Borussia Dortmunds U23 hat eine hervorragende erste Halbserie gespielt. Rot-Weiss Essen ist der große Aufstiegsfavorit - doch der BVB kann gefährlich werden. Eine kommentierende Analyse.
Niklas Dams ist im Sommer verpflichtet worden, um schlaue Sachen zu machen. Er soll sich schlau einbringen auf und neben dem Rasen, mit seinen 30 Jahren die sehr jungen Kollegen führen und die Abwehrzentrale dirigieren. Schlau, mit Köpfchen – und da er diese Aufgabe bislang ohne Probleme zu erfüllen versteht, verwundert es nicht, dass dieser nüchtern-sachlich auftretende Routinier zudem unspektakuläre, aber schlaue Sätze sagt.
„Wenn uns jemand vor der Saison mit auf den Weg gegeben hätte“, so formulierte er also, „dass wir mit 44 Punkten in die kurze Weihnachtspause gehen, dann hätten wir eingeschlagen.“ Sicher, diesen Satz – die Punktzahl kann dabei beliebig verändert werden – hat jeder schon mal gehört, doch Dams umriss damit ziemlich zielsicher, wie diese ersten 19 Regionalliga-Partien von Borussia Dortmunds U23 zu bewerten sind: Der erste Teil der Saison ist bravourös geschafft.
BVB-U23 ging zuletzt häufig der Kompass verloren
Gewiss konnte mit der wieder mal sehr guten Sommer-Vorbereitung die Hoffnung auf eine wieder mal sehr gute Saison verbunden werden. Allein: In der Vergangenheit verschwanden derlei Gedankenspiele allzu oft in der Tonne. Weil dies nicht passte und jenes nicht – es gab oftmals gute Gründe und zu häufig schlingernde U23-Belegschaften, denen der Kompass verloren gegangen war. Diesmal ist vieles anders – und Defensivchef Dams nur eine von vielen Ursachen.
Dass die U23 in den letzten vier Duellen in 2020 dreifach remis spielte, ist ärgerlich – sowohl gegen Homberg (0:0), RW Oberhausen (2:2) als auch Fortuna Düsseldorf II (1:1) war es möglich, dreifach zu punkten. Zuweilen indes, das merkte Coach Enrico Maaßen völlig zurecht an, müsse man mal zufrieden sein. Denn der Kraftspeicher war letztlich schlicht und ergreifend aufgebraucht. Dortmund schleppte sich ins Winter-Break. Und ist im Basislager angekommen.
BVB-U23 hat alle Möglichkeiten - doch RW Essen ist der Aufstiegsfavorit
So nämlich kann der BVB-II-Status aktuell sehr wohl bezeichnet werden. Die Borussia hat sich mit eifriger, geschlossener Arbeit für den Gipfelsturm qualifiziert.
Tabellenführer RW Essen, nach kurzer Schwächephase zu Beginn quasi dauerhaft im Rausch des Erfolges und nach Siegen gegen Bielefeld (Erstligist) und Düsseldorf (Zweitligist) DFB-Pokal-Achtelfinalist, ist sechs Punkt entfernt. RWE agiert stabil, konnte sich bislang auf einen qualitativ hochwertigen Kader mit Torjäger Simon Engelmann (18 Treffer) in der Spitze verlassen – und ist Favorit auf den Drittliga-Aufstieg. Klar und deutlich führt dieses Team die Tabelle aber nicht an.
BVB-U23 kann RWE nervig und gefährlich werden
Aus den sechs Zählern Abstand können ganz fix drei werden – der BVB hat noch ein Nachholspiel übrig. Eine komfortable Führung sieht anders aus. Borussia Dortmunds U23 besitzt eine sehr gute Ausgangslage für die zweite Halbserie. Fortan befindet sie sich in der Rolle des Verfolgers – und scheint die Klasse zu besitzen, einer zur Abwechslung mal gut austarierten und physisch wie psychisch starken Essener Mannschaft nervig und gefährlich zu werden.
Dies legen zumindest die bisherigen Arbeitsnachweise nahe. Die 44 Punkte sind kein Produkt des Zufalls, ganz und gar nicht. Fußballlehrer Maaßen, in Diensten des SV Rödinghausen in der vergangenen Saison 2019/2020 souveräner Regionalliga-Meister, hat mit seinen Mitarbeitern und dem im Sommer brachial veränderten Kader fußballerische Grundwerte geschaffen. Grundwerte, die bleiben müssen. Sonst wird der BVB recht schnell abgehängt werden im Aufstiegsrennen.
BVB-U23 braucht Zusammenhalt, kein Individualdenken
Das Offensivspiel klappt schließlich nur mit reichlich Intensität. Es fußt auf hohem Tempo, es soll möglichst geradlinig verlaufen, mal flach, mal hoch – Hauptsache durchdacht und robust. Für die Defensive gilt es ebenso. Der Rückwärtsgang muss stets zum schwarzgelben Gemeinschaftsprojekt erhoben werden – ausnahmslos alle müssen daran mitarbeiten, durchdacht und robust. Bisher ruht der BVB-Fußball deshalb, gestärkt durch eine zähe Dreier-Achse (Dams, Franz Pfanne, Steffen Tigges), auf einem stabilen Fundament.
