BVB-Geschäftsführer Carsten Cramer im Interview „Das ist nicht fair und zu bequem“

BVB-Geschäftsführer Carsten Cramer im Interview: „Das ist nicht fair und zu bequem“
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Herr Cramer, zehn Tage Asienreise sind vorbei. Was bedeutet es Ihnen und dem BVB, wieder in der Welt unterwegs sein zu können?

Es ist wirklich ein tolles Gefühl und eine schöne Bestätigung und Wertschätzung, wie wir empfangen und wahrgenommen wurden. Ob am Flughafen in Singapur, bei diesen positiv verrückten Fans in Malaysia oder in dem positiven Trubel in Vietnam. Das alles zeigt uns, dass wir als BVB eine internationale Relevanz haben. Und nach Covid19 tun diese Begegnungen unter Menschen, die so lange für uns unerreichbar waren, ehrlich gesagt richtig gut.


Wie fällt das Fazit aus?

Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass diese Reise richtig war. Sie hilft uns, sie hilft unseren Partnern vor Ort und sie hilft der Bundesliga. Das Interesse am BVB ist groß in Südostasien bei den Fans, unseren Partnern, den lokalen und regionalen Medien. Die Begeisterungsfähigkeit ist vielleicht sogar größer als beim ersten Besuch vor sieben Jahren. Unsere schwarzgelben Vereinsfarben bieten einen hohen Wiedererkennungswert. Es zahlt sich auch aus, dass wir in elf der letzten zwölf Jahre in der Champions League gespielt haben. Wir sind international eine Marke. Was die Spieler und der ganze Klub hier auch für die Bundesliga geleistet haben, kann sich sehen lassen und wird sich für alle Klubs auszahlen.


In welcher Form?

Indem wir alles dafür tun, damit zum Beispiel unsere Medienpartner Lust haben, bei der nächsten Verhandlungsrunde mehr für die Bundesliga auszugeben. Wenn ich immer nur Rechte verkaufe, ohne sie mit Leben zu füllen, dann haben die Rechte keinen Wert. Deswegen muss der deutsche Fußball in diesen Märkten auch präsent und anfassbar sein und bleiben. Wir müssen nahe an den Menschen dran sein. Wir müssen die Bundesliga von ihrer besten Seite zeigen. So anfassbar wie wir uns präsentiert haben, so präsentiert sich kein Premier-League-Topklub und so präsentiert sich kein Verein aus der spanischen Liga. Das wurde uns in Asien immer wieder versichert. Wir haben das mit dieser Reise getan, mit den Spielen und den diversen Aktivitäten, wir tun das mit unserer Legenden-Mannschaft und den Fußballschulen auf der ganzen Welt.


Was springt finanziell dabei heraus?

Wir haben mit der Reise ungefähr 2,5 Millionen Euro verdient, aber das war nicht unser Hauptaugenmerk. Mittelfristig wird sich unser Engagement noch deutlich mehr auszahlen. Wenn der Rechteinhaber in Vietnam zufrieden ist, zahlt er in Zukunft mehr für die Bundesliga. Da verzichten wir lieber auf eine höhere Antrittsprämie, damit die Tickets erschwinglich bleiben und die Fans uns erleben. Man muss für die Internationalisierung Aufwand betreiben und investieren, zumal der nationale Markt an vielen Stellen an seine Grenzen stößt. Und nebenbei bemerkt: Diese kleinen Abenteuer machen wirklich Spaß.


Welchen Aufwand betreibt der BVB außerhalb der Reisen?

Wir kommunizieren auf 42 Kanälen, allein vier davon in China, und in sieben Sprachen. In unserer Kommunikations-Abteilung in Dortmund arbeitet mittlerweile die zweite Chinesin. In Asien haben wir rund 20 lokal operierende Partner, bis hin zur mongolischen Airline, die ein Flugzeug mit unserem Logo gebrandet hat. Unser Engagement ist vielfältig, und unser Commitment ist nachhaltig. Dennoch: Unser Thema in diesem Interview ist jetzt die Internationalisierung, aber wir teilen den Menschen in Asien sehr genau mit, wo unsere Wurzeln liegen, wie wir in Dortmund ticken und dass bei uns 168.000 Mitglieder das Heft des Handelns in der Hand halten – und kein Scheich. Das wird übrigens sehr geschätzt, so mein Eindruck.


Welchen Anteil am Gesamtumsatz hat das internationale Geschäft mit TV-Vermarktung, Merchandising oder Lizenzen?

