Bei Borussia Dortmund geht der Blick gewohntermaßen in Richtung des FC Bayern München. Klar, der Rekordmeister ist der natürliche Hauptkonkurrent. Damit geht das Übel los: Denn der größte Gegner des BVB ist, das hat das 3:3 beim VfB Stuttgart einmal mehr auf dramatische Weise vorgeführt, Borussia Dortmund selbst. Und diese Erkenntnis tut weh! Sie tut vielfach mehr weh als ein Unentschieden, das eine „gefühlte Niederlage“ (Salih Özcan) ist. Sie rüttelt an den Grundfesten und am kostbaren Vertrauen in die Mannschaft.
BVB-Trainer Terzic: „So unnötig, so dumm“
Den bohrenden Schmerz spiegelten in Stuttgart zwei Szenen sehr gut wider: Trainer Edin Terzic kämpfte auf der Pressekonferenz gegen Tränen von Wut und Enttäuschung. Es gebe ja Gründe, gestand er in fast beklemmender Ehrlichkeit, „wieso wir es nicht geschafft haben in den letzten zehn Jahren, mal ganz oben zu stehen“. Am Ende fehlte es immer an Konsequenz und Disziplin, an Siegeswillen und Titelhunger, an mannschaftlicher Geschlossenheit und den richtigen Führungsfiguren. Oft schonungslos vorgeführt durch Rückschläge bei vermeintlich kleinen Bundesliga-Konkurrenten. „So unnötig, so dumm“, ergänzte Terzic noch, man habe so viel Aufbauarbeit geleistet. Und dann tappst Bruder Leichtfuß im schwarzgelben Kostüm durch das frisch gegossene Fundament und hinterlässt tiefe Krater der Verstörung.
Sebastian Kehl, ein wortgewandter Manager und erfahrener Ex-Profi, rang um Worte. „Fast aggressiv“ habe ihn der Auftritt der Mannschaft in der zweiten Hälfte gemacht. Viele Fans dürften ähnlich gefühlt haben. Frust und Empörung darüber, dass sich der BVB mal wieder selbst ein Bein gestellt hat. Die Schwarzgelben hatten es in der Hand, im Saisonendspurt mit den Bayern nach Punkte gleichzuziehen. Es wäre ein Zeichen gewesen, eine Kampfansage, und es hätte das Momentum im Saisonendspurt auf die Dortmunder Seite gezogen. Die Spieler haben diese Gelegenheit schlampig, fahrlässig, unbelehrbar aus der Hand gegeben. Da ist es nur verständlich, wenn der Sportdirektor die Faust in der Tasche ballt.
BVB-Kapitän Reus verhält sich unangemessen
Welche Steilvorlagen will dieses Team denn noch bekommen? Die Titelchance existiert ja nur, weil die Bayern permanent schwächeln. Dann führt man 2:0 und 3:2 in einem trotz Überzahl nun wahrlich nicht überzeugenden Spiel in Stuttgart. Doch Reflexe, das eigene Tor mit Mann und Maus zu beschützen, gab es nicht. Wieder nicht. Auch keine Anstalten, die Gegenwehr des VfB zu brechen, indem man Kontrolle und Souveränität ausstrahlt oder – statt überheblich den Gegner vorführen zu wollen - einfach das nächste Tor erzielt. Viele Dortmunder spielten wie so oft sehr gerne nach vorne und verzichteten dafür großzügig auf das Verteidigen. Einfach irre!
Einen entscheidenden Fehler machte am Samstag der 19-jährige Debütant Soumaila Coulibaly, doch er genießt Welpenschutz. Wie unverfroren sich ein am gleichen Tor entscheidend beteiligter Marco Reus präsentierte, war für einen BVB-Kapitän unangemessen: Erst die Defensivarbeit verweigern, dann auf andere zeigen – so geht das nicht! Ambitionen werden mit Taten belegt, nicht mit Worten.
Jude Bellingham als Ego-Zocker
Ein permanent zwischen genial und grottig changierender Raphael Guerreiro, ein hoffnungslos desorientierter Salih Özcan, ein potenzieller Weltstar wie Jude Bellingham, der seit Wochen als Ego-Zocker auffällt – diese und viele weitere Mängel herauszuarbeiten, gehört zur schonungslosen Analyse der nächsten Tage. Nicht schlimm, wenn’s wieder weh tut! Der Ursprung der Probleme liegt nicht in den Füßen, sondern zwischen den Ohren.
Ja, auch Terzic muss sich Fragen für seine Wechsel gefallen lassen und danach, was seine Mannschaft daran gehindert hat, die taktische Marschroute zu verfolgen. Er sei sicher, dass er die richtigen Worte gefunden habe, meinte der Trainer. Umgesetzt haben seine Schützlinge, die er so vorbildlich beschützen will, im zweiten Durchgang fast nichts davon. Eine durchschnittliche Willensanstrengung hätte gereicht, keine Meisterleistung. Erst kam der Hochmut, dann der Fall. Dann sind auch die sportlich Verantwortlichen sprachlos. „Komplettes Unverständnis“, kommentierte Kehl den Auftritt seiner Mannschaft. „Ich ärgere mich maßlos über uns selbst.“
Der BVB-Kader benötigt ein neues Gesicht
Manchmal kann der BVB schwierige Dinge wunderbar leicht aussehen lassen. Und leider zu oft die einfachsten Dinge ungeheuer schwer. Eine ganze Reihe von unterschiedlichsten Trainern hat sich an dieser Mannschaft die Zähne ausgebissen. Borussia Dortmunds Kader benötigt ein neues Gesicht. Ein Anfang wurde im vergangenen Sommer gemacht. Kehl und Terzic haben mit dem Umbruch begonnen, sie müssen ihn knallhart und ohne Rücksicht auf Pfründe durchziehen. Tatendrang, Titelhunger und Temperament werden benötigt. Das garantiert keinen Erfolg. Aber es mindert die Gefahr, dass man sie aus Eigenverschulden verspielt.
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