
© Marvin K. Hoffmann
BVB-Brasilianer Reinier: Eine Leihe als Geschäft ohne Gewinner
Borussia Dortmund
Am 18. Geburtstag vergoss Reinier Freudentränen: Der Brasilianer unterschrieb bei Real Madrid. Zwei Jahre später gehört er beim BVB oft nicht einmal zum Spieltagskader. Eine Ursachenforschung.
Der Wind bläst kalte Böen über den immergrünen Rasen. Zehn Fußballer in hellen Trainingsjacken und langen schwarzen Hosen machen sich an die Arbeit. Wegen der frostigen Luft haben manche Handschuhe und Mützen übergezogen. Die Stimmung in Brackel passt zum Wetter, es ist eisig beim BVB nach dem 1:2 beim FC St. Pauli und dem Aus im DFB-Pokal. Erst mitten in der Nacht waren die Busse aus Hamburg nach Dortmund zurückgekehrt, beladen mit niedergeschlagenen Spielern und tonnenweise Frust. Welch deprimierende Momente am 20. Geburtstag für einen von ihnen, der meist dabei ist, aber nie so richtig dazugehört: Reinier. Und was für ein Gegenpol zu den Emotionen zwei Jahre zuvor.
Erst Pomp, dann Stille: Karriere von BVB-Brasilianer Reinier stockt
Am Tag nach seinem 18. Geburtstag präsentierte Real Madrid mit großem Pomp den hochgelobten Neuzugang aus Südamerika, der auf die lange Liste brasilianischer Zuckerkicker bei den Königlichen seinen Namen ergänzen sollte. 30 Millionen Euro Ablöse für Flamengo Rio de Janeiro. Untertitel: Ein neuer Star in der Mache. Reinier weinte Tränen der Freude, der Rührung und der Dankbarkeit, als er auf dem Podium im Estadio Santiago Bernabeu saß und berichtete, was ihm dieser Karrieresprung auf den alten europäischen Kontinent bedeutete.
Wohin er sich an seinem Ehrentag zwei Jahre später wünschte, hat Reinier nicht überliefert. Es gibt ein Selfie mit ein paar Kumpels vom BVB, die gute Laune zur Schau stellen, viel mehr nicht. Es ist still geworden um diesen hochtalentierten jungen Kerl, der wie viele vor ihm die (überhöhten) Erwartungen nicht mit Leistungen bestätigen kann.
Reinier ist nur noch ein Anhängsel im BVB-Kader
Im ersten halben Jahr in Madrid kam er auch wegen der Covid-Pandemie kaum zum Spielen, die folgende, auf zwei Jahre angelegte Leihe zu Borussia Dortmund (Vorbild: Achraf Hakimi) zeitigt, das lässt sich bereits sechs Monate vor Ablauf bilanzieren, nicht den erhofften Entwicklungsschritt. Vom potenziellen Superstar ist der Offensivspieler abgestiegen zu einem Anhängsel im BVB-Kader. Statt Superlativen nur Perspektivlosigkeit. Und die naheliegende Frage ist die nach dem Warum.
Reinier durchlief die brasilianischen U-Mannschaften, sammelte früh Profierfahrung bei Flamengo in Rio de Janeiro, gewann sogar Olympiagold im Sommer 2021. Dort zauberten etwa Antony (Ajax Amsterdam), Matheus Cunha (RB Leipzig) oder Gabriel Martinelli (Arsenal), alle ungefähr sein Alter, die in ihren Klubs den internationalen Durchbruch und noch mehr bereits geschafft haben. Borussia Dortmunds Goldstück hingegen blieb – allen Vorschusslorbeeren zum Trotz - im Verein fast ohne nennenswerten Gegenwert.
Reinier fehlten beim BVB anfangs Fitness und Rhythmus
Unter Lucien Favre fehlten Reinier anfangs Fitness und Rhythmus, auch die Wettkampfhärte. Interimstrainer Edin Terzic kitzelte mit seiner spielerverstehenden Art etwas mehr von den Fähigkeiten des Spielmachers heraus. Dass dann im Sommer der nächste Wechsel und der dritte Chef-Übungsleiter binnen eines Jahres auf der Matte stand, war inhaltlich genauso verwirrend wie für einen Suchenden einladend. Neuer Trainer, neues Glück?
„Wir alle wissen, dass er ein hervorragender Fußballer ist“, betonte BVB-Coach Marco Rose im Sommer. Reinier habe selbstverständlich die Möglichkeit, „sich neu anzubieten“. Das wollte der auch. Frisch bestärkt vom Triumph in Tokio stieg er in Japan ohne weiteren Urlaub in den nächsten Flieger, um beim BVB mit aufgefrischtem Selbstvertrauen anzugreifen. Gepasst hat es wieder nicht. 275 Spielminuten, verteilt auf elf Einsätze, zuletzt immer weniger Zeit auf dem Rasen – die Tendenz spricht wirklich nicht für Reiniers Renaissance. Im Jahr 2020 stand er zweimal nicht im Kader, zweimal blieb er ohne Einsatz.
