
Einen Wechsel provozieren, bis dem Verein gar nichts anderes übrig bleibt, als einzuknicken? Mit ihrer Machtposition können sich Spieler mehr erlauben denn je, so scheint es. Vor allem die Besten ihrer Zunft sind begehrt, und sie wissen es auch. Ob die Spieler sich Eskapaden und Extravaganzen leisten (Aubameyang), gleich in den Streik treten (Ousmane Dembélé) oder sich mit angeblichen Rückenbeschwerden abmelden (FC Liverpools Philippe Coutinho), verkommt dann nur noch zu einer Frage der strategischen Vorgehensweise und der arbeitsrechtlichen Integrität. Sind das Symptome eines grassierenden Werteverlusts oder Einzelfälle?
„Verträge sind einzuhalten“
„Verträge sind einzuhalten. Das gilt für beide Seiten“, sagt Gewerkschafter Ulf Baranowsky. „Wir würden auch keinem Spieler empfehlen, dem Training fernzubleiben, um den Klub unter Druck zu setzen.“ Es gebe Klubs, bei denen solche Fälle überhaupt nicht vorkämen, weil es ein klares Anforderungsprofil gebe und klar kommuniziert werde. Weil die Spieler dort wüssten, was der Klub sagt, sei Gesetz.
Und es gebe andere Klubs. „Ein Verein hat ja alle Möglichkeiten, Nein zu sagen. Aber es gibt ein Umfeld, wo solche Fälle immer mal vorkommen.“
Der Druck der Berater
Mit explodierenden Gehältern wird manch einem Spieler der Kopf verdreht. Wenn ein junger Mensch in seinen 20ern nur noch einen Vertrag unterschreiben muss, um für sich, seine Familie bis zu den Enkeln ausgesorgt zu haben, sind sie leicht zu manipulieren.
Milliarden an Honoraren
Acht bis zwölf Prozent Provision nennen redliche Spielerberater als Konditionen für ihre Unterstützung bei Vereinswechseln und Vertragsgesprächen. Oft ist es mehr. Fällig werden die Summen auch, wenn ein Arbeitspapier nur verlängert wird. In der vergangenen Spielzeit zahlten die Bundesligisten offiziell 150 Millionen Euro an Berater. International kommen Milliarden zusammen.
Es sind die schwarzen Schafe, die den Ruf der gesamten Branche versauen. Diese extremen Böen zeigen jedoch an, aus welcher Richtung der Wind weht. Im Zweifel fliegen Stühle, um die Interessen des Mandanten (und damit die eigenen) durchzusetzen. Nicht zuletzt nutzen und (miss-)brauchen Spieler und Berater klassische Medien und Social-Media-Kanäle, um ihre Interessen publik zu machen, Druck auszuüben, an der Eskalationsschraube zu drehen, wie jetzt im Fall Aubamemyang.
Die Ohmacht der Klubs
Borussia Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc hat in 40 Jahren als Spieler und als Manager alle Seiten des Geschäfts kennengelernt. Er muss in diesem nicht immer sauberen Geschäft mitspielen, ohne Beklemmungen. „Davon habe ich mich schon lange freigemacht, ob ich da persönlich oder menschlich enttäuscht bin“, sagte er zum Fall Aubameyang.
Populistische Forderung
Es wirkt entwürdigend, einem meuternden Spieler zumindest offiziell die Tür offen zu halten. Es ist aber alternativlos. Tun die Verantwortlichen diese nicht, sinkt der Marktwert des wechselwilligen Spielers. Die populistische Forderung, einen Spieler wie Aubameyang ein halbes Jahr auf die Tribüne zu setzen, ist nachvollziehbar, käme aber der demonstrativen Verbrennung von Geldscheinen gleich.
Klubs wie Trainer erscheinen mitunter ohnmächtig. Weil es den Gesetzen des Marktes entsprechend keine Solidarität unter den maximal erfolgsorientierten Vereinen geben kann. Jeder kämpft für sich, die Großen fressen die Kleinen, vom Champions-League-Sieger bis zum Amateurverein. Die Vereine müssten deshalb geschützt werden, lautet eine Forderung. Vor sich selbst? Das „Financial Fairplay“ der Uefa ist kaum das Papier wert, auf dem es geschrieben wurde, es wird permanent ad absurdum geführt. Winkeladvokaten finden immer einen Ausweg. Solange Milliardäre, Scheichs oder globale Investoren Geld ins System pumpen, die Erlössituation für alle Beteiligten immer besser wird, muss der Rubel weiter rollen. Wer sich an selbstverpflichtende Regularien hält wie die meisten Bundesligisten, scheint im internationalen Vergleich der Dumme zu sein.
Die Verträge
„Wo ist der Vertrag, der zählt?“, fragt Trainer Niko Kovac. „Früher galt das gesprochene Wort. Inzwischen zählt ein Fünfjahresvertrag genauso wenig wie ein Halbjahresvertrag. Das ist sehr bedenklich.“
Echte Empörung
Zu seiner Zeit als Profi, so Kovac, habe es ein solches Verhalten nicht gegeben. Das dürfte nicht ganz zutreffen, aber die Empörung ist echt.