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BVB-Analyse

Borussia Dortmund und das Problem des fehlenden Interimstrainers

Der BVB hat Enrico Maaßen als U23-Trainer verpflichtet. Das ist eine vielversprechende Lösung, aber ein Problem bleibt: Borussia Dortmund fehlt ein möglicher Interimstrainer für die Profis.

Dortmund

, 25.06.2020 / Lesedauer: 6 min

Es ist jetzt gut zwei Jahre her, da wurde so fleißig an Borussia Dortmunds Kader gebastelt wie lange nicht mehr. Der BVB hatte so gerade eben die Qualifikation für die Champions League gestemmt bekommen, am letzten Spieltag hatten sich die Mannschaft und der damalige Trainer Peter Stöger nach einer unruhigen Saison in Hoffenheim ins Ziel gerettet, vielleicht eher gemogelt. Platz vier und die Königsklasse wackelten bedenklich, aber es ging irgendwie gut - und danach musste ein Umbruch her, wie es im Fußball in solchen Fällen heißt.

Der BVB wollte Hannes Wolf zurückholen

Bei Borussia Dortmund wurde ziemlich konsequent umgebrochen. Nicht nur im Kader, sondern auch neben dem Platz. Lucien Favre wurde Cheftrainer, aber dabei blieb es nicht. Sebastian Kehl wurde als Leiter der Lizenzspielerabteilung installiert, Matthias Sammer als externer Berater gewonnen. Im Trainerteam löste Matthias Kleinsteiber Vereinsikone Wolfgang „Teddy“ de Beer als Torwarttrainer ab, Edin Terzic wurde als Co-Trainer „mit Stallgeruch“ hinzugeholt - und als weiterer Co-Trainer an Favres Seite wurde am 6. Juli 2018 Manfred Stefes vorgestellt, den Favre bereits aus Gladbacher Tagen kannte und schätzte.

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Der Name Hannes Wolf spielte auf der Pressekonferenz an jenem 6. Juli keine Rolle, auch wenn die BVB-Entscheidungsträger sich das durchaus gewünscht hätten. Wolf war zuvor mehrmals auf der Dortmunder Geschäftsstelle gesichtet worden, er sollte genau wie Terzic, mit dem Wolf früher erfolgreich in der schwarzgelben Nachwuchsabteilung zusammengearbeitet und Meisterschaft um Meisterschaft gewonnen hatte, Aufgaben im BVB-Trainerteam übernehmen. So lautete der Plan.

U17-Trainer Sebastian Geppert wird im Klub geschätzt

Das verloren gegangene BVB-Gefühl sollte zurückkehren in den Dortmunder Profikader. Wolf und Terzic, bei der Borussia einst in Jürgen Klopps Schatten groß geworden, galten dafür bei Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc - neben all ihrer fachlichen Qualitäten - als Idealbesetzung. Doch es ging bei der Idee mit Hannes Wolf nicht nur um den Stallgeruch und das BVB-Gefühl im Trainerstab, es ging auch, selbst wenn das niemand offiziell bestätigen mag, um einen Plan B, darum, sich einen möglichen Trainer ins Haus zu holen, der im Fall der Fälle, falls es mit Lucien Favre nicht klappen sollte, fürs Erste einspringen könnte - und vielleicht ja auch für länger.

Borussia Dortmund hat einen solchen Trainer seit Hannes Wolfs Abgang im Herbst 2016 zum VfB Stuttgart und spätestens seit Daniel Farkes Abschied zu Norwich City im Sommer 2017 nicht mehr in seinen Reihen. Sebastian Geppert aus der U17 wird im Klub geschätzt und als sehr ambitioniert eingestuft, aber das Löschkommando in der ersten Mannschaft wird ihm noch nicht zugetraut, wenn es mal brennt. Mike Tullberg wird sich in der U19 erst beweisen müssen, nachdem sein erstes Jahr beim BVB als U23-Trainer durchwachsen verlief.

BVB-Experiment mit Michael Skibbe ist krachend gescheitert

Gleiches gilt für Enrico Maaßen, der in der kommenden Saison den BVB II durch die Regionalliga West führen wird. Der 36-Jährige kommt mit seinem Fußballlehrerschein in der Tasche und allerbesten Referenzen vom SV Rödinghausen nach Dortmund, aber auch er wird sich erst seine Sporen beim BVB verdienen müssen, bevor er für größere Aufgaben in Erwägung gezogen wird. Das Experiment mit Michael Skibbe als Nachwuchs-Cheftrainer ist krachend gescheitert und vorzeitig wie stillschweigend beendet, Otto Addo betreut die Top-Talente, ist aber gewiss kein Kandidat für das Traineramt in der ersten Mannschaft.

