Wären Fußballspiele Hollywood-Filme, dann würde man den 2:1-Sieg des BVB bei Sporting Lissabon in der DVD-Abteilung zweifelsfrei im Regal mit der Aufschrift "Hochspannungs-Thriller" einsortiert. Erst nach 97 Minuten wurde Borussia Dortmund am Dienstag erlöst. Umso größer war der Stolz über eine kämpferische Leistung.
Ausgelassen war die Stimmung der jungen Dortmunder Truppe nach dem Abpfiff in Lissabon.
Thomas Tuchel ist bekannt dafür, dass er nur selten zu den üblichen Fußball-Floskeln greift. Der BVB-Trainer hat seine ganz eigenen Ansichten und ist in der Wahl der Formulierungen sehr eigen. Insofern überraschte es nicht, dass er mit dem Wort „Charaktertest“ nichts anfangen konnte, als er im Bauch des Estadio José Alvalado damit konfrontiert wurde.
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Champions League, 3. Spieltag: Sporting Lissabon - BVB 1:2 (0:2)
Bilder der Champions-League-Partie zwischen Sporting Lissabon und Borussia Dortmund.
Bruno Cesar ( Sporting Lissabon 11) mit dem 1:2 Anschlusstreffer, Sporting Lissabon vs. Borussia Dortmund , Fussball, Champions League, Gruppenphase, 18.10.2016, Lissabon Copyright: xLangerx/xEibner-Pressefotox EP_HLR
Er nahm den Begriff auseinander und antwortete: „Das Wort würde ich nicht benutzen. Denn der Charakter der Mannschaft stand in keiner Weise in Frage. Und es wäre gefährlich, ihn an einem Ergebnis festzumachen, das auf vielen Unwägbarkeiten basiert.“ Es war eine typische Tuchel-Antwort. Später kam er in der Pressekonferenz bei einer anderen Frage noch einmal auf das Thema zurück. „Wir waren wahnsinnig jung und unerfahren“, sagte er da, „aber man hat bis draußen gespürt, dass meine Männer die Führung unter keinen Umständen mehr hergeben wollten.“ Es war die richtige Reaktion des Teams auf die Diskussionen der vergangenen Wochen – und Tuchels Satz die Antwort auf die Frage nach dem „Charaktertest“.
"Ich bin sehr stolz"
Denn Tuchels Mannschaft, die ja zuletzt häufig eher aus Jünglingen, denn aus gestandenen Männer besteht, hatte in dieser Saison wiederholt geschwächelt, als der Gegner robust spielte und Druck ausübte. In Lissabon hielt sie am Dienstag aber dagegen, als es unter Mithilfe der leidenschaftlichen Sporting-Fans noch einmal richtig intensiv und nervenaufreibend wurde.
„Ich bin sehr stolz“, sprach Sportdirektor Michael Zorc dem Team anschließend ein großes Lob aus. „Wenn ich sehe, dass wir mit zwei A-Jugendlichen starten und noch einen dritten einwechseln, dass wir drei Spieler auf dem Feld hatten, die gar nicht bei 100 Prozent sein konnten, dann bin ich sehr zufrieden. Sie alle haben sich mit jeder Faser gegen den drohenden Ausgleich gestemmt.“
Junge Fraktion
Vor allem die Widrigkeiten, denen die Borussia während der Partie trotzen musste, imponierten. In Marc Bartra, Matthias Ginter und Felix Passlack mussten drei Glieder der Viererkette vorzeitig runter. Als das Spiel endlich beendet war, hatten Passlack, Christian Pulisic und Dzenis Burnic drei Akteure gespielt, die bei Dortmunds Champions-League-Sieg 1997 noch nicht einmal auf der Welt waren. Speziell für sie war es ein bedeutender Schritt, den Vorsprung über die Zeit retten zu können.
„Das Spiel hat viele Nerven gekostet“, stöhnte Keeper Roman Bürki, als er später vor die Presse trat. „Zum Schluss lastete enormer Druck auf uns. Aber jeder von uns, speziell die ganzen Jungen, ist in dieser Partie gewachsen.“ Passlack, der es auf seiner Seite mit Gelson Martins, dem besten Portugiesen, zu tun bekommen hatten, bestätigte den Eindruck seines sieben Jahre älteren Teamkollegen.
Samstag in Ingolstadt
„Dieses Spiel“, sagte er, „gibt unserer jungen Mannschaft viel Selbstvertrauen.“ Dann sagte er einen Satz, der auch von einem alten Hasen hätte stammen können: „Das müssen wir jetzt in die nächsten Wochen mitnehmen.“ Zum Beispiel in das Bundesliga-Spiel beim FC Ingolstadt am Samstag (15.30 Uhr). Denn wenn jetzt jedes Spiel ein Hochspannungs-Thriller würde, würden vermutlich selbst dem erst 18-jährigen Passlack bald erste graue Haare wachsen.