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Ex-BVB-Profi Neven Subotic: „Das ist mir wichtiger, als meine Seele zu verkaufen“
Exklusiv-Interview
Der ehemalige BVB-Verteidiger Neven Subotic ist ein Fußballprofi, der nicht in dieses Business passt. Im Exklusiv-Interview spricht er über schnelle Autos, sportliche Zukunftspläne und sein großes Ziel.
Neven Subotic ist ein etwas anderer Profifußballer. In der Welt, in der sich alles um „Geld, Glanz und Gold“ dreht, spielt er schon lange nicht mehr mit. Früh hat der ehemalige Innenverteidiger des BVB erkannt, dass es im Leben auf andere Dinge ankommt. Ein Gespräch über seine eigene Stiftung, Entwicklungshilfe, Glück, Luxus sowie Pläne für die weitere sportliche Karriere – und das große Ziel.
Die Stiftungsarbeit kommt bei Ihnen an erster Stelle. Sie wollen wirklich etwas bewirken. Warum?
Ich habe mal ein Poster gesehen, da waren ganz viele Punkte drauf. Jeder Punkt war eine Woche in deinem Leben. Ich habe ja nur dieses eine Leben. Ich kann also jetzt jede Woche an etwas arbeiten. So lange ich denke, dass es richtig ist, will ich, dass es eine Wirkung hat.
Welche Aufgaben übernehmen Sie selbst in der Stiftung, die auf rund ein Dutzend Mitarbeiter zählen kann?
Ich versuche, mehr zu tun als nur darüber zu sprechen. Ich bin im operativen Bereich tätig und sitze jeden Tag daran, meinen Verantwortlichkeiten nachzukommen: Ich bin Vorstandsvorsitzender, Geschäftsführer, IT-Manager, Leiter Finanzen, stellvertretender Leiter Personal, Leiter Spendenverwaltung, Leiter WASH und stellvertretender Leiter Qualität.
Das alles klingt nach einem ziemlich vollen Arbeitstag.
Das ist auch normal in einer kleinen Organisation, wir können nicht alles auslagern. Da bleibt ja auch noch die Öffentlichkeitsarbeit. Das ist ein sehr geringer Teil meiner Arbeit. Ich würde sagen, maximal einmal im Monat mache ich das. 90 Prozent des Tages sollen sich um das Machen drehen und ich will niemals nur über die Probleme sprechen. Mir liegt es auch eher, Macher zu sein. Ich finde, das ist schwieriger – und daran messe ich mich.
Mit der Stiftung gehen Sie auch gerne mal lieber den schwierigen Weg.
Ja, häufig ist der schwierige Weg der richtige. Das merken wir jetzt erneut.
Was unterscheidet den schwierigen Weg vom einfachen Weg in der Entwicklungsarbeit?
Wir arbeiten nur mit Partnern, die auch vor Ort ihr Headquarter haben und aus der Region kommen. Die wären auch noch da, wenn wir morgen weg wären.
Ist das eine Frage der Nachhaltigkeit der Projekte?
Auch. Es geht zudem darum, postkoloniale Strukturen aufzubrechen. Es nützt nichts, wenn die Entscheidungen in Berlin oder Washington getroffen werden. Die Art der Zusammenarbeit schränkt uns auf der anderen Seite aber auch enorm ein, weil die größten Organisationen, die ihre Hauptquartiere woanders haben, viel bekannter sind und dadurch noch stärker gefördert werden.
Die Art der Zusammenarbeit unterscheidet die Stiftung aber auch stark von anderen Organisationen.
Richtig. Und die großen Organisationen leisten ja auch gute Arbeit. Nur: Die Strukturen vor Ort bleiben gleich. Die Strategien werden in Berlin oder Washington entwickelt und schließlich in den Regionen implementiert. Wenn die Motivation lautet „Für unser Land wäre es gut, wenn es in dieser Region Entwicklungshilfe gäbe“, dann geht das gegen unsere humanitäre Sicht der Dinge. Wir fragen uns in erster Linie: Was können wir für diese Menschen tun? Nicht: Was können wir für unsere Sicherheit dort tun? Das geschieht sicherlich auch, ist aber kein ausgesprochenes Ziel von uns und wohl der größte Unterschied zu den anderen Organisationen.
