BVB-Mittelfeldspieler Julian Brandt nimmt den Ball an.

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Drittbester BVB-Scorer: Julian Brandt und der Kampf gegen die Zweifel

rnBorussia Dortmund

Effektiv wie nie und trotzdem umstritten: Julian Brandt ist der drittbeste BVB-Scorer dieser Saison – und muss dennoch um seinen Platz kämpfen. Trainer Marco Rose lobt und fordert.

Dortmund

, 17.04.2022, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Ein begeistertes Raunen ging durchs Stadion, als Julian Brandt den Ball per Absatzkick in hohem Bogen über seinen Kopf nach vorne beförderte und dort sein Solo fortsetzte. Oder als er die Kugel, die aus 20 Metern Höhe vor ihm herunterfiel, nicht nur kontrollierte, sondern kunstvoll sofort in die gewünschte Richtung lenkte. Der Direktpass vor dem zwischenzeitlichen 6:0 von Erling Haaland verdiente ebenso das Prädikat „sehenswert“. Als er sich bei seiner Auswechslung, diesmal als Belobigung zu verstehen, zur Außenlinie begab, bekam er warmen Applaus von den Rängen, manche BVB-Fans erhoben sich von ihren Plätzen.

BVB-Trainer Rose über Brandt: „Eine sehr ordentliche Saison“

Ein Julian Brandt mit solch einer Spielfreude, das ist Fußball fürs Herz. Zur Wertsteigerung trägt bei, dass nicht nur die Galerie, sondern auch das persönliche Punktekonto profitiert. Nach zwei Toren beim 2:0 in Stuttgart legte der Blondschopf zwei Vorlagen beim 6:1 gegen den VfL Wolfsburg nach und erfüllte die Anforderungen, die auch er selbst an sich stellt. „Was mir in den letzten ein, zwei Jahren vorgeworfen wurde, waren fehlende Scorerpunkte. Das ist das, woran ich festhalte – ich möchte weiter Zählbares holen.“ Das stimmt auch seinen Trainer grundsätzlich zufrieden – meistens.

„Ich finde, Jule spielt insgesamt eine sehr ordentliche Saison“, sagte Marco Rose auf die entsprechende Nachfrage, zu dieser „guten Runde“ trügen auch die Tore und Scorerpunkte bei. Mit sieben Treffern und neun Assists kann der Stand-by-Nationalspieler auf die effektivste Spielzeit verweisen, seit er im Sommer 2019 zum BVB gewechselt ist. Dennoch saß er zuletzt mehrfach trotz dünner Personaldecke auf der Reservebank, eine eindeutig beste Position hat er für sich nach wie vor nicht reklamieren können. „Er ist ein Spieler, der das Stadion mit einem Hackentrick aufwecken kann“, meinte Rose und ergänzte: „Aber er kennt seine Themen, ich kenne seine Themen. Wir arbeiten dran.“

Teilnahmslose Auftritte leiten Brandt aufs BVB-Abstellgleis

Brandts „Themen“ fielen gegen Wolfsburg weniger ins Gewicht, zu besichtigen waren sei dennoch, wenn der feine Techniker in manchen Zweikämpfen dem Zusammenprall lieber aus dem Weg geht und ihm die nötige Aggressivität abgeht in der Arbeit gegen den Ball, die sein Coach einfordert. Als er dies nicht gegeben sah, setzte ihn Rose halt auf die Bank. Fünf Mal hintereinander. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, auch wenn laut Trainer die Entscheidung manchmal knapp ausgefallen sei. Er hatte seine Gründe, sich gegen Brandt zu entscheiden. Abstruse Fehler und teilnahmslose Auftritte (Hertha BSC, Glasgow) leiteten ihn aufs Abstellgleis.

Drittbester BVB-Scorer: Julian Brandt und der Kampf gegen die Zweifel

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„Es gab eine Phase, in der ihm die Galligkeit gefehlt hat“, erklärte Rose am Samstag, da habe sein offensiver Mittelfeldspieler, der sich über Pässe, Vorlagen und Fußball für die Galerie definiert, „zu wenig in die Zweikämpfe investiert. Ein Monster im Infight wird Brandt nicht mehr werden, das liegt anderen Mannschaftskollegen mehr. Ein Mindestmaß an Intensität aber muss auch er liefern, so wie in den beiden jüngsten Partien. In Stuttgart war er in 85 Minuten laufstärkster Borusse, gegen Wolfsburg zog er in 65 Minuten 22 Sprints und 45 intensive Läufe an, Rose listete „mehrere Ballgewinne“ und „herausragende physische Werte“ auf.

Julian Brandt gilt beim BVB immer wieder als Verkaufskandidat

Der Wille war und ist immer da, die Konsequenz und Zielstrebigkeit sind es nicht. Mit dem Ball ging Brandt diesmal sehr verantwortungsbewusst um, dosierte das Risiko und gab die Kugel kaum einmal ab. Seine klare Unterlegenheit in den direkten Duellen etwa gegen Xaver Schlager oder Maximilian Arnold machen die zwei Torvorlagen allemal wett. „Das ist auch bei mir ein Prozess“, sagt der viel Gescholtene. Man kann bei Brandt halt nicht alles haben - sonst wäre er ja Weltklasse.

Ausgelassener Jubel bei Julian Brandt nach BVB-Kantersieg gegen Wolfsburg.

Ausgelassener Jubel bei Julian Brandt nach BVB-Kantersieg gegen Wolfsburg. © imago / RHR-Foto

Warum ihm das nicht häufiger gelingt, das besprechen Spieler und Spielerversteher immer wieder mal, aber nicht täglich. Grundsätzlich sei Brandt „sehr reflektiert“ (Rose), als kluger Bursche kann er seine Situation gut einschätzen. Dass auch intern Kritik aufgekommen ist an ihm, dass mehr sichtbare Gier und mehr Unterschiedsmomente eingefordert werden, ist ihm bekannt. Auch das Spielchen, dass er wieder einmal als Verkaufskandidat für den Sommer gehandelt worden ist, kennt der 25-Jährige allzu gut.

Brandt muss um seinen Platz bei Borussia Dortmund kämpfen

Antworten auf dem Platz können diese nervenden Nachfragen obsolet machen. Was ihn daran hindern könnte, das hohe Niveau dauerhaft zu konservieren, wird er selbst analysieren. Brandt muss kämpfen. Um seinen Platz, um seine Form. Und gegen den bohrenden, fast unfairen Zweifel, der einen Hochbegabten und so früh so hoch Gelobten immer begleitet: Kann er all sein Können und seine Klasse dauerhaft auf den Rasen bringen? Im Januar sagte er klug vorausschauend: „Es wird sicherlich auch in Zukunft das eine oder andere Spiel geben, in dem man nicht zufrieden mit mir ist. Die Erwartungshaltung ist hoch, aber ich bleibe bei mir und bin guten Mutes, dass es so weitergeht.“

Die nächste Überprüfung folgt am kommenden Samstag, wenn der FC Bayern München weitaus mehr Widerstand leisten dürfte als die Wolfsburger.