Warum sind Sie nicht Feldspieler geworden?
Ich habe früher sehr gerne im Feld gespielt, auch in der Freizeit mit meinen Freunden. Mir hat das immer Spaß gemacht, auch dann noch, als ich im Verein dauerhaft im Tor stand. Ich wusste, wie wichtig es für einen Torwart ist, gut mitspielen zu können.
Mir fallen nur zwei deutsche Torhüter ein, die mit dem Fuß vergleichbar gut oder etwas besser sind. Die sind gerade in Katar bei der WM.
Manuel Neuer und Marc-Andre ter Stegen sind herausragend gut mit dem Fuß und als Torhüter. Ich schaue mir bei beiden viel ab, auch bei anderen Torhütern wie meinem Kollegen Gregor Kobel beim BVB. Ich bin zwar schon 31 Jahre alt, aber ich will immer noch dazulernen. Das Torwartspiel entwickelt sich stetig weiter. Da will ich dranbleiben.
70 Prozent der Torhüter-Aktionen erfolgen mit dem Fuß. Wie wichtig sind die Hände?
Am Ende geht es immer noch darum, dass der Torwart die Bälle halten muss. Aber wir werden als „letzter Mann“ immer mehr in das Aufbauspiel eingebunden, stehen offensiver. Da verändert sich viel.
Hatten Sie bei den Pässen immer schon so viel Ruhe und Mut?
Das hat sich entwickelt mit der Zeit, das ist ein Prozess. Ich habe mich immer gezwungen, mutig zu bleiben, auch im Training scharfe Pässe zu spielen. Gleichzeitig muss ich das Risiko abwägen, denn ich will ja auch Sicherheit ausstrahlen. Die Mitspieler sollen wissen, dass sie mich immer anspielen können, dass ich Lösungen finde. Aber im Zweifel fliegt der Ball besser weit nach vorne oder ins Aus.
Mit 18 stand Alexander Meyer beim Hamburger SV als dritter Torhüter vor dem Sprung in den Profikader. Dann kugelte er sich erst die rechte, dann die linke Schulter aus und verpasste knapp zwei Jahre Training. Als er wieder fit war, erlitt er einen Knorpelschaden. „Das war schon heftig und hat mich enorm zurückgeworfen in einem entscheidenden Alter. Aber das prägt, ich bin dadurch auch in meiner Persönlichkeit gereift und weiß heute sehr zu schätzen, was ich an meinem Job habe.“
Ob er unter anderen Umständen früher als mit 28 Jahren Fußballprofi geworden wäre? Ob er mit seinem Schicksal gehadert hat? „Ich habe versucht, positiv zu bleiben.“ Der Abiturient (Note 2,6) nahm parallel zum Sport ein Fernstudium in Fitness- und Gesundheitsmanagement auf, machte eine B-Lizenz als Trainer. Als zweites Standbein und „um mir etwas dazu zu verdienen“. Nach Stationen beim TSV Havelse und Energie Cottbus wechselte er mit Mitte 20 zum VfB Stuttgart. Einen Einsatz bei den Profis hatte er nicht. Stattdessen der nächste Rückschlag: Er riss sich das Kreuzband, fiel erneut lange aus.
Haben Sie nie daran gedacht, aufzuhören?
Mein Ziel war es immer, Profi zu werden, solange ich keine Schmerzen habe. Dieses Ziel habe ich nie aus den Augen verloren. Aber in dieser Zeit mit den Verletzungen habe ich auch das wahre Leben kennengelernt. Als Profi lebt man oft in einer Wohlfühloase, es wird einem sehr viel an Aufgaben und Alltäglichem abgenommen vom Klub. Und es hat sich gefügt: Nach allen Operationen habe ich die Rehamaßnahmen voll durchgezogen und bin jetzt seit Jahren verletzungsfrei.
In Stuttgart waren Sie nah dran an der Bundesliga – war der Wechsel in die zweite Liga zum kleineren Klub Jahn Regensburg ein Rückschritt oder ein Schritt nach vorne?
Das war ein entscheidender Schritt nach vorne. Mit 28 Jahren musste ich tatsächlich überlegen, wie es mit mir weitergeht. Ich fühlte mich bereit, es noch einmal zu versuchen. In Regensburg habe ich dann drei Jahre lang konstant und auf hohem Niveau gespielt und mich als Profi etabliert.
Drei Jahre später stehen jetzt die ersten acht Spiele in der Bundesliga und in der Champions League auf dem Zettel.
Davon hätte ich noch vor einem halben Jahr nicht einmal zu träumen gewagt. Ich habe viele Highlight-Spiele erlebt wie das Derby, den Klassiker gegen die Bayern, die Champions League.
Gleich bei Ihrem Debüt standen Sie gegen den FC Kopenhagen auf dem Platz, als die Champions-League-Hymne ertönte …
Ich habe am Tag vorher von dem Einsatz erfahren, weil Gregor Kobel sich leider verletzt hatte. Meine Familie ist noch schnell angereist. Als die Hymne erklang, hatte ich schon eine Freudenträne im Auge. Mir gingen viele Bilder durch den Kopf, ich habe alle Eindrücke aufgesaugt.
Wie denken Sie mit etwas Abstand darüber?
Dieser Abend gehört definitiv zu den besten Momenten in meinem Leben. Ich bin sehr dankbar dafür und kann das vielleicht auch aufgrund meiner wenig geradlinigen Laufbahn und der vielen Rückschläge, die ich einstecken musste, viel mehr wertschätzen. Es zeigt mir, dass sich die harte Arbeit für mich ausgezahlt hat. Ich habe es genossen.