Sie setzen auch nicht auf große Namen. Wie wählt die Stiftung die Botschafter aus?
Unsere knapp 20 Botschafter, die kennt kein Schwein. Das sind Menschen aus der Zivilgesellschaft, die über Jahre gezeigt haben, dass sie sich für die Sache einsetzen. Es wäre viel einfacher, dieser oder jener Fußballer würde einmal im Jahr einen Post machen: „Wasser ist wichtig“. Aber das reicht nicht. Es geht auch darum, mit welchem Respekt ich der Menschheit außerhalb von Deutschland begegne. Wir wollen Stereotypen aufbrechen. Es ist einfach eine Macher-Mentalität, die von unseren Leuten selbst kommt. Die leben das. Das finden wir richtig und möchten das weiterhin fördern.
Wie genau?
Wir werden im neuen Jahr eine Weiterbildung in dem Bereich anbieten. Das gibt es so noch nicht, vor allem nicht in Dortmund. Wir möchten globale Gerechtigkeitskämpfer oder – besser gesagt – Aktivisten ausbilden. Nicht nur für unser Thema, sondern generell.
Was treibt Sie dabei an?
Die Welt ist super ungerecht. Die großen Firmen wollen uns einreden, es sei gar nicht so schlimm und alles sei nachhaltig. Das stimmt so aber nicht. Wer daran ebenfalls nicht glaubt und wirklich etwas bewirken möchte, für den ist unsere Weiterbildung genau das richtige. Die Hoffnung ist, dass wir weiterhin in Dortmund Akteure aus der Zivilgesellschaft haben, die sich nicht nur engagieren …
Sondern?
Gerade zur Weihnachtszeit sammeln Menschen Spenden, indem sie arme und kranke Kinder zeigen. Sie wollen dann Spenden aus Mitleid generieren. Das ist sicherlich gut – aber eben nur kurzfristig gemessen in Euro. Gesellschaftlich ist es ein Stereotyp, das schon seit über 500 Jahren existiert und damit weiter gefestigt wird. Das ist falsch. Wir dürfen uns Afrika nicht nur als „ein Land“ vorstellen und nicht nur auf das Negative hinweisen. Wir müssen unsere eigene Rolle verstehen: Die Ungerechtigkeiten, die es dort in einzelnen Regionen gibt – das ist größtenteils unsere Schuld.
Stichwort: Ausbeutung.
Ja, wir (die westliche Gesellschaft, d. Red.) zahlen ja nicht ansatzweise einen halbwegs fairen Mindestlohn an die Menschen, die etwa unseren Kaffee oder Kakao produzieren. Es gibt Projekte, die darauf aufmerksam machen. Das Ergebnis für die Kleinbauern ist dann gerade mal die Existenzsicherung – und das wird als großer Erfolg gefeiert. Wir sprechen da aber immer noch über Menschen, die gerade mal existieren können – nur damit wir unseren Kaffee oder Kakao haben können. Große Firmen argumentieren so: Wir schaffen Arbeitsplätze. Und dafür dürfen sie das Land ausbeuten... Ist das fair? Sie schaffen nur Arbeitsplätze für einen Bruchteil der dortigen Gesellschaft. Deswegen wollen wir für ein bewussteres Engagement sorgen.

Ex-BVB-Profi Neven Subotic (hier mit RN-Redakteur Marvin K. Hoffmann, r.) hat sich für die Ruhr Nachrichten über eine Stunde Zeit genommen. © Hoffmann
Was war der größte Fortschritt für die Stiftung zuletzt?
Wir haben zwei neue Partner dazugewonnen mit Headquarters in den entsprechenden Ländern. Wir haben einen Partner pro Region und ziehen einen Kreis, bauen diesen Kreis dann aus, damit wir den Fokus beibehalten. Außerdem ist mir Qualität enorm wichtig und wir sind auch als eine der ersten Stiftungen überhaupt mit einem Zertifikat ausgestattet worden. Da bin ich dankbar, ein cooles Team und coole Unterstützer zu haben.
Warum sind Partner vor Ort so wichtig?
