Sebastian Kehl (rechts) beerbt im Sommer Michael Zorc als Sportdirektor und wird bei der Neustrukturierung des Kaders gleich vor eine Mammutaufgabe gestellt. © Guido Kirchner

Borussia Dortmund

Umbruch und Aufbruch: Wie der BVB in die Zukunft startet – Teil 1: Transferpolitik

Der BVB wird sich verändern. Im Sommer übernimmt Sebastian Kehl als Sportdirektor. Mit dieser Personalie und aus den Lehren dieser Saison sind Veränderungen verknüpft. Teil 1 unserer Serie: Transferpolitik.

Dortmund

, 26.03.2022 / Lesedauer: 5 min

Im Sommer 2019, Corona war allenfalls als Biermarke aus Mexiko der breiten Öffentlichkeit ein Begriff, ging Borussia Dortmund am Transfermarkt letztmals so richtig in die Vollen. Vier Tage nach dem enttäuschenden Saisonende, der BVB hatte einen Winter-Vorsprung von neun Punkten auf die Bayern verspielt und musste sich einmal mehr mit der Vize-Meisterschaft begnügen, verkündete der Klub die Verpflichtung von gleich drei Nationalspielern. Die versprachen Tempo (Nico Schulz/TSG Hoffenheim) und fußballerische Finesse (Julian Brandt/Bayer Leverkusen, Thorgan Hazard/Gladbach).

BVB investierte im Sommer 2019 mehr als 100 Millionen Euro für Spieler

Drei Wochen später komplettierte die Rückkehr von Mats Hummels Dortmunds spektakuläre Transfer-Offensive in jenem Sommer. Er sollte als Anführer fungieren, fußballerisch in Dortmund erwachsen geworden, gereift bei den Bayern und gestählt nicht nur durch ein erfolgreiches WM-Finale, in dem er beim deutschen Triumph von Rio einer der Protagonisten gewesen war. Rund 105 Millionen Euro an Ablösesummen legte der BVB für diese vier Spieler auf den Tisch.

Transferausgaben in dreistelliger Millionen-Höhe, nicht immer komplett gedeckt durch Einnahmen nach entsprechenden Verkäufen, zeugen von der rasanten Entwicklung, die der Klub in den vergangenen 15 Jahren genommen hat und die immer noch eng verknüpft ist mit dem Namen Jürgen Klopp. Doch nur selten erfüllten sich die Erwartungen, die mit den großen Ablösesummen einhergingen.

Transfers als Angriffssignal: BVB-Plan geht bis heute nicht auf

In Weltmeister Hummels (30 Jahre alt) und den gestandenen Bundesliga-Profis Hazard (26), Schulz (26) und Brandt (23) holte Dortmund vor drei Jahren jede Menge Erfahrung in seinen Kader und hoffte damit, die kleine Lücke von nur zwei Zählern Rückstand zu den Bayern endlich schließen zu können. Es war ein klares Angriffssignal. Doch der Plan ging bis heute nicht auf. Und der Traum von einer neunten Deutschen Meisterschaft wird wohl auch in dieser Saison keine Realität werden.

Auch wenn die Borussia mit den durch eine kluge Kauf- und Weiterverkaufsstrategie zunehmenden finanziellen Möglichkeiten immer wieder bereit war, für absolute Wunschspieler tief in die Tasche zu greifen (Ciro Immobile, André Schürrle, Mario Götze, Jude Bellingham, zuletzt Donyell Malen), entwickelte sich parallel doch das Entdecken und Entwickeln junger, begeisterungsfähiger Spieler mit reichlich Entwicklungspotenzial zu einem Kernpunkt der Dortmunder Transferpolitik. Ausgelöst und angestoßen wurde diese Entwicklung von einer zu zwei Deutschen Meisterschaften stürmenden Mannschaft aus talentierten Nachwuchsspielern in den Jahren 2011 und 2012, die den damals noch krass unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen zu Branchenprimus Bayern mit Zusammenhalt und großem Willen trotzten.

BVB-Kader weist eine Unwucht auf

Der BVB perfektionierte dieses Muster. Er suchte und fand Spieler, die noch nicht in den Blickpunkt der absoluten Top-Klubs geraten waren. Und er konnte Top-Talente mit einem attraktiven Gesamtpaket aus ordentlichem Verdienst, vor allem aber der Aussicht auf gute Weiterentwicklungsmöglichkeiten nach Dortmund locken.

