
NLZ-Direktor Lars Ricken (links) im Gespräch mit BVB-Cheftrainer Edin Terzic. © Guido Kirchner
BVB-Nachwuchschef Lars Ricken: „Edin Terzic ist für uns ein Geschenk“
Borussia Dortmund
Lars Ricken blickt voller Vorfreude auf die neue Saison. Im Interview verrät der NLZ-Direktor, wie der BVB seine Toptalente auf die Profis vorbereitet und wie sie von Cheftrainer Edin Terzic profitieren.
Die vergangene Saison war eine außergewöhnliche für die U19 von Borussia Dortmund. Sie feierte die Deutsche Meisterschaft, stand im Finale des DFB-Pokals und im Viertelfinale der Youth League. Mittlerweile haben gleich mehrere der Talente den Sprung in den Profi-Kader und die U23 geschafft. Für Lars Ricken ist das die Bestätigung für die gute Arbeit, die im Nachwuchsbereich des BVB geleistet wird. Im Interview mit RN-Redakteur Cedric Gebhardt verrät der NLZ-Direktor, wie der BVB seine Toptalente auf den Sprung in den Profifußball vorbereitet, wie der Nachwuchs von Edin Terzic profitiert und über
wichtige Lernprozesse für Jamie Bynoe-Gittens und Co.
Herr Ricken, Anfang Juli hat die U19 das Training wieder aufgenommen. Wie wichtig war es auch für Sie persönlich, dass nach einer intensiven Saison zuvor vier Wochen lang der Ball ruhte?
Für uns als Sportliche Leitung war es gar nicht so eine lange Pause. Wir waren vor Ort und mit den Planungen der neuen Saison beschäftigt. Aber für das Trainerteam und die Spieler war es wichtig, auch mal durchzuatmen und Abstand zu gewinnen, weil es nach Corona eine intensive Zeit war. Wir haben extrem viele Spiele gehabt, mit dem NRW-Liga-Pokal, der Junioren-Bundesliga, dem DFB-Pokal und der Youth League.
International ist der BVB nur knapp im Viertelfinale an Atletico Madrid gescheitert. Das Pokalfinale hat das Team gegen Stuttgart verloren, die Deutsche Meisterschaft gegen Hertha BSC gewonnen. Wie fällt Ihre Bewertung der vergangenen Saison rückblickend aus?
Gerade die beiden Endspiele binnen einer Woche im Pokal und in der Meisterschaft waren extrem wichtig für die Entwicklung. Nach der Niederlage gegen Stuttgart war das keine einfache Woche für die Jungs. Da hast du schon gemerkt, dass da auch ein gewisser Druck ist und alle schon sehr angespannt sind. Das macht den Erfolg gegen Hertha noch mal umso besonderer.
War es für die Entwicklung der Spieler womöglich sogar wertvoller, das Pokalfinale gegen Stuttgart verloren zu haben und sich derart straffen zu müssen, um die Deutsche Meisterschaft zu gewinnen?
Aus solchen Niederlagen lernst du auch was. Die guten Spieler bemitleiden sich dann nicht, die sagen sich: Das fühlt sich schlecht an und dieses schlechte Gefühl will ich nicht noch mal haben, deshalb muss ich vielleicht noch mehr tun. Die Guten gehen gestärkt aus solchen Niederlagen hervor. Es war wichtig, dass die Jungs direkt eine Reaktion zeigen konnten. Wer weiß, vielleicht hätten wir das Finalspiel gegen Berlin verloren, wenn wir vorher das Pokal-Finale gegen Stuttgart gewonnen hätten. Es hat vielleicht auch einen Grund, warum es noch niemandem gelungen ist, beide U19-Titel in einer Saison zu holen.
Spieler und Trainer betonen häufig die familiäre Atmosphäre in Dortmund. Wie gelingt es dem BVB, maximal leistungsorientiert zu arbeiten und gleichzeitig eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen?
In erster Linie, indem wir uns das als Philosophie und Zielsetzung auf die Fahne schreiben. Es wird in allen Nachwuchsleistungszentren gute Arbeit geleistet. Es ist deshalb wichtig, sich als Borussia Dortmund zu positionieren und seine Stärken herauszustellen. Wir wollen eine gesunde, fast familiäre Atmosphäre im NLZ schaffen, aber auch eine maximal ambitionierte. Die Jungs haben riesigen Druck, mit 70 bis 80 Stunden pro Woche durch Schule und Fußball. Umso wichtiger ist es, dass wir den Spielern ein persönliches Gefühl geben. Aber das gilt natürlich auch für alle anderen, die Trainer, den Staff, die Mitarbeiter. Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der sich alle wohlfühlen können. Das bedeutet aber trotzdem, dass mit aller Konzentration, Disziplin und Ambition trainiert und gespielt wird, wenn es auf den Platz geht.

