In vier von sechs Partien unter Niko Kovac ist Borussia Dortmund ohne Gegentor geblieben. Mit dem 2:0 beim FC St. Pauli gab es zudem erstmals in dieser Saison zwei Bundesliga-Siege am Stück für den BVB. Bei Schwarzgelb ist ein zarter Aufwärtstrend erkennbar. Wie belastbar dieser ist und ob dem 53-Jährige der ersehnte Turnaround noch gelingt, werden bereits die nächsten Duelle zeigen. Dortmund will am Dienstag (21 Uhr, live auf Prime Video) gegen Lille den Grundstein für den Viertelfinal-Einzug in der Champions League legen. Der BVB steht vor den Wochen der Wahrheit – und Kovac vor kniffligen Entscheidungen. Diese Positionen erfordern seine besondere Aufmerksamkeit:
01.) Die BVB-Viererkette:
Kontinuität statt Experimente – auf diesen Nenner kann man das bisherige Kovac-Wirken in Dortmund bringen. Dem Credo Sicherheit und Stabilität als oberstem Gebot folgend, nimmt der 53-Jährige nur sehr dosiert Veränderungen vor – das gilt ganz besonders für den Abwehrverbund. Im Bereich der inneren Sicherheit haben Nico Schlotterbeck und Emre Can ein starkes Mandat. Abwehrchef und Kapitän erweisen sich seit Wochen als eingespieltes Tandem, das die letzte Linie mit Ordnung und Übersicht dirigiert. Waldemar Anton und Niklas Süle befinden sich eindeutig im Hintertreffen. Zwei ebenso teure wie hochkarätige Bankdrücker.
Auf den Außenverteidiger-Position stellt sich die Situation etwas differenzierter dar. Neuzugang Daniel Svensson durfte nach seinem Wechsel dreimal von Beginn an ran. Kovac bescheinigte dem Schweden einen „sensationell guten“ Start – und setzte ihn seither auf die Bank, um Ramy Bensebaini den Vorzug zu geben. Beide buhlen um den Platz als Linksverteidiger – gut für Kovac, er hat zwei annähernd gleichwertige Optionen. Heißt umgekehrt aber auch: einen von beiden muss er regelmäßig enttäuschen.
Als Rechtsverteidiger genießt Julian Ryerson das Vertrauen des Trainers. Der Norweger ist gesetzt. Fehlt er und will Kovac den Posten nicht positionsfremd (etwa mit Süle oder Anton) besetzen, ist Yan Couto die erste Alternative. Der Brasilianer konnte nach schwachen Monaten am Millerntor für sich werben. „Niko hat seinen Stamm, sein Gerüst an Spielern. Allerdings hat man gesehen, dass wir auch die Spieler benötigen, die hinten dran sind. Wie Yan Couto heute. Wir brauchen nicht nur elf Spieler. Die, die dann reinkommen, müssen sofort funktionieren“, betont Geschäftsführer Lars Ricken.
02.) Das BVB-Mittelfeldzentrum:
Hier ist der Grübel-Faktor für Kovac womöglich am größten. Weniger im defensiven Zentrum, wo Marcel Sabitzer und Pascal Groß als Doppelsechs mit unterschiedlichen Aufgabenprofilen mit jüngst aufsteigender Formkurve Kovacs öffentlich verteilte Lorbeeren allmählich rechtfertigen. Weiter vorne wird es wesentlich kniffliger.
Bei der 6:0-Gala gegen Union Berlin fehlte Julian Brandt aufgrund einer Muskelverhärtung, in Hamburg stand ein Kurzeinsatz in der Statistik. Wie schon Nuri Sahin stellte Kovac seinen Mittelfeld-Regisseur trotz schwacher Leistungen demonstrativ in eine Reihe mit Florian Wirtz und Jamal Musiala. Eine durchaus exklusive Meinung, weshalb einige BVB-Fans der Auffassung sind, die Zeit sei reif für den ersten Startelf-Einsatz von Carney Chukwuemeka. Die Chelsea-Leihgabe regte gegen Union mit starken Dribblings und seiner Kreativität die Fantasie an. Der Engländer benötige jedoch noch etwas Zeit, meinte Kovac. Brandt oder Chukwuemeka – diese Entscheidung wird der BVB-Trainer dennoch in den Wochen der Wahrheit treffen müssen.
Giovanni Reyna wiederum dürfte in den Überlegungen allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Der US-Amerikaner hat seine beiden Bewährungschancen gegen Berlin und in Hamburg vertan, war kein Faktor im Offensivspiel. Im Sommer werden sich die Wege trennen.
03.) Die offensiven BVB-Außenbahnen:
Rechts hat Karim Adeyemi die Nase vorn. Kovac bevorzugt eindeutig erfahrene Spieler. Youngster Julien Duranville stagniert in seine Entwicklung und wirkt bei seinen sporadischen Auftritten noch immer zu hemdsärmelig, um den Konkurrenzkampf zu befeuern.
Links sieht die Sache anders aus: Hier schien Jamie Gittens nach starker erster Saisonhälfte lange unantastbar. Doch der Engländer durchlebt derzeit eine veritable Formdelle, wirkt überspielt. Daher gönnte ihm Kovac eine Schaffenspause, setzte stattdessen auf Maximilian Beier. Doch der Sommer-Neuzugang fremdelt als Rechtsfuß auf der linken Seite, wirkt häufig unglücklich in seinen Aktionen.
„Man merkt es Jamie jetzt auch ein bisschen an, dass er frustriert ist. Aber am Ende geht es um die Mannschaft, das weiß Jamie auch. Er ist viel zu professionell, um nicht zu sehen, dass die anderen Jungs es gut gemacht haben“, bekannte BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl. So unbefriedigend die Situation für Gittens aktuell ist, er wird sich durchbeißen müssen.
„Jamie ist für unseren Klub ungewöhnlich wichtig. Er hat sich in den letzten Jahren extrem nach vorne gearbeitet, hat sich zum Unterschiedsspieler gemacht. Ich glaube, dass er bereits am Dienstag wieder sehr wichtig wird“, sagte Kehl mit Blick auf die Partie gegen Lille (21 Uhr, live auf Prime Video). Dass Kovac bei aller Kontinuität auch knifflige Entscheidungen treffen muss, begrüßt der Sportdirektor ausdrücklich: „Es tut uns gut, dass wir so eine Konkurrenzsituation haben, dass wir solche Optionen momentan noch auf der Bank haben, dass wir immer wieder nachschießen können. Dafür haben wir den Kader so zusammengestellt.“