Früher sind die Deutschen nach Afrika gegangen und haben gesagt: „Oh, ihr kriegt das nicht hin.“ Dann haben sie etwas gebaut und sind wieder abgehauen. Dreh den Spieß doch mal um: Da kommt irgendwer aus Äthiopien nach Deutschland, sagt, wie man etwas machen soll, und geht dann wieder. Das hilft niemandem! Manche Sachen benötigen Anschaffungskapital und viele Projekte scheitern genau daran. Es gibt ja auch soziale Strukturen, die man nicht außen vor lassen kann, damit man etwas Langfristiges schafft und sich etwas Unabhängiges entwickelt. Es bringt nichts, einen Brunnen zu bauen und dann abzuhauen. Dann leistest du langfristig keine Hilfe.
Wie sieht die Unterstützung für die Partner vor Ort aus?
Finanziell und technisch in erster Linie. Zum Teil auch organisatorisch. Ich habe hier in Deutschland alle Dokumente digital vorliegen. Wir machen aber die Finanzprüfung bei unseren Partnern. Häufig wird in Äthiopien mit Bargeld gehandelt. In Kenia und Tansania weniger – weniger mit Cash sogar als in Deutschland. Wir prüfen aber nun etwa in Äthiopien selbst die Ausgaben, die vor fünf Jahren getätigt wurden. Da müssen zum Teil Zeitungsartikel als Beleg eingescannt werden. Aber nur so geht Transparenz und so stellen wir auch sicher, dass die Gelder zu 100 Prozent dort ankommen.
Ist es eine Form von Glück für Sie?
Wahrscheinlich schon: Ich darf ja das tun, was ich möchte.
Wie definieren Sie Glück?
Ich habe ein Dach über dem Kopf. Muss ich mir Gedanken darüber machen? Nein. Ich wohne bei meiner Freundin – das macht es noch besser. Durch den Fußball habe ich auch noch Geld. Ich kann etwa jederzeit meine Familie in den USA besuchen. Essen, Trinken, Arzt – alles abgesichert. Es gibt Weiterbildungsangebote in Deutschland ohne Ende und auch die kann ich alle wahrnehmen. Das i-Tüpfelchen ist: Man ist der Teil der Gesellschaft, der alles nach vorne bringt. Das pusht und motiviert. Zu wissen, dass durch mein Sein und mein Leben hier dort Menschen einen Trinkwasserbrunnen bekommen, ist auch Glück.
Und was ist Unglück?
Schwierig ist es, wenn die Sicherheit fehlt und die Grundbedürfnisse, auch der Zugang zu Wasser. Mir wurde es mal so erklärt: Das fühlt sich an, als wärst du jeden Tag richtig krank. Das ist eine physische und mentale Last. Wie eine Wolke, die jeden Tag nur Steine auf dich regnen lässt.
Dagegen anzukämpfen erfüllt Sie also.
Ich lerne weiterhin und werde hoffentlich auch nie aufhören damit. Es gibt langweilige Arbeit, die gemacht wird. Es gibt aber eben auch richtig positive Momente. Wenn man etwa mit einem Partner spricht und gemeinsam etwas erreicht. Es ist schön, diese Zusammengehörigkeit und ein Gefühl von „Wir“ im globalen Kontext zu erleben. Das ist Luxus, den nicht jeder hat. Ich arbeite nicht, um zu überleben. Ich kann arbeiten, um einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Neven Subotic feierte 2011 die Meisterschaft mit dem BVB. © picture alliance / dpa
Ist es der einzige Luxus, den Sie sich noch gönnen? Schnelle Autos und große Häuser reizen Sie schließlich längst nicht mehr.
Ja, die Zeit war lustig… (denkt nach) Aber das war dann auch schon alles. Die Zeit als junger Profi hat sich wie ein Videospiel angefühlt. Jeder hat früher Need for Speed gespielt. Auf einmal hast du so ein Auto vor der Tür. Du kannst es umlackieren, kannst neue Felgen kaufen. Einfach so. Auf der Konsole musstest du eine Taste drücken, jetzt gehst du einfach zum Autotuner und sagst: Mach fertig, schick die Rechnung, der Betrag ist mir egal. Die Zeit ist aber – zum Glück – vorbei.
Wofür geben Sie stattdessen Geld aus?