Das klingt alles sehr reflektiert. Sind Sie eigentlich verrückt genug für einen Torhüter?
Ja, positiv verrückt. Das werden meine Freunde bestimmt bestätigen. Auf dem Platz denken auch manche, ich hätte sie nicht mehr alle, weil ich mich immer voll reinwerfe. Ich lasse mich auch gerne „abschießen“ oder gehe dorthin, wo es wehtut. Da kenne ich keine Zurückhaltung. Und für Späße bin ich auch jederzeit zu haben!
Ihr Ritual ist definitiv außergewöhnlich. Erzählen Sie!
Vor dem Spiel mache ich ein Kreuz auf beide Pfosten und auf die Latte. Ich denke mir, dass die meine Verbündeten sein sollen und mir eher helfen als dem Gegner. Für mich ist das wichtig geworden. Viele andere Ticks habe ich aber nicht. (lacht)
Ich habe mich in Ihrem Umfeld umgehört. Was glauben Sie, was sind die häufigsten Eigenschaften, die über Sie gesagt wurden?
Ich glaube, dass man sich schon auf mich verlassen kann. Ich gebe immer Vollgas, ich will jedes Spiel gewinnen, auch im Training. Und mit mir kann man schon auch Spaß haben und lachen.
Notiert habe ich mir nach den Gesprächen: Alexander Meyer ist ein positiver Typ, locker drauf, ehrgeizig.
Dann habe ich mich ja ganz gut eingeschätzt. (lacht)

Immer Gas geben, immer gewinnen wollen, andere anspornen: Ist das eine Eigenschaft, die Sie auch als zweiter Torhüter gut in die Mannschaft einbringen können?
Ja, absolut! Um dieses Thema ging es gleich in den ersten Gesprächen mit dem BVB. Wir müssen auch unter der Woche präsent sein. Im Training voranzugehen ist ein Teil meiner Rolle. Ich will das, ich bin lautstark, ich pushe die Mitspieler. In dieser Beziehung dürfen wir keinen Schritt zurückmachen. Ich meine: Wie man trainiert, so spielt man meistens auch. Und wenn wir nicht auf 100 Prozent unserer Leistung kommen, bekommen wir unsere Probleme. Das hat man in dieser Saison leider auch gesehen.
Zu wenig Feuer und Intensität im Training, das hört man leider häufiger über Borussia Dortmund.
Das ist aber nichts Spezielles beim BVB. Das habe ich auf allen meinen Stationen als Thema erlebt. Der Unterschied ist, dass Borussia Dortmund den Anspruch hat, jedes Spiel zu gewinnen. Deswegen sage ich: Egal, was war, es geht am nächsten Tag immer wieder bei Null los. Das müssen wir uns noch mehr einimpfen, dass wir jeden Tag aufs Neue an uns arbeiten müssen, uns das nächste Ziel stecken.
Muss da mehr von der Mannschaft kommen? Es kann nicht sein, dass nur der Trainer laut ist.
Wir haben über diese Themen gesprochen. Von außen sagt sich manches leichter, als es dann umzusetzen ist. Im Herbst hatten wir sechs Englische Wochen, da gab es nur noch Abschlusstraining, Spiel und Regeneration. Die Belastung war intensiv. Da bleibt Entwicklung auf der Strecke, und wir befinden uns als Mannschaft aktuell in einem Umbruch.
Wie erleben Sie den Druck bei Borussia Dortmund?
Das Umfeld mit den Fans ist sehr leidenschaftlich, die Ansprüche sind extrem hoch. Der Druck ist gewaltig, innen und von außen. Was medial passiert, versuche ich weitestgehend auszublenden. Am Ende ist jedes Spiel, egal ob zweite Liga oder Champions League, ein Fußballspiel über 90 Minuten. Darauf muss man sich konzentrieren.
Der Torhüter-Job ist ein besonderer. Welche Rolle spielt der Kopf?
Die mentale Komponente ist bei einem Torhüter nicht zu unterschätzen. Mir gefällt diese Verantwortung! Ich arbeite seit vielen Jahren mit Mentaltrainern zusammen und lese viel darüber. Auch auf die neue Rolle in Dortmund habe ich mich vorbereitet.
Sie haben einige Partien absolviert, aber wenn Gregor Kobel fit ist, spielt er auch. Wie ist das Verhältnis zu ihm?
Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Wir pushen uns im Training. Ich will auch gewinnen und mache ihm so Druck. Und wir treffen uns auch mal privat. Dieses alte Klischee von den zwei Torhütern, die sich gegenseitig nichts gönnen und bekämpfen, ist überholt, so eine Einstellung hilft keinem weiter. Gregor ist ein sehr kompletter Torwart mit einer sehr gut ausgebildeten Technik. Ich kann viel von ihm lernen, er manches von mir.

Was lernen Sie hier bei der Asienreise?
Sehr viel. Ich bin auf jeden Fall der Typ, der gerne Neues kennenlernen will, Länder und Leute. Ich bin da sehr offen und neugierig. Ich bin zum ersten Mal in diesem Teil der Welt und sehr glücklich darüber, dass wir uns hier auch die Stadt anschauen können. Wenn wir sonst in der Saison unterwegs sind, bleibt leider keine Zeit für Sightseeing und Ausflüge. Und so schnell kommt man nach Singapur, Malaysia oder Vietnam auch nicht wieder hin.
Haben Sie sich schon an die wuseligen Autogrammjäger gewöhnt?
Die Fans hier sind schon fußballverrückt, das darf man so sagen. Aber ich kenne das aus den vergangenen Monaten. Egal, wo wir als Borussia Dortmund auftauchen, wir werden erkannt und belagert. Ich gewöhne mich gerne daran. Ich erinnere mich auch noch sehr gut, wie ich selbst als kleiner Junge zum Training beim Hamburger SV gegangen bin und Unterschriften gesammelt habe.
Wer stand oben auf der Liste?
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