Ein Quartett, das der BVB im Sommer 2019 verpflichtete und das nicht restlos überzeugen konnte: (von links) Mats Hummels, Thorgan Hazard, Nico Schulz und Julian Brandt. © picture alliance/dpa

Das schien eine erfolgversprechende Mischung zu sein. Doch in den vergangenen Jahren ist Borussia Dortmund vom Kurs abgekommen. Vielleicht war es eine Prise zu viel Talent und zu wenig Erfahrung, vielleicht eine Spur zu viel Fußball aus der Feinkostabteilung – und zu wenig Wehrhaftigkeit. Nicht erst die laufende Saison hat zu der Erkenntnis geführt, dass im Kader eine Unwucht herrscht. Er ist gespickt mit fußballerischem Potenzial, aber er besticht nicht durch eine gesunde Mischung aus Künstlern und denen, die zupacken, wenn Gegenwehr vonnöten ist.

BVB steht vor dem Umbruch nach der Ära von Michael Zorc

Der BVB wird sich neu definieren müssen. Dazu zählt auch eine angepasste Transfer-Strategie. Sie zu entwickeln, war der Schwerpunkt der Übergangsperiode von Michael Zorc zu Sebastian Kehl in den vergangenen beiden Jahren. Im Sommer rückt der ehemalige Kapitän nun endgültig in die alleinige Verantwortung. Kehl hat klare Vorstellungen und die ersten Eckpfeiler schon gesetzt. Die Verpflichtung von Gregor Kobel drückte er auch gegen interne Vorbehalte durch, er fädelte auch den Transfer-Coup mit Niklas Süle ein. Das aber war nur ein Anfang. Kehl weiß: Auf ihn wartet eine Mammutaufgabe.

Die Probleme sind erkannt. Auch vom neuen Trainer. Marco Rose hat einen nahezu identischen Kader von seinen Vorgängern Lucien Favre und Edin Terzic übernommen. Er wusste, dass er ohne Jadon Sancho würde planen müssen, einen Teil der Ablöse steckte Dortmund in die Verpflichtung von Donyell Malen. Damit streckte sich der BVB im vergangenen Sommer weit aus dem Fenster. In Zeiten leerer Kassen, bedingt durch eine unkalkulierbar um sich greifende Pandemie, war die Investition von knapp 30 Millionen Euro in nur einen Spieler bemerkenswert – sie konnte aber nur einen Bruchteil der schon damals erkannten Defizite beheben.

BVB-Trainer Marco Rose möchte Kaderstruktur verändern

Rose ist nun seit neun Monaten im Amt. Er hat sich einen Überblick verschaffen können. Über die Kaderstruktur, über Persönlichkeiten und Mentalitäten, vorhandene und fehlende. Er wisse jetzt „einige Dinge einzuschätzen“, hat er kürzlich erklärt und versprochen: „Wir werden an der Qualität schrauben.“ Alle Entscheider wissen, dass diese Entwicklung mehrerer Transferperioden bedarf. Den Übergang müssen sie klug kommunizieren, um den Neustart nicht mit überbordenden Erwartungen zu torpedieren. Die Anforderungen an neues Personal hat der 45-jährige Rose benannt und dabei über Robustheit gesprochen, über Zweikampfführung, Ausstrahlung und Körpersprache. Auffällig: Fußballerische Qualität tauchte in der Aufzählung nicht auf.

Die neuen Spieler sollen vor allem den Willen mitbringen, sich für den Klub zu zerreißen, sie sollen vom Weg überzeugt sein, den Kehl allen Kandidaten aufgezeigt hat – und sie sollen größtmögliche Identifikation mit den Werten des Vereins mitbringen, der in einer ehemaligen Bergarbeiter-Region das Malochen immer über den Glamour gestellt hat. Ein weiterer Parameter: Verfügbarkeit. Was nützen vermeintliche Topspieler, wenn sie die Hälfte der Saison wegen Verletzungen ausfallen? Auch hier wird im Scouting sehr intensiv in die Akten geschaut.

BVB setzt bei Kader-Zusammenstellung auf einen Dreiklang

Dortmund wird bei den Kandidaten nicht mit Geld winken, sondern Gier verpflichten. Der Etat für das Gehalt der Profiabteilung dürfte nach mehr als 120 Millionen Euro Einnahmenverlust während der Pandemie eher stagnieren oder gar sinken. Bei Erling Haaland, dessen Zuschlag der BVB im Winter 2020 nicht ohne Ausstiegsklausel bekommen hätte, machte der Klub eine Ausnahme. Dabei soll es bleiben. Wenn Spieler eine Exit-Option wünschen, sollen sie künftig wieder an Dortmund vorbeiziehen. Es gilt der Dreiklang aus Qualität, Überzeugung und finanzieller Vernunft.

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Es gilt also, Typen zu identifizieren und in den Kader zu bekommen, die die Ärmel hochkrempeln, die sich verbeißen in die kniffligen Situationen, die es in jeder Saison gibt. Und in denen Dortmund in diesem Jahr zu oft durchfiel.

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