Tuchel muss die Einzelteile beim BVB zusammenfügen
Gelungener Test gegen Manchester
Borussia Dortmund hat den vielleicht radikalsten Personalumbau der vergangenen 20 Jahre hinter sich: Drei Schlüsselspieler verließen den BVB im Sommer, acht Neue kamen. BVB-Trainer Thomas Tuchel muss aus den einzelnen Komponenten zügig eine funktionierende Mannschaft formen. Die Eindrücke der ersten Tage der China-Tour lassen darauf schließen, dass ihm das gelingen könnte.

Thomas Tuchel (M.) muss die Einzelteile beim BVB zusammensetzen.
Jose Mourinhos Selbstvertrauen sprengt jede Skala. "The Special One", wie er sich einst selbst bezeichnete, ist seiner Meinung nach der größte Trainer der Welt, der jetzt standesgemäß den größten Verein der Welt (Manchester United) trainiert und dort mit den größten Stars der Welt (Bastian Schweinsteiger, Wayne Rooney, Zlatan Ibrahimovic) zusammenarbeitet. Wenn also jemand wie der Portugiese davon spricht, er habe soeben mit einem Formel-3-Fahrzeug gegen einen Formel-1-Boliden verloren, muss etwas Besonderes passiert sein - oder man befindet sich mitten in der Vorbereitung.
Mehr als zufrieden
Letzteres war am Freitag definitiv der Fall, ersteres aber auch nicht völlig von der Hand zu weisen. Denn Mourinhos Manchester hatte ein Testspiel gegen Borussia Dortmund mit 1:4 in den Sand gesetzt und dabei zu keinem Zeitpunkt gleichwertig oder gar überlegen gewirkt. Zwar fehlten United acht gestandene Spieler - darunter alle zu Beginn aufgezählten Topstars -, auch war der BVB zehn Tage länger im Training als der englische Traditionsklub.
Und doch konnte der - ebenfalls nicht in voller Stärke angetretene - BVB-Tross mit dem Spiel mehr als zufrieden sein. Deuteten die 90 Minuten im Stadion von Shanghai doch darauf hin, wie ordentlich der Klub die schmerzhaften Abgänge von Mats Hummels (FC Bayern München), Ilkay Gündogan (Manchester City) und Henrikh Mkhitaryan (Manchester United) im Sommer kompensieren konnte.
Dembele trumpft auf
Dass eben jener Mkhitaryan, Dortmunds Bester der Vorsaison, für Manchester zum zwischenzeitlichen 1:3 traf, war nur eine Randnotiz aus Dortmunder Sicht. Entscheidender war, dass der blutjunge Neuzugang Ousmane Dembele erstmals auch gegen einen großen Gegner ein glänzendes Tor erzielte.
Dass der neue Abräumer Sebastian Rode im Mittelfeld eine gute Partie zeigte. Dass Pierre-Emerick Aubameyang auch in der neuen Saison scheinbar nach Belieben trifft und dass Gonzalo Castro immer besser in die zentrale Rolle, die er künftig im Spiel des BVB einnehmen könnte, hereinwächst - und obendrein zwei Tore schoss.
"Zu drastisch ausgedrückt"
"Mourinhos Vergleich ist mir zu drastisch ausgedrückt", erklärte Thomas Tuchel. Doch was er gesehen hatte, gefiel ihm trotzdem gut. Der BVB-Coach analysierte: "Wir haben verdient gewonnen und da angeknüpft, wo wir im Training aufgehört hatten. Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden, aber auch mit der Art und Weise. Wir sind auf einem guten Weg."
Vier von fünf Tests hat der BVB in der bisherigen Sommervorbereitung gewonnen, nur gegen den Zweitligisten 1860 München setzte es zum Ende des Kurz-Trainingslagers in Kirchberg eine Niederlage. Eine insgesamt ordentliche Bilanz. Und das, obwohl noch längst nicht alle Neuen im Training sind.
Fünf Spieler steigen Anfang August ein
Europameister Raphael Guerreiro sowie die jüngst verpflichteten Weltmeister Andre Schürrle und Mario Götze steigen erst Anfang August in die Vorbereitung ein. Auch Shootingstar Julian Weigl sowie Rechtsverteidiger Lukasz Piszczek kehren dann aus dem EM-Urlaub zurück. Es stoßen also noch fünf potenzielle Startelfkandidaten zu einem Kader hinzu, der bereits jetzt sehr wettbewerbsfähig wirkt.
Speziell in der Offensive ist der BVB wesentlich breiter besetzt als im Vorjahr. Jede der vier Angriffspositionen ist doppelt und mit Ausnahme der Sturmspitze, wo Aubameyang weiterhin nahezu unangefochten ist, gleichwertig besetzt. "Im Angriff haben wir sehr, sehr viel Qualität", sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc nach dem Vollzug des Schürrle-Transfers, "vielleicht sogar mehr als im Vorjahr. Aber du bist immer nur so gut wie du als Mannschaft funktionierst."
"Wird kein Selbstläufer"
Die Einzelteile zusammenzufügen, das wird in den kommenden Wochen bis zum Supercup gegen den FC Bayern (14. August) die Aufgabe von Tuchel sein. Nicht alles wird in der Kürze der Zeit gelingen, beim BVB stellt man sich daher darauf ein, auch einmal durch kleinere Täler zu müssen.
"Wir hatten einen kleinen Umbruch. Es wird nicht leicht und die Saison kein Selbstläufer", warnte beispielsweise Castro in Shanghai. Doch es gibt - Stand jetzt - auch keine Grundlade für die Untergangsszenarien, die manch einer in der Sommerpause bereits entworfen hatte. Dem würde wohl auch "The Special One" Jose Mourinho nicht widersprechen.