Wir wachsen und erlösen mittlerweile zwischen zehn und 20 Prozent des Gesamtumsatzes international. Das sind rund 50 Millionen Euro, und es ist weiterhin Wachstumspotenzial vorhanden.


Wo?

Jetzt waren wir in Südostasien, das ist mit Japan und Korea die erste Region, die wir im Blick haben. Leider müssen wir aktuell wegen Covid19 China anders, kreativer und fast ausschließlich aus unserem Büro in Shanghai bearbeiten. Aber auch das mit Erfolg. So haben wir jüngst eine große Fußballschule in Xiamen eröffnet. Aber wir haben auch noch andere Märkte identifiziert, die für uns interessant sind.


Welche?

Nach der Reise ist vor der nächsten Reise: Nach aktuellem Stand planen wir im Sommer eine Tour in die USA, und wir überlegen ernsthaft, in Kürze in New York unser drittes Auslandsbüro zu eröffnen. Wir haben erstmals zwei große Sponsoren gewonnen, die in den Vereinigten Staaten beheimatet sind. Unsere Umsätze in Amerika steigen, im Merchandising liegen wir dort bereits im siebenstelligen Bereich, mit unserer Fußballschule sind wir an 16 Standorten vertreten. In Giovanni Reyna haben wir einen sehr populären US-Amerikaner im Kader, das Thema Frauenfußball ist dort sehr groß, die WM 2026 steht schon vor der Tür. Es gibt sehr viele Gründe für uns, dort präsent und aktiv zu sein.


Die Premier League setzt international mehr als zwei Milliarden Euro um und damit sogar mehr als in England selbst. Die Bundesliga hat zuletzt nur ungefähr 170 Millionen umgesetzt. Was muss getan werden, um diese Lücke kleiner werden zu lassen?

Nicht klagen und lamentieren, sondern machen! Das bedeutet Aufwand. Aber wenn die Leute nicht von selbst kommen, muss ich halt auf sie zugehen. Und wir müssen aufhören, unseren Fußball permanent schlecht zu reden. Wir haben endlich eine spannendere Konstellation an der Tabellenspitze. Wir sind in der Champions League stark vertreten. Wir haben als deutscher Fußball dazu beigetragen, dass eine Super League verhindert worden ist. Wir haben die beste Infrastruktur im europäischen Fußball, die es gibt. Wir haben den höchsten Zuschauerschnitt, den es gibt. Und ja, es wäre sicher nicht verkehrt, wenn die Nationalmannschaft wieder erfolgreich wäre. Der WM-Titel 2014 hat uns international sehr geholfen. „Football made in Germany“ war und ist ein Qualitätsmerkmal.

Marco Reus steht zwischen den BVB-Fans.
Wichtiger Faktor der BVB-Internationalisierung: Kapitän Marco Reus. © Kirchner-Media / Steinbrenner


Tun die anderen Bundesligisten genug für die Internationalisierung?

Wir machen das aus intrinsischer Motivation, weil wir glauben, dass es richtig und wichtig ist für den BVB. Mit unserem Wappen, unseren Farben, unserem Stadion und unserer Geschichte verfügen wir über eine große Strahlkraft und haben es damit womöglich auch leichter als andere Bundesligisten. Aber grundsätzlich gilt: Alle müssen mitmachen und sollten mitmachen wollen. Jeder Klub muss und kann einen Teil beitragen. Es alles nur den Bayern und uns zu überlassen, ist nicht fair und zu bequem. Schauen sie sich doch mal unsere Spieler an, die machen das alle gerne mit, aber fahren gerade trotzdem auf der letzten Rille.


Die Spieler haben als Marken inzwischen mehr Strahlkraft als die Klubs in der Bundesliga. Fehlen die großen internationalen Stars?

Unsere Reise hat gezeigt, dass es der Mix macht. Klar sind Marco Reus und Mats Hummels die mit Abstand beliebtesten und bekanntesten Spieler. Aber wir definieren uns nicht nur darüber. Ich glaube, in Asien sind die meisten Fans von uns als Borussia Dortmund, wegen unserer Geschichte oder der Gelben Wand. Bei uns sind es ganz oft die 81.365 Menschen, die aus unserem Stadion etwas Außergewöhnliches machen, das es im europäischen Fußball an keiner anderen Stelle gibt. Unser Star ist auch das Stadion. Das ist unique! Und wir haben ja erfahren müssen: Der Topspieler geht leider auch irgendwann wieder.