Intensiver Austausch: U19-Coach Mike Tullberg (links) und BVB-Nachwuchschef Lars Ricken. © Florian Groeger
Welche Rolle spielt dabei U19-Trainer Mike Tullberg?
Mike findet einen tollen Umgang mit den Spielern. Im Training kann er auch schon mal lauter werden. Dann erklärt er es dem Spieler im Zweifel noch mal im sachlichen Ton und nach dem Training nimmt er ihn in den Arm und man flachst wieder miteinander. Mike hat da ein unheimlich gutes Gespür und einen guten Draht zu den Spielern.
Haben Sie deshalb vorzeitig mit ihm bis 2026 verlängert?
Ein ganz entscheidendes Kriterium für erfolgreiche Jugendarbeit ist Kontinuität auf entscheidenden Positionen. Das sehen wir auch im Profi-Bereich in der Geschäftsführung. Michael Zorc war ewig da, Sebastian Kehl ist schon lange da – das ist ein ganz entscheidender Faktor. Mike fühlt sich hier sehr wohl und identifiziert sich zu 100 % mit dem Verein, und ich weiß, was wir für einen tollen Trainer an ihm haben. Es war mir wichtig zu dokumentieren, dass wir vertrauensvoll zusammenarbeiten und keine Fragezeichen entstehen. U23-Trainer Enrico Maaßen hat uns verlassen, Sebastian Geppert rückt aus der U17 zu den Profis auf. Umso wichtiger war es, dass wir in der U19 Planungssicherheit und Kontinuität haben.
Mike Tullberg hat angekündigt, dass der künftige Fußball der U19 anders aussehen wird als bisher. Haben Sie schon eine Vorstellung davon, wie der Fußball aussehen könnte?
Es geht uns natürlich im Vergleich zur Vorsaison schon ein gehöriges Stück individuelle Qualität verloren. Das beziehe ich nicht nur auf Jamie Bynoe-Gittens, sondern auch auf Göktan Gürpüz, Bradley Fink und andere. Aber wir haben natürlich auch weiterhin viel Qualität auf dem Platz. Wir wollen weiter dominant und offensiv auftreten und viele Tore schießen. Das gilt ja auch für unsere anderen U-Teams und das liegt schon in unserer DNA. Deshalb denke ich, dass sich nur Nuancen ändern werden.

Die U19 des BVB bejubelte im Mai nach dem Finalsieg gegen Hertha BSC die Deutsche Meisterschaft. © Guido Kirchner
Die in der Vergangenheit getätigten Transfers von Julian Rijkhoff und Filippo Mane galten als Vorgriffe für diese Saison. Aktuell haben Sie in Noa-Gabriel Simic den absoluten Wunschstürmer von Mike Tullberg für die U19 verpflichtet. Was kann er der Mannschaft geben?
Es entspricht unserer Philosophie, dass wir im Aufbaubereich (U12 bis U15, Anm. d. Red) schon zu großen Teilen unsere Mannschaften beisammenhaben, sie nach Möglichkeit bis zur U19 zusammen hochgehen und wir nur noch punktuell Spieler dazu holen, wie etwa Rijkhoff, Mane oder jetzt Simic. Das machen wir zwar nur in Ausnahmen, aber natürlich tut es der Gruppe auch mal gut, wenn neue Spieler eingebaut werden. Gabriel Simic ist als Charakter kein ruhiger Typ, sondern einer, der neuen Schwung in die Mannschaft bringen wird. Er hatte entscheidenden Anteil daran, dass der FC Augsburg ins Halbfinale der Deutschen Meisterschaft gekommen ist. Er ist ein richtig spannender Spieler. Deshalb haben wir uns sehr darum bemüht, ihn zu verpflichten und sind froh, dass er jetzt bei uns ist.
Die Durchlässigkeit für Talente ist beim BVB sehr hoch. In der vergangenen Saison haben in Jamie Bynoe-Gittens, Tom Rothe und Lion Semic gleich drei Spieler aus der U19 ihr Profi-Debüt gegeben. So positiv das ist, inwieweit müssen Sie intern manchmal die jungen Spieler auch bremsen, weil nicht jeder von sich erwarten kann, dass er mit 17, 18 Jahren schon Bundesliga spielen kann?
Es gibt so viele Wege, die nach oben führen. Es muss nicht immer der direkte Sprung sein. Da gibt es aktuell zwei wunderbare Beispiele: Luca Kilian und Amos Pieper. Beide waren bei uns lange im Jugendbereich und in der U23 und haben jetzt in der Bundesliga eine tolle Entwicklung gemacht. Das ist eigentlich der eher normale Weg und nicht der Moukoko-Weg. Es sind wirklich die absoluten Ausnahmen und die absoluten Toptalente, die das schaffen. Auch wir wollen natürlich, dass jeder so schnell wie möglich die bestmögliche Entwicklung nimmt. Aber ganz wichtig ist eben auch, dass wir jedem die notwendige Zeit geben, die er braucht. Das ist auch im Hinblick auf die Belastung wichtig. Das haben wir an Daniel Ginczek, Marvin Ducksch und Janni Serra gesehen. Alle drei haben im Übergangsbereich zum Profi schwere Verletzungen erlitten. Das kann entscheidenden Einfluss auf die Karriere haben. Deswegen ist es ganz wichtig, dass man die Entwicklung behutsam aufbaut. Unsere Jungs haben aber einen großen Vorteil.

