BVB-Interimstrainer setzt auf Empathie und Ehrgeiz Das ist Mike Tullberg

BVB-Interimstrainer setzt auf Ehrgeiz und Empathie: Das ist Mike Tullberg
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Mike Tullberg ist ein Mensch, der in seinem Leben viel bewegen muss. Das gilt beruflich wie privat. Der 39-jährige Familienvater lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Essen. Als Dienstwagen hat er sich bei Borussia Dortmund deshalb keinen schicken Sportflitzer ausgesucht, sondern einen standesgemäßen Familien-Van. Den steuert er, auf dem BVB-Trainingsgelände in Brackel ankommend, in den vergangenen Jahren verlässlich nach links – zu den Funktionsgebäuden des Nachwuchsleistungszentrums. Vorerst aber wird der Däne nun künftig rechts abbiegen – zum Profi-Trakt.

BVB-Trainer Tullberg quartiert sich in Hotel ein

Nach der Trennung von Nuri Sahin ist Tullberg übergangsweise zum Cheftrainer bei Borussia Dortmund befördert worden. Er sitzt am Samstag im Heimspiel gegen Werder Bremen auf der Bank. Nach Informationen der Ruhr Nachrichten hat sich Tullberg eigens für diese Aufgabe für drei Tage in einem Hotel einquartiert. In der Vergangenheit hatte er bereits zu einer ähnlichen Maßnahme gegriffen und seine Familie vor dem Finale um die Deutsche Meisterschaft 2023 mit der BVB-U19 für eine Woche in die Heimat nach Dänemark geschickt, um sich von nichts und niemandem ablenken zu lassen. Voller Fokus auf Schwarzgelb. Diesem Ziel ordnet er alles andere unter.

Am Mittwoch gab es noch keinen Kontakt zwischen dem Interimstrainer und seinem Personal. Die Mannschaft hatte nach ihrer Rückkehr aus Bologna frei. Erst am Donnerstag wird es zur ersten Zusammenkunft zwischen Tullberg und den BVB-Profis kommen. Für den Trainer ist es der vorläufige Höhepunkt einer steilen Karriere beim BVB, zu dem er 2019 wechselt und dort zunächst für eine Saison die U23 übernimmt. 2020 folgt der Switch auf den Posten des U19-Trainers. Seither führt er den schwarzgelben Nachwuchs zur Deutschen Meisterschaft (2022), Deutschen Vize-Meisterschaft (2023 und 2024), ins DFB-Pokalfinale (2022) sowie ins Viertelfinale der Youth League (2022 und 2023).

BVB-Trainer Tullberg pflegt enges Verhältnis zu Ricken

Als U19-Trainer hat er national einen imposanten Schnitt von 2,43 Punkten vorzuweisen. Nicht nur deshalb genießt er bei Lars Ricken hohes Ansehen. Zum jetzigen Sport-Geschäftsführer pflegt Tullberg ein enges Vertrauensverhältnis – auch deshalb fiel die Wahl des Interimstrainers auf ihn. Gemeinsam arbeiteten beide über fünf Jahre lang eng und erfolgreich im BVB-NLZ zusammen. Unter Tullbergs Regie reiften unter anderem Youssoufa Moukoko, Jamie Gittens, Tom Rothe und Nnamdi Collins. Er gilt deshalb als Talente-Entwickler. Dafür fordert er stets das Maximum von seinen Spielern.

Mike Tullberg spricht mit Lars Ricken.
Enge BVB-Vertraute: Interimstrainer Mike Tullberg (l.) und Sport-Geschäftsführer Lars Ricken arbeiten seit Jahren erfolgreich zusammen. © imago / Patrick Ahlborn

„Ich bin ein Befürworter eines aktiven Spielansatzes. Ich bin dafür, die Initiative zu ergreifen, mit und ohne Ball. Dafür verlange ich sehr viel, ich gebe mich sehr selten mit 99,9 Prozent zufrieden. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass man so spielt wie man trainiert und nicht dazu in der Lage ist, im Kopf umzuschalten, wenn man immer nur mit 98 Prozent durch die Gegend läuft“, erklärte Tullberg einst im Interview mit den Ruhr Nachrichten.

BVB-Trainer Tullberg setzt auf hohes Maß an Empathie

Das Maximum herauszuholen, das wird auch seine Aufgabe bei den BVB-Profis sein. Vor dem Heimspiel gegen Bremen geht es für den Dänen darum, einer verunsicherten Mannschaft zugleich Halt und frische Impulse zu geben, um den freien Fall nach wettbewerbsübergreifend vier Niederlagen in Serie zu stoppen. Das soll ihm mit einer Mischung aus Empathie und Ehrgeiz gelingen.

„Wenn du es mit Menschen zu tun hast, brauchst du eine gesunde Empathie und eine gute Menschenführung – dann kommst du weit“, sagte Tullberg im Mai 2023 im BVB-Podcast der Ruhr Nachrichten. Das habe ihn schon seine Mutter gelehrt, die jahrzehntelang als Pädagogin tätig war. Es sei wichtig, dass man sich in die Situation seiner Spieler hineinversetzen könne, betont Tullberg. Nach eigenem Bekunden gehe es ihm darum, „zu schauen, wie man nicht nur fußballerisch, sondern auch menschlich am meisten rausbekommt“.

