BVB-Nachwuchschef Lars Ricken im Exklusiv-Interview „Bei uns kommt richtig Qualität nach“

BVB-Nachwuchschef Lars Ricken im XXL-Interview: „Bei uns kommt richtig Qualität nach“
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Ein turbulentes Jahr liegt hinter Borussia Dortmunds Jugendteams. Ein Jahr mit großen Erfolgen, aber auch bitteren Enttäuschungen. Lars Ricken blickt zurück auf besondere Momente. Im Gespräch mit RN-Redakteur Cedric Gebhardt verrät der BVB-Nachwuchschef, welchen Top-Talenten er als nächstes den Sprung zu den Profis zutraut, wie der BVB sie auf darauf vorbereitet und warum Zweifel der womöglich größte Motor einer gelungenen Entwicklung sind.


Herr Ricken, vor einem Jahr haben Sie schon einmal bei uns im Interview Bilanz gezogen und konnten auf eine erfolgreiche Zeit zurückblicken. Fällt Ihr Urteil über 2022 diesmal ähnlich positiv aus?

Es fällt sogar extrem positiv aus. Die U19 ist Deutscher Meister geworden und es ist natürlich schön, eine Saison mit einem Titel abzuschließen. Außerdem sind die Jungs ja auch ins Endspiel des DFB-Pokals gekommen und ins Viertelfinale der Youth League. Das war ein toller Weg, den das Team nach zwei Jahren Corona-Pandemie gegangen ist. So ein Jahr hinzulegen, ist schon extrem bemerkenswert. Und neben diesem Erfolg haben wir in Youssoufa Moukoko, Tom Rothe und Jamie Bynoe-Gittens drei U19-Spieler, die schon jetzt eine gute Rolle bei den Profis spielen. Das ist natürlich großartig.


Die U19 ist im Mai Deutscher Meister geworden. Sogar das Double wäre möglich gewesen, wenn die Mannschaft im Endspiel des DFB-Pokals gegen den VfB Stuttgart ihr Leistungsvermögen abgerufen hätte. Trübt das verlorene Finale den Titelgewinn?

Das Double bei der U19 ist nicht nur dem BVB noch nicht gelungen, sondern noch keinem Verein in Deutschland. Klar, hätten wir auch gerne den Pokal gewonnen. Aber nach dem verlorenen Pokalfinale gegen Stuttgart standen wir eine Woche später im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Die Anspannung war bei den Spielern, beim Trainerteam und auch bei uns, der Sportlichen Leitung, in diesen Tagen echt groß. Wir hätten ja nach einer tollen Saison am Ende mit leeren Händen dastehen können. Es war also schon eine besondere Herausforderung, in dieser Situation gegen einen so starken Gegner aus Berlin das DM-Finale zu gewinnen. Aber es ist als Borussia Dortmund unser Anspruch, dass wir in diese Finals kommen, in denen ein größerer Druck herrscht und es eine größere mediale Aufmerksamkeit gibt. Weil wir glauben, dass wir die Jungs mit genau diesen Spielen ein Stück weiter an den Profibereich heranführen können. Es ist wichtig, dass die Jungs lernen, mit nervlicher Anspannung und diesem Druck umzugehen lernen. Klar, wir können den Profibereich nicht eins zu eins imitieren, aber wir können versuchen, es so gut wie möglich hinzubekommen. Für die Entwicklung der Spieler war diese Woche deshalb trotz der Niederlage im Pokalfinale sehr wertvoll.




In der Youth League ist die U19 so weit gekommen wie noch nie zuvor ein BVB-Juniorenteam. Erst im Viertelfinale war mit 0:1 gegen Atletico Madrid Endstation. Auch jetzt hat das Team die Playoffs erreicht. Lässt sich daraus für Sie ableiten, wo der BVB im internationalen Vergleich steht?

Es ist schwierig, das einzuschätzen. Denn nach den Regeln der Uefa darf man ja pro Partie drei U20-Spieler in der Youth League einsetzen. Diese drei Spieler können das Niveau einer Mannschaft brutal anheben. Das verändert natürlich einiges. Interessant ist aber ein Aspekt, über den wir mit Brian Barry-Murphy, dem Trainer der U19 von Manchester City nach den beiden Gruppenspielen gesprochen haben. Er sagte uns, dass seine Spieler bei City eine ähnliche Qualität besäßen wie unsere Jungs. Beim BVB allerdings würden die Top-U19-Spieler schon bei den Profis dabei sein, was in Manchester nicht der Fall ist. Deswegen sehen viele englische Talente in Deutschland eine bessere Perspektive als in England, um im Profibereich anzukommen. Siehe Jadon Sancho oder Jude Bellingham.


