Jude Bellingham und Jamie Bynoe-Gittens stehen auf dem Rasen.

Jude Bellingham (links) und Jamie Bynoe-Gittens sind nur zwei Juwelen der hervorragenden englischen Nachwuchsarbeit, von der der BVB profitieren möchte. © IMAGO/Moritz Müller

England als Kinderland des Fußballs – und wie der BVB davon profitieren will

rnBorussia Dortmund

Englands Fußball produziert seit Jahren mehr Toptalente, als in den Profiklubs spielen können. Wie es dazu kam, und wie Borussia Dortmund davon profitieren will.

Dortmund

, 07.06.2022, 17:45 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Geschichte beginnt mit einer Niederlage. 27. Juni 2010, Bloemfontein: Deutschland schickt England im Achtelfinale der WM in Südafrika mit einem 4:1 auf den weiten Heimweg. Im Mutterland des Fußballs setzt Wehklagen ein. Veränderungen müssen her.

Ex-BVB-Spieler Ilkay Gündogan lobt hohe individuelle Qualität in England

Die Premier League galt auch damals schon als sportlich beste Liga der Welt. Doch auf dem Platz standen in erster Linie bei den Topklubs zu wenig einheimische Spieler. Beim FC Arsenal machten sie in der Saison 2008/09 nur noch fünf Prozent aus. Eine Projektgruppe um Mastermind Ged Roddy, damals Nachwuchschef der Premier League, stampfte mit Hirnschmalz und Expertise das Programm EPPP (Elite Player Performance Plan) aus dem Boden. Es hat den englischen Fußball seit 2012 exorbitant gewandelt.

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Hunderte Millionen Pfund haben Vereine und Verband aufgewendet für die Förderung des Nachwuchses. Summen, die sich längst amortisieren. Inzwischen bildet keine andere Nation so viele Eigengewächse für das höchste Niveau aus. „England ist gespickt mit Spielern mit hoher individueller Qualität, die in dieser Breite ihresgleichen sucht“, sagt Ilkay Gündogan. Der deutsche Nationalspieler, seit 2016 bei Manchester City zuhause, staunt: „Ich glaube, die Engländer könnten gefühlt drei Nationalmannschaften aufstellen.“ Roddy sagte vor zwei Jahren, das langfristige Investment in die Jugend zahle sich endlich aus.

BVB möchte vom sprudelnden Talente-Pool in England profitieren

Ähnlich wie mit der verbindlichen Einführung der Nachwuchsleistungszentren in Deutschland in Folge des EM-Desasters 2000 zogen die Engländer ihr produktives Programm konsequent durch. Die Zahl der Trainer sei verdreifacht und die Trainingszeit der Spieler verdoppelt worden, nennt Roddy Beispiele. Bessere Förderung und intensiveres Coaching, Qualitätsstandards und Evaluierung mit messbaren Parametern, ein neues Nachwuchs-Ligensystem, eine zentrale Akademie im Verband für die Elitespieler und viele weitere Aspekte: Das EPPP hat in kurzer Zeit erstaunlich viele Früchte getragen.

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Einer der Verfechter und heutigen Nutznießer ist Nationaltrainer Gareth Southgate. Die Einsatzzeiten auch jüngerer heimischer Spieler sind einstweilen massiv gestiegen, auch während der Covid-Pandemie. 16 Prozent der Spielzeit in der Premier League verbuchten 2020 U23-Akteure, die im Land ausgebildet wurden. Die Nachwuchs-Nationalmannschaften gehören in allen Altersgruppen zur Spitze, die „Three Lions“ standen im WM-Halbfinale und im EM-Finale. Vom sprudelnden Talente-Pool profitieren aber nicht nur die englischen Klubs und Auswahlmannschaften, sondern auch Vereine wie Borussia Dortmund.

BVB-Boss Watzke sieht in Entwicklung englischer Talente große Chance

„Die Engländer haben unglaublich viel Qualität im Jugendbereich. Aber die können gar nicht alle dort spielen“, erklärte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten. „In der Premier League will der Oligarch oder der Staatspräsident oder der Emir oder Scheich keinen 17-jährigen Jamie Bynoe-Gittens sehen, sondern die Kategorie Cristiano Ronaldo. Ein Spieler wie Jadon Sancho ist dann bei uns gelandet, wir haben ihn weiterentwickelt. Das ist unsere Chance, das haben wir ein paar Mal erlebt jetzt. Da müssen wir da sein, das ist unser Weg.“

Ex-Borusse Ilkay Gündogan schwärmte im Vorfeld des Länderspiels gegen die Three Lions von den Strukturen der Talentförderung in England.

Ex-Borusse Ilkay Gündogan schwärmte im Vorfeld des Länderspiels gegen die Three Lions von den Strukturen der Talentförderung in England. © picture alliance/dpa

Sancho, Bynoe-Gittens oder der jüngst verpflichtete Jayden Braaf (19) entstammen der Jugendakademie von Manchester City. Dort gibt es offenbar Talente ohne Ende. „Die Ausbildung ist richtig gut“, berichtet Gündogan, der im Rahmen seines Trainerlehrgangs bei der U16 des Klubs hospitierte. „Auch die Nachwuchsspieler, die manchmal mit uns Profis trainieren, sind richtig weit in ihrer Entwicklung.“ So wie Jude Bellingham, der 2020 vom Zweitligisten Birmingham City nach Dortmund wechselte. Mit 16 Jahren war er bereit für die Bundesliga, und er hatte seinen Klub mit Sorgfalt und Bedacht ausgewählt. Wichtige Faktoren dabei: Der nächste Verein sollte Entwicklungschancen und Einsatzminuten auf höchstem Niveau garantieren. „Der BVB ist der beste Klub für mich und meine Entwicklung. Ich würde sogar sagen: Für mich gibt es auf der ganzen Welt keinen besseren!“, sagte der Mittelfeldspieler.

Deutsche Talentförderung hinkt der englischen hinterher

England hat Deutschland in der Talentförderung längst abgehängt. Hierzulande klagen die Nachwuchstrainer und ihre Vorgesetzten über die komplizierte Vereinbarkeit von Schule und Beruf. Es gibt im U-Bereich zu wenig Wettkämpfe auf Topniveau. Auch inhaltlich, das hat der Deutsche Fußball-Bund längst eingesehen, müssen fußballspezifische Anpassungen in der Ausbildung erfolgen. In Frankfurt entsteht die DFB-Akademie als Zentrale, 150 Millionen Euro teuer. Eine Investition in die Zukunft der Nationalmannschaften. Erst lernten die Engländer von Deutschland, jetzt die Deutschen vom Kinderland des Fußballs.

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Borussia Dortmunds Nachwuchsleistungszentrum hat bereits herausragende Erfolge vorzuweisen. Vier der letzten fünf deutschen Meisterschaften gingen in der Altersklasse U19 an den BVB. Die A-Jugend kann ein Zwischenschritt sein für englische Talentimporte wie Sancho oder Bynoe-Gittens. Wenn jetzt ein deutscher Spieler wie Linksverteidiger Tom Rothe den Sprung zur eigenen Profimannschaft schaffen sollte, ist das eher die Ausnahme. Die Durchlässigkeit ist zwar gegeben und gewünscht, aber die Anforderungen sind maximal hoch. Eine herausragende Ausbildung kann den steilen Weg ebener machen, wie die Anstrengungen auf der Insel zeigen.