Ich gönne mir auch immer noch Luxus, ganz bestimmt. Ich war jetzt erst Frühstücken mit meiner Freundin in einem Restaurant. Das kann auch nicht jeder und ich kann jederzeit zu meiner Familie. Ich finde, das ist auch Luxus.
Haben Sie sich damals in eine Rolle gepresst gefühlt und Angst gehabt, dass der echte Neven verloren geht?
Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob es einen echten Neven überhaupt gibt. Ich war mit 18, 19 Jahren verblendet. Es war eine komplett neue Welt. Alles drehte sich um Geld, Glanz und Gold. Ich habe das auch dann wenig hinterfragt. Da war das Animalische in mir, das agiert hat. Es war eine interessante Zeit und sie hat vielleicht auch zum Teil dazu beigetragen, dass ich die Stiftung gegründet habe im Jahr 2012. Ich bin weder Philosoph noch Psychologe, um das genau zu analysieren. Ich kann nur meine Geschichte erzählen und sagen, welche Konsequenzen ich gezogen habe.
Gab es da diesen einen Moment?
Es war eher eine Entwicklung. Ich habe in anderen Dingen einen Anker gefunden und mich von Dingen distanziert, von denen ich dachte, dass ich sie tun muss. Ich habe Selbstkritik und Reflexion zurückgewonnen. Das ist so ein interner Filter, der dich ableitet vom falschen Weg und dich vielleicht im besten Fall noch ein bisschen pusht.
Sie haben zuletzt bei Altach in Österreich gespielt. Allerdings nur bis zum Saisonende.
Wir haben die Liga gehalten, das war gut. Es war auch richtig schön da in der Nähe des Bodensees. Siebenstündige Busfahrten nach Wien zum Auswärtsspiel aber eher weniger, vor allem unter dem Corona-Aspekt und mit nur wenigen Zuschauern. Trotzdem war es eine schöne Erfahrung.
Wie sieht die sportliche Zukunft aus?
Ich weiß genau, was ich will, was die Mannschaft betrifft, den Trainer, den Verein, aber auch das Finanzielle und das Sportliche. Ich bin ja ein sogenannter Free Agent und könnte jederzeit irgendwo einsteigen. Ich halte mich auch fit. In den vergangenen Monaten habe ich ohne den Profifußball trotzdem nicht weniger gearbeitet und war daher mehr als gut abgelenkt. Dadurch hat es sich verfestigt: Es muss alles stimmen.
Wie groß ist der Drang, endlich mal wieder vor das runde Leder zu treten?
Ich würde gerne, das sage ich ganz offen. Ich werde aber nicht irgendein Angebot annehmen und das muss ich auch nicht. Und könnte auch genau so gut hier in einem lokalen Verein spielen, wenn ich dazu Lust hätte. Das ist mir wichtiger, als meine Seele zu verkaufen.
Also könnte man Sie vielleicht auch irgendwann im Dortmunder Amateurfußball antreffen?
Ich habe mich noch nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt. Aber ich glaube, ich hätte Spaß daran. Ein, zwei Trainingseinheiten pro Woche, am Wochenende ein Spiel und die Gemeinschaft wieder erleben. Das wäre auch ein schöner Ausgleich zu meinem Bürojob und der Stiftungsarbeit.
Was vermissen Sie mehr: Die Kabinengespräche mit den Mitspielern oder das Gefühl, wenn 80.000 Ihren Namen schreien?
Die 80.000, klar (lacht). Das wird sich aber nicht mehr ergeben, denke ich, und das ist auch gut. Eigentlich vermisse ich alles am Fußball. Dieses Vereintsein in einer Sache mit den Fans inklusive. Das ist ein hohes kulturelles Gut, dass da geschaffen wurde mit den Sportvereinen. Das ist das, was mich lockt.
Jahrgang 1993, Dortmunder Junge und Amateurhandballer mit großer Liebe für den Fußball und den Ruhrpott. Studium der Journalistik an der TU Dortmund, nach kurzer Zwischenstation beim Westfälischen Anzeiger in Hamm wieder seit 2020 zurück bei den Ruhr Nachrichten. Schreibt über Thekenmannschaften bis hin zur Champions League.
