Fußball ist ein komplexer Sport, und manchmal vielleicht doch ganz einfach. Eine andere Ansprache, markige Worte, neue Begeisterung: Interimstrainer Mike Tullberg (39) will den nahe der Agonie angekommenen BVB-Profis mit frischer Energie wieder auf die Beine helfen. Vor dem Spiel gegen Werder Bremen (Samstag, 15.30 Uhr) fordert der Däne Leidenschaft. „Mit Sabber im Mund und Messer zwischen den Zähnen – das will ich sehen.“
BVB soll unter Tullberg befreit aufspielen
Mitreißende Spiele hat der BVB selten gezeigt in der jüngeren Vergangenheit. Nun soll es der U19-Trainer richten, vorübergehend. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt hat Tullberg durchaus den Eindruck erweckt, als könne er mit seiner Art von „Danish Dynamite“ einen Elektroschock auslösen und die darbenden Dortmunder wachrütteln. „Ich will den Jungs Mut zusprechen, dass wir befreit Fußball spielen, aus dem Bauch heraus“, sagt er. Den Krampf im Kopf zu lösen ist eine der wenigen Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Inhaltlich oder taktisch die Konzepte auf links zu drehen, ist in der Kürze der Zeit gar nicht möglich.
Erstmal bis Samstag erhält Tullberg dafür das Mandat. Und dann? „Damit beschäftige ich mich nicht“, erklärt er mit fester Stimme. Dabei stehen die Chancen gar nicht schlecht für eine Beschäftigung darüber hinaus. Ein Befreiungsschlag gegen Bremen ist vorstellbar, das würde den Verantwortlichen um Sportgeschäftsführer Lars Ricken etwas Zeit verschaffen. Denn dass die vielstimmige Führungsriege in kürzester Zeit einen dauerhaften Nachfolger für den freigestellten Nuri Sahin präsentiert, kann man nur als fraglich beschreiben.
Mit drei bis vier Kandidaten stünde man im Kontakt, erfuhren die Ruhr Nachrichten. Doch bevor Entscheidungen überhaupt fallen könnten, muss sich der Klub im Klaren sein, was für einen Trainer er sucht. Der Prozess läuft. Bis zum Dienstagabend bestand Plan B vor allem aus der Hoffnung, dass Plan A mit Sahin doch noch greift. Doch das dramatisch schlechte Bild in Bologna ließ den Verantwortlichen letztlich keine Wahl.
BVB-Orientierungslosigkeit bei den Entscheidern
Jetzt also die Operation am offenen Herzen. Soll ein Notfallmediziner her, der diese Saison bestmöglich zu Ende bringt und dann Platz macht? Oder bekommt die Zwischenlösung die Option zur Bewährung? Oder soll gleich ein konzeptionell passender Kandidat gesucht werden? Fragen, die längst beantwortet sein müssten. Doch die Orientierungslosigkeit beim BVB ist ja nicht nur auf dem Rasen offensichtlich, sondern auch bei den Entscheidern.

Hinter Kandidaten wie Erik ten Hag oder Roger Schmidt steht ein rotes X. Namen wie Niko Kovac oder Urs Fischer bleiben im Gespräch. Von der (überholten) Direktive, dass der Trainer Deutsch sprechen sollte, muss man sich wohl verabschieden, sonst wird der im Winter überschaubare Kandidatenkreis winzig.
BVB fehlt Leitidee
Viel hat der Klub versucht mit den acht Cheftrainern seit der Ära Jürgen Klopp. Viel Stringentes war nicht dabei. Vom Pressing-Ultra (Peter Bosz) bis zum Ballbesitz-Fetischisten (Lucien Favre) reichte die sportliche Linie, vom Gute-Laune-Coach (Peter Stöger) bis zum Versuch, einen Lehrling aus dem eigenen Haus zum Meister zu machen (Edin Terzic, Nuri Sahin). Die Halbwertszeit wird tendenziell immer kürzer, weil dem BVB eine Leitidee fehlt, für welchen Fußball man denn stehen will.
So kam und kommt viel Flickschusterei heraus, bei den Übungsleitern wie bei den Transfers, wo die Borussia nach der dritten miesen Hinrunde in Serie im Winter erneut versuchen muss nachzujustieren. Doch die ungenügende Vorbereitung auf das Wechselfenster plus die ungeklärte Trainerfrage verkomplizieren die Sache. Sportchef Ricken muss in dem ganzen Schlamassel den Überblick bewahren und sehr schnell richtige Ableitungen treffen. Es bleibt komplex – in die Lage hat sich die Klubspitze selbst manövriert.
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