Selbst bis nach England hatte sich die befremdliche Diskussion herumgesprochen. BVB-Spieler sollen während der Länderspielphase im September über den gefährdeten Job von Trainer Edin Terzic diskutiert haben, berichtete das Portal „The Athletic“. Da standen die Dortmunder nach zwei Unentschieden gegen Kellerkind Bochum (1:1) und Aufsteiger Heidenheim (2:2) tatsächlich ziemlich gelackmeiert da. Neben den für viele Fans unbefriedigenden Transfers im Sommer geriet Terzic in die Kritik. Der war bis dato immer ein Liebling der Fans, hatte seit dem 1. April kein Bundesliga-Spiel mehr verloren und Ende Mai fast das Sehnsuchtsziel aller Borussen erreicht. In manchen Kreisen versprach auch das keinen Kredit.
Fußballerisch hakt es beim BVB
Fußballerisch konnte Terzics Mannschaft nicht dort anknüpfen, wo man im bravourösen Frühjahr 2023 aufgehört hatte, atmosphärisch trübte die verpasste Meisterschaft die Stimmung. Dortmund spielte nach einer komplizierten Vorbereitung zum Saisonstart langsam und uninspiriert, war konteranfällig und offensichtlich nicht auf Augenhöhe mit den Topteams. Fünf Punkte aus den ersten drei Spielen waren nicht die erwartete Ausbeute und erfüllten nicht den eigenen Anspruch. Die Spiele machten keinen Spaß.
Terzic tat, was er immer tut: Er stürzte sich in die Arbeit. Mit der Rückendeckung von Klubchef Hans-Joachim Watzke, der dem 40-jährigen Cheftrainer eine Jobgarantie „auf Jahre“ ausstellte, konnte er trotz seiner erst 82 Partien als Verantwortlicher auf einen Erfahrungswert vertrauen: „Wir haben mehrfach gezeigt, dass wir in der Lage sind, aus holprigen Phasen gestärkt herauszukommen.“

Selbstkritik, Fleiß und ein verstärkter Konkurrenzkampf im Kader führten zu ersten Verbesserungen. Terzic demonstrierte auch Konsequenz, als er die eigentlich gesetzten Emre Can, Karim Adeyemi oder Sebastien Haller wegen ausgeprägter Formschwäche auf die Bank setzte. Vor allem bei Can, vom Trainer als Kapitän und Vertrauensperson auserkoren, hätte sich das bei ausbleibenden Ergebnissen zum Politikum auswachsen können. Doch es kam anders, weil Terzic Leistung belohnte, so unter anderem Ex-Spielführer Marco Reus reintegrierte und sich darauf konzentrierte, seine taktischen Vorgaben wieder (oder: weiter) sehr stark an den einzelnen Qualitäten seiner Spieler auszurichten. Die Borussen starteten einen Lauf, zum dritten Mal unter dessen Leitung nach Ostern 2021 (acht Siege in Serie) und Januar 2023 (zehn Dreier am Stück).
Vier Siege hintereinander beförderten den BVB in die Spitzengruppe der Bundesliga und sorgen derzeit für ein ruhiges Arbeitsklima während der Abstellungsperiode der Nationalspieler. Auch wenn die eingespielten Erfolge nicht allesamt golden glänzten, rückt der Blick auf die Fakten manches Lamento gerade. Im Kalenderjahr 2023 hat Terzic in wettbewerbsübergreifend 33 Spielen im Schnitt 2,21 Punkte geholt und dabei 2,52 Tore erzielt. Nur auf die Bundesliga bezogen, kommen in 26 Partien durchschnittlich 2,42 Zähler und 2,85 Tore zusammen. Damit gehört Borussia Dortmund zu den besten Mannschaften in Europa, und das über eine lange Strecke von Spielen. Es gab dabei tatsächlich nur vier Niederlagen, alle auswärts, alle bei internationalen Topteams (Chelsea, Bayern, Leipzig, PSG).
Lob für BVB-Trainer Terzic
Im Verein hat man, begleitet von großem Wohlwollen, die Siege in Freiburg oder gegen Union Berlin auch den taktischen Griffen von Terzic gutgeschrieben. In beiden Fällen lag der BVB mit 1:2 hinten und gewann noch 4:2, weil der Trainer auf Missstände im Spiel reagierte, die Formationen änderte und mit seinen Kniffen das Comeback ermöglichte. Der Tenor: Terzic beherrsche doch offensichtlich auch das Coaching während der Spiele, woran zuvor auch öffentlich Zweifel angemeldet wurden. Außerdem verbessert: die Standardsituationen in Offensive und Defensive, zuvor ein schwarzgelbes Dauerthema.
Fußballästheten mögen sich gerade eher an Bayer Leverkusen ergötzen oder am FC Arsenal, der BVB kommt unter Terzic derzeit eher über die Parameter fußballerische Leidenschaft und individuelle Klasse. Für Arbeitssiege gibt es trotzdem fast immer Applaus. Nach vielen Jahren mit teilweise herausragenden Spielen und dann wieder unerklärlichen Aussetzern und Punktverlusten stimmt die Moral beim Gros des Kaders nachweislich. Darauf wurde bei den Neuzugängen vermehrt geachtet. In Hoffenheim (3:1) oder gegen Berlin (4:2) entsprangen die Siege auch einer ausgeprägten Willensleistung und guter Mentalität auf dem Platz.
Schwierige Stimmung beim BVB
Für diese Zustandsbeschreibungen hätte man in Vorjahren viel spielerische Schönheit hergegeben. Ein bisschen ist es beim BVB und seinem mittlerweile hoch anspruchsvollen Publikum wie mit dem Mann, der von seiner Frau zwei Krawatten geschenkt bekommt, eine rote und eine blaue. Egal, welchen Schlips sich der Mann umbindet - er wird gefragt, warum er sich nicht für den anderen entschieden hat. So richtig recht machen kann man es keinem.
Wer bei Dortmund und Terzic jammert, muss sich bewusst machen, dass er dies auf einem sehr hohen Niveau tut. Kein Verantwortlicher negiert die aufgetretenen Schwächen, keiner behauptet, mit der Mannschaft am Leistungslimit angekommen zu sein. Weitere Fortschritte sind nötig und sogar unumgänglich, wenn die Borussia sich vom nächsten Freitag an im Drei-Tages-Rhythmus nicht mehr nur mit (gehobenem) Bundesliga-Durchschnitt messen muss, sondern auch mit den deutschen Spitzenmannschaften. In der Champions League haben sich Terzic und sein Team nach zwei torlosen Spielen in Bedrängnis gebracht. Erst die Resultate der nächsten Wochen werden eine belastbare Bewertung ermöglichen. An der Entschlossenheit und der Identifikation des Trainers bestehen keine Zweifel. Die anderen Unebenheiten kann Terzic mit seiner Mannschaft glattbügeln, mit Ergebnissen und gutem Fußball.
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