Der Seismograph für die Stimmung rund um Borussia Dortmund ist nach wie vor die Fan-Kurve. Nach dem 1:2 in Augsburg bot sich dort in der Ecke der WWK Arena ein merkwürdiges Bild. Schweigend empfingen die Anhänger die zögerlich vortretenden Spieler, die rund 20 Sekunden lang dort standen. Dann setzte ein kurzes, aber heftiges Pfeifkonzert ein. Sichtlich mitgenommen wandte sich die Mannschaft ab, getroffen von den Missfallenskundgebungen. Die Aktion hinterließ auch beim Trainer später ihre Wirkung. Das müsse man aushalten, meinte Nuri Sahin mit leiser Stimme, „alle Kritik, die es jetzt gibt, ist berechtigt.“
Stundenlange BVB-Analyse in Brackel
Viertes Auswärtsspiel, dritte Niederlage, über 70 Prozent Ballbesitz, aber nur drei Torschüsse. 670 erfolgreiche Pässe, aber nur drei echte Torchancen – das sind die nackten Zahlen zur Krise von Borussia Dortmund, die schleichend begann, in Augsburg dann aber vollends sichtbar wurde. „Weder die Leistungen noch die Punkteausbeute spiegeln unser aller Anspruch wider – natürlich insbesondere auch nicht den der Spieler“, erklärte Geschäftsführer Lars Ricken im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten.
Ricken nimmt die Mannschaft vor dem wichtigen Pokal-Auswärtsspiel beim VfL Wolfsburg in die Pflicht: „Wir befinden uns in der Liga in einer offensichtlich sehr herausfordernden Situation. Ich erwarte, dass sich jeder Einzelne die einfache Frage stellt, wie er seine individuelle Qualität, die ihn letztlich zum BVB gebracht hat, im Sinne der Mannschaft effektiv ausschöpft.“ Am Sonntag weilte der 48-Jährige am Trainingszentrum in Brackel bei der Mannschaft, um in Einzelgesprächen die aktuelle Situation zu erörtern.
BVB-Trainer Sahin: „Absoluter Wahnsinn“
Mal wieder stellte sich der BVB selbst ein Bein. Mit dem frühen 1:0 durch Donyell Malen startete Dortmund eigentlich perfekt in die Partie (4.). „Eigentlich“, meinte Sahin, „ist so etwas ein Brustlöser in schwerer Zeit.“ Stattdessen regierte Sorglosigkeit in Schwarzgelb, was sich schon beim Ausgleich zeigte, als Felix Nmecha und Nico Schlotterbeck den Augsburger Doppeltorschützen Alexis Claude-Maurice ohne Gegnerdruck durchs Zentrum laufen ließen und der Ball bei Gregor Kobel im langen Eck einschlug (25.). Auch beim 2:1 leistete Dortmund freundliche Mithilfe. Emre Cans fehlgeschlagener Klärungsversuche belegte in hässlicher Deutlichkeit seine aktuell nicht bundesligareife Form (50.). Sahin sprach nachher frustriert von „absolutem Wahnsinn, wie wir Gegentore kassieren.“
Dass der BVB in Waldemar Anton (Hüfte), Julian Ryerson (Adduktoren) und Marcel Sabitzer (Rückenprobleme) drei weitere Spieler verlor, die am Dienstag in Wolfsburg wohl ausfallen werden, verschärft die prekäre Lage. „Wir sind bei Borussoa Dortmund, wir müssen liefern“, sagt Sahin vor einer weiteren schwierigen Woche für seine Mannschaft, in der man nicht nur Esprit, Ideen und Gegenwehr vermisste, sondern einmal mehr auch Führung durch die erfahrenen Spieler. Julian Brandt war in der Lage, die Probleme klar zu benennen, Lösungen auf dem Feld hatte einer der zur neuen Führungsriege auserkorenen Spieler aber ebenso wenig wie seine Kollegen zu bieten. „Unser Problem“, gab er zu, „ist aktuell, dass jeder mit sich selbst beschäftigt ist, wenn wir ein Gegentor kassieren. Es ist vogelwild.“
BVB mit massiven Verletzungsproblemen
Bei nur noch elf gesunden Feldspielern aus dem engen Profikader ist klar, dass Sahin in Wolfsburg auch die Talente in die Verantwortung nehmen muss, denen er bislang diese Bürde nicht aufsatteln wollte. Ausbleibende Erfolge rücken nicht nur, aber auch in Dortmund den Trainer in den Blickpunkt, das mit viel Schwung im Sommer gestartete Projekt steht auf dem Prüfstand. Noch steht der 36-Jährige nicht zur Disposition. „Ich sehe ihn sehr konstruktiv, gewissenhaft und intensiv mit der Mannschaft arbeiten“, sagt Ricken im Gespräch mit dieser Redaktion. „Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam pragmatische Lösungen zu finden.“