BVB-Trainer Tullberg verkörpert Herz und Leidenschaft

Der Däne ist ein extrem ehrgeiziger Trainer und einer, der sein Team laut und intensiv coacht. Nach Spielen sind seine Stimmbänder regelmäßig hörbar strapaziert. Der 39-Jährige verkörpert pures Feuer – „Danish Dynamite“ eben. Ein Attribut, auf das Tullberg stolz ist. Nicht selten legt er sich auch mit dem Schiedsrichter oder dem gegnerischen Trainer an, kassiert dafür Gelbe oder Rote Karten. Ihn aber nur auf seine Motivationskünste zu reduzieren, würde ihm nicht gerecht.

Mike Tullberg nimmt Jamie Gittens in den Arm.
BVB-Interimstrainer Mike Tullberg (l.) formte in der U19 unter anderem Jamie Gittens zum Profi. © imago / Team 2

Auf dem Rasen gibt es für Tullberg meist nur eine Richtung: vorwärts. Im 4-2-3-1 lässt er den BVB-Nachwuchs in aller Regel von der Leine, um bedingungslosen Offensivfußball spielen zu lassen, der die Gegner reihenweise mit Tempo und Wucht erdrückt. Einen Fußball also, wie ihn die BVB-Fans von ihrer Borussia am liebsten sehen wollen. Mit Herz, Power, Leidenschaft. Das ist exakt das, was Tullberg vorschwebt und vorlebt.

Tullbergs muss Spieler-Karriere früh beenden

Diese Herangehensweise spiegelt den Charakter des Dänen wider, dessen eigene aktive Karriere frühzeitig von Verletzungen und Rückschlägen geprägt war. Nach Stationen bei RW Oberhausen in der 2. Bundesliga, aber auch in Schottland und der italienischen Serie A musste er sie bereits im Alter von 26 Jahren verletzungsbedingt beenden.

„Ich habe in meinem eigenen Leben recht schnell festgestellt: Ich bin nicht der beste oder talentierteste Fußballer. Aber ich hatte sehr viel Herz, Mentalität und Wille“, sagte Tullberg im Mai 2023 im BVB-Podcast der Ruhr Nachrichten. Und er hatte sich als Jugendlicher fest vorgenommen, es zum Fußballprofi zu bringen. Mit 18 Jahren reißt er sich das vordere und das hintere Kreuzband. Seine Reha absolviert er in Dänemark auf einer Fußballschule, die auf einem Bauernhof liegt. Fünf Stunden entfernt von seinem Elternhaus in der Nähe von Kopenhagen. Tagsüber geht er zur Schule und lernt für den Abschluss, nachts quält er sich in der Reha für das Comeback.

BVB-Trainer Tullberg emotional und authentisch

Als Jugendlicher ist er mit diesem Pensum überfordert, nimmt in dieser Zeit psychologische Hilfe in Anspruch. „Ich hatte damals auch Todesangst und verschiedene andere Sachen, daraus mache ich kein Geheiminis. Ich bin in ein riesiges Loch gefallen“, bekennt Tullberg. Es gelingt ihm, die richtigen Lehren aus dieser schweren Episode zu ziehen. „Das, was ich damals erlebt habe, macht mich als Mensch reifer und stärker“, unterstreicht Tullberg.

Im BVB-NLZ wird der Däne durchaus als streitbare Persönlichkeit wahrgenommen, weil er klar seine Meinung artikuliert und seinen Willen durchsetzt. Die schwarzgelben Talente erleben ihn als harte, aber herzliche Vaterfigur. Er fordere enorm viel von seinen Spielern, sei aber auch der Erste, der sie in den Arm nehme, wenn es mal nicht so laufe, so Tullberg.

BVB-Trainer Tullberg bei anderen Klubs auf dem Radar

Er hat sich über die Jahre einen exzellenten Ruf erarbeitet. Das bleibt auch anderen Klubs nicht verborgen. Im Frühjahr 2023 ist der Däne kurzzeitig als Nachfolger für Oliver Glasner bei Eintracht Frankfurt im Gespräch. Im vergangenen Sommer gibt es zudem Interesse des 1. FC Nürnberg. Nach sechs Jahren beim BVB denkt der Däne im Herbst seinerseits bereits laut über einen Abschied nach. Den hätte es beinahe gegeben, als der 39-Jährige Anfang Januar in weit fortgeschrittenen Verhandlungen mit Brann Bergen steht. Doch der Deal platzt, Tullberg sagt dem norwegischen Erstligisten nach eigenem Bekunden ab.

Mike Tullberg schreit seine Freude heraus und ballt die Fäuste.
Extrem emotional: BVB-Trainer Mike Tullberg coacht lautstark. © imago / Ahlborn

Zwei Wochen später ist er nun übergangsweise Cheftrainer von Borussia Dortmund. „Es ist etwas Besonderes, aufzustehen und für diesen Verein arbeiten zu dürfen. Wenn ich in Brackel aufs Gelände fahre und ich sehe dieses Logo, dann ist es für mich jeden Tag etwas Besonderes“, hat Tullberg einmal gesagt. Nur an den neuen Abbiegevorgang muss er sich noch gewöhnen. Fürs Erste heißt das: rechts vor links.

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