In der bisherigen Saison strahlt die U19 nicht die Dominanz der Vorsaison aus. Worauf führen Sie das zurück?

Dafür gibt es mehrere Ursachen. In der vergangenen Saison hatten wir zunächst einmal ein wirklich außergewöhnlich hohes Niveau. Wir hatten Jamie Bynoe-Gittens, Tom Rothe oder auch Bradley Fink, der jetzt beim FC Basel im Europapokal spielt, im Team. Dazu Lion Semic und Dennis Lütke-Frie, um nur einige zu nennen. Wir hatten eine unfassbar hohe individuelle Qualität, die du nicht jedes Jahr hast. Hinzu kommt, dass unsere aktuelle U19 durch Bundesliga, Pokal, Youth League und Nationalmannschafts-Abstellungen fast permanent Englische Wochen hatte. Am Wochenende treffen die Jungs dann auf einen ausgeruhten Gegner, der diese Vierfachbelastung nicht hatte. Trotzdem sind wir in der Youth League in die Play-Offs eingezogen und stehen zur Winterpause in der Junioren-Bundesliga gemeinsam mit dem 1. FC Köln auf Platz eins. Das nötigt mir sehr viel Respekt ab.

Paris Brunner führt einen Zweikampf um den Ball.
U17-Stürmer Paris Brunner zählt mit seinen Treffern auch in der BVB-U19 zu den Leistungsträgern. © imago / Patrick Ahlborn


Die U17 gilt als hochveranlagter Jahrgang. In der B-Junioren-Bundesliga hat sie zur Winterpause allerdings bereits acht Punkte Abstand zu Schalke 04 und nur noch geringe Aussichten, sich für die DM-Endrunde zu qualifizieren. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Mit dem Tabellenplatz sind wir natürlich nicht zufrieden und haben uns deutlich mehr ausgerechnet. Wir hatten allerdings ungeheures Verletzungspech. In Elias Benkara, Luke Rahmann und Charles Herrmann fallen drei Spieler langfristig aus. Außerdem haben wir Paris Brunner frühzeitig zur U19 hochgezogen und sein Sturmpartner Alex Niziolek hat sich ebenfalls verletzt. Die beiden haben zusammen 23 Tore erzielt. Wenn dir so viel Qualität wegbricht, ist das nur schwer aufzufangen. Und auch wenn wir mit der Positionierung im Winter nicht zufrieden sind, haben wir in der U17 auch weiterhin einen richtig spannenden Jahrgang. Das zeigt auch die Tatsache, dass in William Rashidi, Kjell Wätjen, Paris Brunner und Tyler Meiser vier Spieler dieses Teams bereits bei der U19 in der Youth League zum Einsatz gekommen sind.


Die U23 hat nach dem besten Abschneiden der Vereinsgeschichte in der 3. Liga im Vorjahr aktuell viel Mühe und kämpft um den Klassenerhalt. Wo liegen hier die Probleme und wie kann man sie beheben?

Nach dem kurzfristigen Trainerwechsel im Sommer und dem Abgang in der laufenden Saison von Bradley Fink nach Basel hat sich die Mannschaft schwergetan. Es musste sich erst mal alles finden. Stand jetzt stehen wir über dem Strich und es geht für uns in erster Linie darum, nicht abzusteigen. Aber natürlich möchten wir als BVB dieser Liga auch spielerisch etwas geben. Das hat die Mannschaft auch in sich. Deshalb gehe ich auch weiterhin fest davon aus, dass wir mit unserer Qualität den Klassenerhalt schaffen werden.

Justin Njinmah und Marco Pasalic jubeln.
Justin Njinmah (links) und Marco Pasalic haben in dieser Saison ihr Bundesliga-Debüt für den BVB gegeben. © imago / Eibner


In Antonios Papadopoulos, Marco Pasalic, Justin Njinmah und Soumaila Coulibaly haben gleich vier Spieler aus der U23 in der Hinrunde ihr Profi-Debüt unter Edin Terzic gegeben. Wie beurteilen Sie ihre Entwicklung?

