Hummels als tragischer Held: DFB-Team beißt sich an Frankreich die Zähne aus
Europameisterschaft
Das DFB-Team legt einen EM-Fehlstart hin. Die 0:1-Niederlage gegen Frankreich deckt viele Schwachstellen der deutschen Mannschaft auf. BVB-Abwehrchef Mats Hummels wird zum tragischen Helden.

Die entscheidende Szene des Abends: Mats Hummels (l.) trifft ins eigene Tor. © dpa
Sein Blick ging hoch zur riesigen Videoleinwand, eine Erklärung fand er auch dort nicht, stattdessen Bilder von jubelnden Franzosen. Ein vermeidbares Eigentor von Abwehrchef Mats Hummels brachte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zum EM-Auftakt früh in Rückstand (20.). Hummels wollte die scharfe Hereingabe von Lucas Hernandez vor dem heranstürmenden Kylian Mbappe klären und beförderte den Ball mit dem Schienbein in den Winkel, als sei er ein Torjäger. Das Sch...-Wort ließ sich deutlich von seinen Lippen ablesen.
Bundestrainer Löw setzt auf Hummels und Müller
So unglücklich der Gegentreffer auch zustandekam, er passte zum Bild einer in der Anfangsphase nervösen, fahrigen DFB-Elf. Mit der Forderung, eine „energetische“ Leistung zu zeigen, leidenschaftlich Fußball zu spielen, schickte Bundestrainer Joachim Löw die erwartete Startelf ins Rennen. Mit Bayern Münchens Mittelfeld-Maschine Joshua Kimmich auf dem rechten Flügel und den zwei Rückkehrern als zentralen Korsettstangen: Thomas Müller als „freie Radikale“ in der Offensive und BVB-Abwehrchef Mats Hummels als Organisator der deutschen Verteidigung.
Außerdem setzte Deutschland im Kräftemessen mit Weltmeister Frankreich auf den kleinen Heimvorteil: Rund 14.000 Fans durften in die Münchner Arena. Was vor acht Wochen noch als verstörende Idee der UEFA inmitten einer Pandemie irritierte, entpuppte sich für die ersten Fußball-Enthusiasten als Frustlöser - endlich wieder ein Stadionerlebnis!
Eine Fehlerkette in der DFB-Abwehr vor dem Hummels-Eigentor
Für nationale Fußball-Erlebnisse muss die Löw-Elf nach drei enttäuschenden Jahren seit dem WM-Debakel 2018 erst viele verspielte Sympathien erst zurückgewonnen. EM, Sonnenschein, Corona-Lockerungen überall - für ein neu aufgelegtes Sommermärchen brauchte es dann nur noch den angekündigten begeisternden Fußball. Doch den zeigten anfangs eher die selbstsicheren, klug organisierten Franzosen. Ein Kopfball von Paul Pogba flog über den Querbalken (15.), Mbappe testete die Flugfähigkeiten von Manuel Neuer (17.). Dann traf Hummels - auf der falschen Seite. Bei der Analyse fiel außerdem auf, wie Antonio Rüdiger zu früh herausrückte und Kimmich dem Flankengeber zu viel Platz ließ.
Deutschland fiel trotz eines Plus an Ballbesitz bis zur Pause (59 Prozent) wenig ein, der Weg in den französischen Strafraum schien versperrt. Auf dem Weg dorthin fehlten Präzision und Verständnis im Zusammenspiel. Sechs zu zwei Torschüsse für Team Germany nach 45 Minuten täuschten, „Les Bleus“ reichte konzentriertes und diszipliniertes Arbeiten gegen den Ball, um die statischen Angriffe abzufangen.
Gnabry und Havertz fehlt das Durchsetzungsvermögen
Im Zentrum war kein Durchkommen, und auch außen gab es keine freien Räume. Die beste deutsche Szene hatte noch Thomas Müller, der kurz nach dem 0:1 eine Flanke von Robin Gosens knapp am Tor vorbeiköpfte (22.). Seinen Sturmkollegen Serge Gnabry und Kai Havertz fehlten Durchsetzungsvermögen und Überraschungsmomente. Die Routine in der Startelf, im Schnitt fast 29 Jahre alt, zahlte sich kaum aus.
Auch nach dem Wechsel blieb Deutschlands rechte Abwehrseite anfällig, Lucas Rabiot entwischte und traf den Außenpfosten (52.). Dann endlich folgten gutem Willen auch gute Spielzüge. Eine Flanke des beherzten Gosens setzte Gnabry per Aufsetzer über das Tor (54.), die bis dahin beste DFB-Chance, die zwar keinen Erfolg, aber immerhin Feuer in die Partie brachte. Oft blieb dabei der Pass der guten Hoffnung das Mittel der Wahl – zu wenig. Die Kombinationen verfingen nicht, Ecken und Freistöße auch nicht. Wie man aus wenig viel macht, zeigte Mbappe, der gegen drei deutsche Verteidiger zum Abschluss kam, zuvor allerdings knapp im Abseits stand (66.). Auch Karim Benzemas Treffer kassierte der Video-Referee (85.).
DFB-Team muss sich in alle Bereichen steigern
Deutschland blieb dran, die Partie hauteng - aber ohne weiteren Treffer. Am Samstag (18 Uhr) steht Deutschland gegen Titelverteidiger Portugal massiv unter Druck. In allen Mannschaftsteilen muss eine Leistungssteigerung her, um bei der EM nicht sofort die Ziele aus den Augen zu verlieren.