BVB-Spielaufbau als größtes Problem Eine Analyse und ihre Ableitungen

Beim BVB bleibt der Spielaufbau Sorgenkind: Analyse und Ableitungen
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Die Zeit verrinnt. Zehn Sekunden vergehen wie in Zeitlupe. Zehn Sekunden, in denen nichts passiert, außer dass Gregor Kobel den Ball am Fuß hat. Er geht noch ein paar Meter heraus aus seinem Strafraum, vorwärts ins offene Feld. Unbedrängt. Die Darmstädter lassen ihn gewähren. Sie nehmen stattdessen jeden Dortmunder Feldspieler in Manndeckung. Zugestellt ist gleich bloßgestellt, weil die BVB-Profis in eine Starre verfallen. Die simple direkte Zuordnung im Eins-gegen-eins reicht, damit Borussia Dortmunds Spielaufbau kollabiert.

BVB mit Problemen im Spielaufbau

Wie schon so oft in dieser Saison. Die angekündigte intensive Arbeit an einem der fußballerischen Kernprobleme während des Trainingslagers in Marbella hat zumindest am vergangenen Samstag noch keinen wesentlichen Fortschritt gebracht. Die Mannschaft von Trainer Edin Terzic tut sich weiter extrem schwer, das Spiel aus dem eigenen Drittel nach vorne zu verlagern.

Fakten zum subjektiven Eindruck vom Wochenende: Ganze sieben (!) erfolgreiche Pässe aus dem Spiel heraus gelangen den Borussen zwischen Minute 6 und 10, bei 18 Ballbesitzphasen. Ein Ausreißer nach unten? Keineswegs. Zwischen Minute 60 und 65 geschah das wieder, diesmal sogar bei 22 Ballbesitzphasen. Das belegen die Daten des Statistik-Dienstleisters Sportec Solutions. Vor allem in Auswärtsspielen, dieses Merkmal verfestigt sich, weiß der BVB mit dem Spielgerät wenig anzufangen. Die Sorge vor Ballverlusten lähmt das eigene Positions- und Angriffsspiel. Und verloren gehen die Bälle dann trotzdem.

„Es gab ganz sicher die eine oder andere Sache, die wir besser hätten machen können. Wir sind, was das Spielerische angeht, noch nicht da, wo wir sein möchten“, sah auch Schlussmann Gregor Kobel noch reichlich Luft nach oben. Terzic monierte, seine Schützlinge hätten in den ersten 20 Minuten „die Positionen nicht so eingenommen“. Das fehlende Verständnis oder die nachlässige Umsetzung der jeweiligen Aufgaben führte zu viel Palaver auf dem Platz. Aber nicht zu klaren Verbesserungen.

Niclas Füllkrug in einem Kopfballduell.
Wurde in Darmstadt oft in Luftduelle geschickt: Niclas Füllkrug. © IMAGO/HMB-Media

Einer vermeintlichen Spitzenmannschaft wie Borussia Dortmund bleibt als Mittel der Wahl im Spielaufbau zu oft nur, dass der wohl schwächste Fußballer, der Torhüter Kobel naturgemäß ist, den schwierigsten aller Pässe spielen muss – nämlich einen Flugball über 50 Meter punktgenau auf den Mittelstürmer. Das machte der Keeper sogar noch einigermaßen gut, bei langen Zuspielen hatte er (9/16 angekommene Bälle) eine bessere Quote vorzuweisen als Thomas Meunier (3/9) oder Emre Can (0/5). Doch die Pässe landeten in der Regel bei Niclas Füllkrug und damit in Räumen, in denen die Schwarzgelben klar in der Unterzahl waren. Darmstadt packte zu und sagte Danke!

Kein neues BVB-Phänomen

Die Schwerfälligkeit beim Spielvortrag aus der eigenen Defensive beschäftigt die Borussia unter Terzic schon lange. Sie ist kein neues Phänomen. Darmstadt begnügte sich wie andere Gegner zuvor mit der mannorientierten Zuordnung, mit der sich der BVB leicht unterkriegen lässt. Dabei machte der Tabellenletzte keine großen Anstalten, ein Angriffspressing aufzuziehen. Es reichte dem Außenseiter, das Zentrum kompakt und geschlossen zu halten.

Weder Salih Özcan noch Marcel Sabitzer waren dort in der Lage, mit Laufwegen, überraschenden Bewegungen oder direkten Pässen diese Drucksituationen aufzulösen. Tatsächlich findet sich in Dortmunds Mittelfeld kein Spieler, der verlässlich imstande ist, mit einem Gegenspieler im Rücken den Ball festzumachen oder sogar aufzudrehen und das Momentum zu verändern. Es ist kein Sechser in Sicht, der spielerisch einen Mehrwert bietet.

In zentraler BVB-Schnittstelle klafft ein Loch

Kapitän Emre Can, dem in der Regel die Position vor der Abwehr anvertraut wird, kennt seine Schwierigkeiten. „Ich kann und muss mich noch verbessern, wenn ich den Gegner im Rücken habe“, sagte er auf Nachfrage. „Er mag es, wenn er das Spiel vor sich hat und weniger, wenn er den Gegner hinter sich spürt“, erklärte Terzic. Bessere Alternativen zu Can gibt es jedoch im Kader auch nicht. In der zentralen Schnittstelle klafft beim BVB bezüglich dieser entscheidenden Teilkompetenz eine große Lücke.

Es gibt Wege, die ungewollte Standhaftigkeit im Spielaufbau zu beheben, ohne dass Kobel den Pass der guten Hoffnung spielen muss. Mit Kreativität und Doppelpässen, mit Positionswechseln, mit direkten Weiterleitungen auf die Außenverteidiger lässt sich die Blockade auflösen. Doch dafür benötigt es eine eindeutige Abstimmung. In Darmstadt versuchte es der BVB mit Steil- und Klatschbewegungen über die Achter- und Zehnerpositionen, was in einigen Situationen auch gelang.

Zu wenige Angebote für BVB-Ballführer

Situativ wurde im 3-2-Prinzip aufgebaut, wenn Ian Maatsen hoch auf dem linken Flügel vorschob. Dabei hätte der ballfertige Niederländer, der sich auch immer wieder im Achterraum zeigte, in der hintersten Linie mehr mit dem Ball anzufangen gewusst als Thomas Meunier, in dessen Richtung die Darmstädter das Spiel immer wieder lenken konnten mit guten Chancen auf einen baldigen Ballgewinn. Insgesamt gab es für die ballführenden Dortmunder Spieler zu wenig Angebote. Oder anders herum formuliert: Zu wenige fühlen sich verantwortlich.

Den weiten Ball auf den Mittelstürmer „haben wir immer als eine Option im Repertoire“, sagte Salih Özcan am Samstag. Das muss die letzte Option sein. Und nicht die erste oder gar die einzige. Dortmund braucht einen besseren Plan für den Spielaufbau. Hier ist, nachdem Terzic mit mehreren Ansätzen keine Verbesserungen geschaffen hat, Co-Trainer Nuri Sahin gefragt. Und in Richtung Sommer benötigt der BVB im zentralen defensiven Mittelfeld spielstarke Verstärkung.

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