Letzte Saison noch bei den Junioren, mittlerweile im Profikader: Jamie Bynoe-Gittens (rechts), hier im Gespräch Karim Adeyemi. © Guido Kirchner
Welchen?
Es gibt wahrscheinlich in der Bundesliga keinen Cheftrainer der Profiabteilung, der die Jugendspieler so gut kennt wie Edin Terzic. Das ist für uns einfach ein Geschenk, weil er sich in seiner Funktion als Technischer Direktor im Jugendbereich extrem viel eingebracht hat. Er hat sehr viele Spiele und teilweise auch Trainingseinheiten gesehen, er hat mit den Jungs Vier-Augen-Gespräche geführt. Er kennt die Jungs aus der U23, U19 und U17 und kann sie alle einschätzen. Das ist echt ein Pfund und richtig cool für die Jungs.
Wie in der Vorsaison gibt es auch diesmal ab dem 14. August wieder eine Einfachrunde in der Junioren-Bundesliga. Ihr Trainer Mike Tullberg hat sein Missfallen darüber bereits zum Ausdruck gebracht. Sind Sie ähnlich wenig begeistert?
Auch ich bin alles andere als begeistert, dass wir weiterhin so verfahren und unsere Saison im Corona-Modus spielen. Für uns als BVB ist es gar kein so großes Problem, weil wir in drei Wettbewerben vertreten sind und unsere Nationalspieler auch noch mit ihren Auswahlen viel unterwegs sind. Aber es ist ein Problem des deutschen Nachwuchsfußballs, da viele Vereine nur fünf, sechs Partien haben, in denen ihre Top-Spieler auf höchstem Niveau gefordert werden. Gerade für die Spieler, die wir mal in den großen Stadien vor 60.000 oder 80.000 Zuschauern sehen wollen, ist das einfach viel zu wenig. Man darf nicht vergessen: Unsere Spieler stehen inzwischen auch in einer internationalen Konkurrenzsituation. Viele Länder haben ihren Spielbetrieb auch in der Corona-Zeit fortgeführt. Dadurch haben unsere Spieler einen riesigen Nachteil gegenüber anderen europäischen Jugendligen. Es ist schade, dass wir dafür deutschlandweit keine Lösung gefunden haben.
Die vergangene Saison war für den BVB-Nachwuchs extrem erfolgreich. Inwiefern ist das auch der Maßstab für die neue Spielzeit?
Es entspricht unserer prinzipiellen Philosophie, dass wir möglichst Wettbewerbe auf höchstem Niveau bestreiten. Dort hat man eine ganz andere mediale Aufmerksamkeit, einen ganz anderen sportlichen Druck, eine hohe Spielqualität. Wir wollen die Jungs auf den Profifußball vorbereiten und mit solchen Finalspielen können wir das am besten simulieren. Sie bieten in dieser Hinsicht ganz einfach einen riesigen Mehrwert. Deshalb entscheiden sich auch viele wirklich gute Spieler für Borussia, weil sie wissen, wir haben diese Ambitionen, ganz oben mitzuspielen und nicht um Platz vier oder fünf. Aber am Ende geht es um Durchlässigkeit und um die Frage: Wer kommt oben an. Wenn wir im Jugendbereich die Siegermentalität implementieren, erhöht das die Chance, dass die Jungs oben ankommen. Sportlicher Erfolg ist Teil der Ausbildungsphilosophie, um die Jungs individuell besser zu machen.
Bedeutet sportlicher Erfolg, auch in der nächsten Saison Meister in der West-Staffel der Junioren-Bundesliga zu werden?
Natürlich ist es unser Anspruch, wieder ganz oben mitzuspielen. Die anderen Mannschaften machen aber auch einen guten Job. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass auch Schalke die Westdeutsche Meisterschaft anstrebt. Es sind allerdings nur 16 Spiele, da kannst du dir kaum mal einen Ausrutscher leisten.
Cedric Gebhardt, Jahrgang 1985, hat Germanistik und Politikwissenschaft an der Ruhr-Uni Bochum studiert. Lebt aber lieber nach dem Motto: „Probieren geht über Studieren.“ Interessiert sich für Sport – und insbesondere die Menschen, die ihn betreiben. Liebt Wortspiele über alles und kann mit Worten definitiv besser jonglieren als mit dem Ball. Schickt deshalb gerne humorige Steilpässe in die Spitze.