Real Madrid, Borussia Dortmund, Reinier: Ein Leihgeschäft ohne Gewinner
Das Leihgeschäft, bei dem der BVB auch einen stattlichen Teil des Gehalts übernimmt, hat sich längst zu einem Missverständnis entwickelt, bei dem die drei beteiligten Parteien mehrfach den Moment verpassten, aus der Sackgasse umzukehren. Real benötigte den Spieler in dessen aktueller Verfassung nicht. Reinier wollte nicht nach nur einem Jahr vorzeitig die Flinte ins Korn werfen. Der Borussia waren wegen der festen Vereinbarung mit den Madrilenen die Hände gebunden. Zufriedenstellen kann die Situation auch im Januar 2022 niemanden.
„Man versteht es nicht. Er hat keine Chancen bekommen und kämpft gegen Dinge an, die er nicht versteht“, meckerte Reiniers Vater, Mauro Brasilia, im Winter in der spanischen Sportzeitung „AS“. Sein Vorwurf: „Borussia hat Reinier nicht unterstützt. Ohne Zuneigung ist es unmöglich.“
Es erscheint sehr fraglich, ob diese Anklage gegen den BVB berechtigt ist. Der Klub hat eine Reihe von internationalen Talenten erfolgreich integriert, andere scheiterten aus verschiedenen Gründen trotz nachgewiesener sportlicher Qualität (Balerdi, Gomez, Isak).
Der BVB gibt Reinier reichlich Hilfestellung
Der Verdacht liegt nahe, dass es dem Freund des „jogo bonito“ sportlich an Durchsetzungs- und Anpassungsvermögen gemangelt hat. Sehr ehrgeizig sei er immer gewesen, fast preußisch verlässlich und diszipliniert, heißt es im Verein. Ein privater Physiotherapeut packte mit an, individuelle Taktikschulungen zum adäquaten Verhalten bei Ballbesitz und in der Defensive kamen hinzu. Viel mehr, so der Tenor bei Borussia, könne man nicht machen. Der erhoffte Fortschritt. stellte sich nicht ein. Zwischenzeitlich kam zu Reiniers dauerhaften Unglück auch noch Pech mit einer Covid-Infektion dazu, die er sich bei einer Reise mit der brasilianischen U23 einfing.

Die baldige Rückkehr von BVB-Profi Gio Reyna (2.v.l.) dürfte Reinier (am Ball) wieder einen Platz auf der Tribüne bescheren. © Marvin K. Hoffmann
Bei seinen wenigen sporadischen Auftritten wirkte Reinier selbst wie ein Fremdkörper im Dortmunder Spiel: Hoch veranlagt, tief gehemmt. Im wichtigen Champions-League-Spiel bei Sporting Lissabon sollte er dann, wegen der vielen verletzten Kollegen, das Ausscheiden verhindern. Ohne Rhythmus und Spielpraxis war das Ansinnen schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Sind die Mitspieler wie Positionskonkurrent Marco Reus fit, kommt er leistungsmäßig nicht an sie heran. Wenn im Februar auch noch Giovanni Reyna zurückkehrt, bleibt für Reinier wohl noch öfter als bislang nur ein Platz auf der Tribüne reserviert.
BVB-Coach Rose stellt klare Forderung an Reinier
Er müsse sein Können „in jedem Training und auf hohem Niveau in der Bundesliga und in der Champions League zeigen und sich nachhaltig im Training anbieten, jeden Tag wieder, über Wochen“, forderte Rose von seinem Spielmacher außer Dienst. Das Bemühen ist da. Der permanenten Ausbootung für die Spiele folgend, hapert es dann am Niveau und noch mehr an der Nachhaltigkeit.
Ein Wechsel in diesem Winter wäre ein Ausweg aus der misslichen Lage für die Borussia und ihren Brasilianer. Doch auch eine Wochen vor Transferschluss hieß es beim BVB, es seien keine konkreten Anfragen in Sicht. Sein Marktwert ist auf zehn Millionen Euro heruntergepurzelt. Wenn er im Sommer nach Spanien zurückkehrt, steht dann wohl die nächste Ausleihe an.
Am 18. Geburtstag war Reinier definitiv ein glücklicherer Mensch als er es an seinem 20. Geburtstag ist. Wie es ihm mit 22 ergeht, wo er dann steckt und wie gut er Fußball spielt, das ist völlig offen.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