War in der Vorbereitung das Thema Nachhaltigkeit und Ökologie ein Punkt, über den diskutiert wurde? Schließlich reist hier ein Tross mit 100 Leuten durch die Welt.

Wir haben auf die nicht zwingenden Flüge verzichtet, und Reisewege optimiert. Wir zahlen wie immer unsere CO2-Kompensationsabgabe. Wir haben in den Hotels dafür Sorge getragen, mit den Ressourcen und insbesondere dem Essen nicht verschwenderisch umzugehen. Das machen wir schon seit vielen Jahren. Wir haben auf jeder der drei Stationen gesellschaftliche Verantwortung übernommen. In Singapur haben wir nicht nur die Talente in unseren Fußballprogrammen besucht, sondern Kindern aus ärmlichen Verhältnissen die Möglichkeit gegeben, über den Fußball mehr Wertschätzung und Anerkennung zu finden. Unser Trainer hat mit einigen Spielern einen sozialen Brennpunkt besucht und mit den Menschen diskutiert. Nachhaltigkeit wird aktuell auf Umwelt und Klimaneutralität reduziert, für uns ist dieses Feld viel größer.


Ein Analyst einer großen Bank sagte mir kürzlich, der Carsten Cramer sei ein Zauberer.

Warum?

Gruppenbild mit Edin Terzic, Hans-Joachim Watzke und Carsten Cramer.
Die Entscheidungsträger des BVB (v.l.): Edin Terzic, Hans-Joachim Watzke und Carsten Cramer. © BVB/Marco Donato


Es ging um Borussia Dortmunds Wachstumssprünge im Bereich Werbung. Der Posten lag vor zwei Jahren noch bei 100 Millionen Euro, in diesem Jahr bei 126 Millionen Euro, und für das laufende Geschäftsjahr geht es in Richtung 150 Millionen Euro. Und das vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation der vergangenen drei Jahre. Wie funktioniert das?

Wir sind ein richtig guter und cooler Verein! Wie wir mit dem gesamten Team, und das meine ich über alle Abteilungen hinweg, den BVB leben, was wir tun und wie wir uns präsentieren, das funktioniert einfach. Wir wollen authentisch bleiben, machen keinen Klamauk und halten sportliche und wirtschaftliche Entwicklung in der Balance. In Asien habe ich oft gehört: „Kein anderer Klub würde das machen, was ihr macht.“ Das spüren auch unsere Partner und Sponsoren. Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass wir einfach wir selbst sind. Und dann macht es den Leuten auch Spaß, mit Borussia Dortmund zu arbeiten, unabhängig davon, ob wir Sechster oder Zweiter sind. Wir kümmern uns und bekommen dafür Vertrauen und Investitionen zurück. Wir sind viel mehr als nur ein Fußballverein mit Tradition, sondern ein Klub mit einer sehr großen Bedeutung und Strahlkraft.


Ein Fußballverein aus Dortmund. Und gleichzeitig eine internationale Marke?

Wir kommen mit allem Stolz aus Dortmund. Aber zur Wahrheit gehört, dass wir mal ganz sicher keinen Standortvorteil gegenüber anderen großen Playern haben. Wo kommen die elf Vereine her, die in Europa vor uns stehen? Vier sind allein aus London, andere aus großen Metropolen, einige haben sehr reiche, teils umstrittene Investoren aus anderen Regionen der Welt. Ich glaube, dass die Leute Bock haben auf einen Verein, der es aus eigener Kraft mit kreativen Ansätzen hinbekommt, da mitzuspielen. Es ist nicht unsympathisch, dass wir 168.000 Mitgliedern gehören und nicht einem Investmentfonds oder einem arabischen Besitzer.


Für die Internationalisierung gab es von Fans früher Kritik. Mittlerweile begleiten auch mehr und mehr deutsche Fans die Reisen. Ist das Thema inzwischen akzeptierter?

Früher hieß es oft pauschal, dass die Internationalisierung doof sei. Ihr Sinn und Zweck wurde mehr oder weniger in Frage gestellt. Aber wenn man sieht, wie sich die Menschen jeweils vor Ort auf und über den BVB freuen, dann, so glaube ich, wird das auch zu Hause positiver wahrgenommen. Aber nochmal: Dortmund ist unsere Heimat und sie wird es immer bleiben. Es ist jedoch auch unsere Pflicht, in die Welt hinauszugehen.

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