Diese Mannschaft, die in den bisherigen Liga-Spiele meist vorbildlich im Kollektiv nach vorne und nach hinten geeilt ist, muss sich weiterhin als solche verstehen. Jedes Kadermitglied, das bekräftigt Maaßen regelmäßig, sollte seine Fähigkeiten in die Gruppe einbringen – dann ist der große Erfolg immerhin nicht ausgeschlossen. Dortmunds Trainer, der mit dem gesamten Team bisher zweifellos hervorragende Arbeit leistet und für die Borussia ein großer Gewinn ist, wird darauf achten.
BVB-U23 zeigt bisher vorbildliches Engagement
Letztlich ist er davon abhängig, dass der BVB II eine starke und stabile Gemeinschaft bleibt. Und sich mehr mit dem Gemeinwohl beschäftigt als mit der eigenen Karriere. Dieses Individualdenken, das wird berichtet, ist der aktuellen U23-Truppe fremd. Die Spieler wüssten, dass sie vor allem glänzen könnten, wenn die gesamte Mannschaft strahle, heißt es. Das darf das Zutrauen in dieses Kollegium durchaus stärken. Die Arbeitshaltung ist bislang vorbildlich und tadellos.
In keiner Partie wurden Punktverluste zur Charakterfrage, eher leisteten sich die Dortmunder zu viele Fehlschüsse vor dem Tor oder einzelne Defensivfehler führten zu Gegentreffern. Normale, sportlich zu begründende Versäumnisse also – am Willen mangelte es nie. Nicht bei den BVB-Akteuren, die das Vertrauen des Trainerteams erhielten und auf dem Feld um Punkte kämpften. Und ebenfalls nicht bei den Spielern, für die Coach Maaßen nur wenig Einsatzzeit übrig hatte.
BVB-U23: Neben Leistungsträgern laufen ein paar Mitläufer
Denn während BVBler wie Dams (Ruhepol in der Abwehr), Lennard Maloney (lautstarker sowie resoluter Zweikämpfer in der Verteidigung), Marco Hober (umsichtiger Ballverteiler im Zentrum), Pfanne (Mittelfeldabräumer), Taylan Duman (rechter Schienenspieler mit Drang nach vorne), Alaa Bakir (wuselig im mittigen Offensivbereich) oder Tigges (Kapitän, Mittelstürmer und mit zwölf Treffern bester Schütze) wichtige Stützen sind, gibt es freilich Mitläufer und Außenseiter.
Spieler, von denen in der zweiten Halbserie noch mehr kommen kann respektive mehr kommen muss, damit Trainer Maaßen in der Lage ist, bedenkenloser zu tauschen und Personal, dem zuletzt eine Vielspielerrolle zugeteilt wurde, vermehrt Pausen zu gönnen. Sonst droht ein Kräfteverschleiß, der in (zu vielen) Punktverlusten münden könnte. Insofern ist eine leistungsfähige zweite Reihe elementar – gleich mehrere Borussen sind gefordert, mehr Druck zu machen.
BVB-U23-Kader bietet noch mehr Möglichkeiten
Von Florian Krebs kam zuletzt zu wenig; Haymenn Bah-Traore ist nach langer Zwangspause noch nicht bei alter Stärke; Philipp Harlaß wurde nach gutem Start und Verletzung verdrängt; Migel-Max Schmeling, im Sommer vom MSV Duisburg gekommen, ist nach gesundheitsbedingten Problemen bisher überhaupt kein Faktor; Kolbeinn Finnsson hat nach guter Vorbereitung abgebaut; und Henri Weigelt, hoch geschätzter Innenverteidiger, war immer wieder verletzt.
Das genannte Sextett könnte zweifelsohne erweitert werden – von Angreifer Moritz Broschinski und Mittelfeldmann Patrick Osterhage ist gleichfalls mehr zu erwartet. Natürlich: Hier ist die Lage ein bisschen anders, beide verrichteten erst wenige Kurzdienste nach langwieriger Blessur. Doch dass sie den BVB-Kader weiter verstärken, das ist die große Hoffnung – und wird wohl nötig sein auf dem langen Weg zum Gipfel.
BVB-U23 darf Momentaufnahme stolz machen
Jetzt oder nie beziehungsweise erst mal nicht – das dürfte sich mancher Beobachter sagen. Denn: Wer weiß, ob die Borussia, die im kommenden Sommer sicherlich großflächig verändert wird, in der nächsten Saison ähnlich konkurrenzfähig daherkommt. Ein legitimer Gedanke, nichtsdestotrotz sollte sich das BVB-Personal damit so wenig wie möglich befassen. Es ist gut beraten, all seine Arbeitskraft zu investieren, um effektiver sowie fehlerfreier zu werden. Und einen guten Start ins Jahr 2021 zu schaffen.
Der kann Zuversicht und Optimismus spenden und einen positiven Lauf befeuern, das hat schon der hervorragende Saisonstart gezeigt. Trainer Maaßen wird am 7. Januar zum Trainingsauftakt bitten. Dann folgt Schritt für Schritt wie beim Bergsteigen. Wer ganz oben in der Regionalliga ankommt – RW Essen oder doch Borussia Dortmund – ist noch offen. Dams und Co. darf diese Momentaufnahme mit Stolz erfüllen. Der Aufstieg, das große Ziel, steht allerdings noch bevor.
Schreibt seit 2015. Arbeitet seit 2018 für die Ruhr Nachrichten und ist da vor allem in der Sportredaktion und rund um den BVB unterwegs.