Alle Jungs haben sich ihr Profi-Debüt verdient. Edin hat schon in der vergangenen Saison als Technischer Direktor sehr viele Partien in der 3. Liga gesehen und kann diese Spieler gut einschätzen. Und genau dafür ist eine U23 ja auch da, um bei Bedarf oder bei Verletzungen aushelfen zu können.


In Nnamdi Collins und Samuel Bamba sollen ab Januar zwei U19-Spieler bei der U23 reinschnuppern. Wieso gerade diese beiden?

Nnamdi Collins ist der herausragende Innenverteidiger in Deutschland in seiner Altersklasse. Er ist körperlich so weit, dass er sich ab dem neuen Jahr im Männerfußball messen soll. Jetzt geht es darum, das nächste halbe Jahr zu nutzen, bevor er in den Seniorenbereich kommt. Dazu wollen wir ihm erhöhte Trainingsintensität in der U23 verschaffen. Samuel Bamba hat sich leider am Sprunggelenk verletzt und fällt bis Mitte Januar aus. Sammy fehlt es noch ein bisschen an Effektivität. Auf der Asienreise hat er aber drei Tore erzielt und angedeutet, was er kann.

Nnamdi Collins hält den Ball in seiner rechten Hand.
Nnamdi Collins soll über die U23 an die BVB-Profis herangeführt werden. © imago / Kirchner-Media


Unter Marco Rose haben zudem im Frühjahr bereits Jamie Bynoe-Gittens, Tom Rothe und Lion Semic ihr Bundesliga-Premiere erlebt. Was dürfen wir in Zukunft von ihnen erwarten?

Von allein drei können wir ganz viel erwarten. Für Lion geht es darum, sich in der U23 zu stabilisieren und möglichst viele Spielminuten sammeln. Jamie ist ein außergewöhnlicher Spieler, das haben wir ja in den wenigen Partien in dieser Saison ja auch schon gesehen. Ich glaube, Edin und sein Trainerteam können es kaum erwarten, dass Jamie wieder auf dem Platz steht. Er ist ein Kandidat für die erste Elf. Tom ist ein außergewöhnliches Linksverteidiger-Talent. Für ihn geht es nach seiner Verletzung darum, dass er in der Rückserie möglichst viel spielt. Ob bei den Profis, der U23 oder der U19 – wo, ist eigentlich egal.


Welchen aktuellen Spielern aus dem Jugendbereich trauen Sie eine ähnliche Entwicklung zu?

Wir haben in der U19 und U17 viele Junioren-Nationalspieler. Insofern möchte ich niemandem Unrecht tun. Ich will deshalb nur einige, wenige Namen nennen. In Nnamdi Collins, Filippo Mané, Elias Benkara, Luke Rahmann und Tyler Meiser haben wir gleich fünf talentierte Innenverteidiger und sind dort extrem gut aufgestellt für die nächsten Jahre. In Paris Brunner, Kjell Wätjen, Almugera Kabar und Charles Herrmann haben wir viele weitere spannende Spieler. Es kommt bei uns richtig Qualität nach.

Otto Addo blickt nach vorn.
Otto Addo war während der WM in Katar Nationaltrainer von Ghana. Beim BVB ist er Top-Talente-Coach. © dpa


Borussia Dortmund setzt seit dieser Saison neben Otto Addo mit Daniel Rios und Eren Yilmaz zwei weitere Toptalente-Trainer ein. Inwieweit hievt das die Jugendarbeit beim BVB noch mal auf ein neues Level?

Wir haben eine immens hohe Anzahl an Talenten und Nationalspielern und wollen ihnen allen gerecht werden. Gleichzeitig möchten wir auch Otto gerecht werden, dessen Arbeit in der Jugend ja nicht aufhört. Er kümmert sich auch bei den Profis weiterhin um die jungen Spieler. Zeitlich würde das für einen Trainer allein schon wirklich problematisch. Deshalb haben wir uns für diesen Schritt entschieden.


Dann verraten Sie uns zum Abschluss doch bitte noch Ihre guten Vorsätze fürs neue Jahr.

Wir haben uns vorgenommen, auch weiterhin daran zu zweifeln, ob das, was wir machen, richtig ist. Unser Zweifeln daran hat uns immer ausgezeichnet. Wir haben uns nie darauf ausgeruht, was wir erreicht haben. Wir fragen uns ständig: Ist das, was wir bisher gemacht haben, auch weiterhin der richtige Weg? Wie machen es andere? In welchen Bereichen sind andere besser als wir?

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