Ramos könnte sich Beispiel an Mkhitaryan nehmen
Frage der Haltung
Haltung und Mentalität - das fordert Thomas Tuchel jeden Tag aufs Neue von seinen Spielern ein. Und dabei ist es ihm egal, ob es sich um einen seiner Topstars oder einen Profi handelt, der weiter unten in der Hierarchie rangiert. Zu spüren bekam das in Dubai Ersatzstürmer Adrian Ramos.

Lehrer und Schüler: Thomas Tuchel (l.) erklärt Adrian Ramos, was er im Training von ihm sehen will.
Das Samstagstraining der Borussia auf dem Rasenplatz des "NAS Sports Complex" ist beendet, die Spieler laufen rüber zum benachbarten Fitnesscenter. Nur einer muss dableiben und zum Rapport bei Thomas Tuchel antanzen: Adrian Ramos. Minutenlang redet der BVB-Trainer auf dem Kolumbianer ein. Mimik und Gestik sind eindeutig, Tuchel ist unzufrieden mit der Einheit seines Stürmers.
"Nächste Frage, bitte"
Als der 42-Jährige einen Tag später nach dem Gespräch mit Ramos befragt wird, antwortet er wie aus der Pistole geschossen: "Nächste Frage, bitte." Dann bittet er noch darum, in das Gespräch nicht zu viel hineinzuinterpretieren. "Ich bin emotional, deshalb gibt es immer wieder diese Gespräche."
Zwei Tage später: Der BVB gewinnt seinen ersten Test des Jahres - und Ramos schießt beim 4:0-Sieg über Eintracht Frankfurt zwei Tore. Botschaft verstanden?
Vertrag bis Sommer 2018
Tuchel will zunächst auch diesmal nichts zur Leistung des Angreifers, der in der Hinrunde nur auf 89 Bundesliga-Minuten (zwei Tore, zwei Vorlagen) gekommen ist, sagen. Erst nach einer kurzen Pause erklärt er: „Es ist zu früh für eine Bewertung und für ein Extralob. Adrian muss die Situation annehmen, wie sie ist: Seine beste Position ist die Neun. Unsere andere Neun, Pierre-Emerick Aubameyang, hat 18 Tore geschossen. Er muss positiv bleiben und das Beste aus sich rausholen. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, so eine Halbzeit zu spielen.“
Genau damit hat Ramos, ein schüchterner und zurückhaltender Charakter, Probleme. Im Sommer stand er nur ein Jahr nach seinem Wechsel von Hertha BSC zum BVB vor dem Absprung zum FC Sunderland. Der Transfer scheiterte. Auch jetzt sieht es so aus, als müsse Ramos bleiben. Doch der 29-Jährige, der noch einen Vertrag bis 2018 besitzt, fällt in die Kategorie von Spielern, die Sportdirektor Michael Zorc meinte, als er vor dem Abflug nach Dubai erklärte: "Man muss den Einzelfall betrachten."
Persönliche Entwicklung
Im Klartext: Gibt es ein lukratives Angebot für Ramos und gleichzeitig die Möglichkeit, Ersatz zu verpflichten, könnte das Thema bis zum Ende der Wechselperiode am 1. Februar noch einmal heiß werden - sofern Ramos den Kampf nicht mit letzter Konsequenz annimmt.
Wie wichtig es für die persönliche Entwicklung sein kann, sich Widerständen zu stellen, kann der Kolumbianer bei einem Teamkollegen beobachten: Henrikh Mkhitaryan erlebte zwei schwere Jahre in Dortmund – und ist heute einer der wertvollsten Profis im Kader.
"Ein Vorbild für uns alle"
Als Tuchel im Trainingslager den Youngstern Christian Pulisic und Felix Passlack empfiehl, sich ihre Kollegen anzuschauen und von ihnen zu lernen, meinte er damit an vorderster Stelle Mkhitaryan. "Er ist ein Vorbild für uns alle. Ich lerne jeden Tag von ihm, was die besten Spieler ausmacht", schwärmt Tuchel in Dubai vom stillen und früher oft grüblerischen Armenier.
Sollten Mkhitaryans ersten 24 Monate in Dortmund einmal verfilmt werden, stünde der Titel wohl fest. „Der große Melancholiker“ könnte der Streifen nur heißen - und genau das reizte Tuchel. In zahlreichen Einzelgesprächen haben sich der BVB-Trainer und Mkhitaryan vor und während der Hinrunde ausgetauscht.
Totale Hingabe
Der gemeinsame Draht führte zu einer beispiellosen Leistungsexplosion. Der 26-Jährige, dessen Vertrag 2017 ausläuft und der unbedingt gehalten werden soll, war in der ersten Halbserie an 34 Treffern (15 Tore, 19 Vorlagen) beteiligt und wurde vom "Kicker" jüngst mit dem Etikett "Weltklasse" ausgezeichnet.
Tuchel imponiert vor allem die totale Hingabe, mit der Mkhitaryan seinen Beruf ausübt. "Er", sagt der BVB-Trainer, "verkörpert, was Profisport ausmacht. Er ist ein außergewöhnlicher Mensch und großartiger Sportler, der sich komplett der Mannschaft verschreibt." Und auch das sagt Tuchel über den Offensivkünstler: "Er ist noch nicht am Limit."