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Für den BVB ist das durchaus ein Problem, weil im Klub und im Ernstfall eigentlich nur Edin Terzic, intern außerordentlich geschätzt, als potenzieller Interimstrainer in Frage kommt. Mittlerweile arbeitet der 37-Jährige allerdings bereits seit zwei Jahren eng mit Favre und Stefes zusammen - und zur Wahrheit gehört auch: Das Duo Wolf und Terzic hätte freilich mehr hergegeben als Terzic allein. Sowohl nach außen als auch bei den Fans.

Die Diskussionen begleiten Lucien Favre beim BVB

Doch das Problem des fehlenden Interimstrainers ist kein neues. Schon bevor Favre und sein Trainerstab die Arbeit beim BVB aufnahmen, hätte Borussia Dortmund eine Übergangslösung gut gebrauchen können. Als Peter Bosz im Herbst 2017 nach der verspielten 4:0-Führung gegen den FC Schalke 04 und einem dramatischen Sinkflug in der Tabelle eigentlich nicht mehr tragbar war, durfte der Niederländer in Dortmund noch ein Unentschieden und zwei Niederlagen lang weiterarbeiten, bis in Peter Stöger, der in der Zwischenzeit beim 1. FC Köln entlassen worden war, endlich ein Feuerwehrmann für den BVB frei wurde.

Nun verhält es sich so, dass auch Lucien Favres Stuhl seit BVB-Dienstantritt im Sommer 2018 bereits öfters gewackelt hat. Nach der verspielten Meisterschaft in Favres erster Saison, vor allem nach den deutlichen Niederlagen in München (0:5) und im Derby gegen Schalke (2:4) samt unglücklicher Aussagen in der Öffentlichkeit („Der Titel ist verspielt, das ist klar für mich“) brodelte es bereits hinter den Kulissen, nach der erneuten Klatsche in München (0:4) und dem darauffolgenden 3:3 gegen Paderborn in der vergangenen Hinrunde wurde es dann wirklich eng für den 62-Jährigen. Was einmal mehr fehlte, war die passende Alternative - und eben auch die interne Interimslösung. Für Favre spricht freilich, dass er sich von all den Diskussionen um seine Person nie beirren ließ, um seinen Job kämpfte, in der Mannschaft beliebt ist und immer dann gute Ergebnisse lieferte, als er sie am dringendsten brauchte.

Flick beerbt Kovac beim FC Bayern - und startet eine Siegesserie

Wie schnell es gehen kann mit einem Trainerwechsel, wenn eine gute Alternative im Verein bereitsteht, hat in dieser Saison ausgerechnet der große FC Bayern München aufgezeigt. Nico Kovac, dessen Amtszeit beim Rekordmeister trotz des Double-Gewinns in seiner ersten Spielzeit als Bayern-Trainer andauernd von Diskussionen um seine Person begleitet wurde, analog zu Favres Zeit in Dortmund, musste Anfang November 2019 nach nicht einmal anderthalb Jahren auf der Bayern-Kommandobrücke schon wieder seinen Hut nehmen. Hans-Dieter Flick, erst im Sommer 2019 als Nachfolger von Peter Hermann als Kovacs Assistent eingestellt, übernahm nach nur 16 Pflichtspielen als Co-Trainer zunächst auf Zeit, überzeugte anschließend in der restlichen Hinrunde - und unterschrieb in München letztlich einen Vertrag als Cheftrainer bis 2023.

Rückt immer wieder in den Mittelpunkt der Kritik: BVB-Trainer Lucien Favre. © Kevin Voigt/Jan Huebner/Pool

Für den BVB steht nun am Samstag wieder mal ein Spiel gegen Hoffenheim an einem 34. Spieltag an. Nachdem zuletzt erneut über Favre diskutiert wurde, steht seit der gesicherten Vizemeisterschaft fest, dass der Schweizer auch in der kommenden Saison noch für Borussia Dortmund an der Seitenlinie stehen wird. Die Verantwortlichen versuchen zwar, die jüngste Favre-Debatte als „Diskussion der Medien“ hinzustellen, aber vollends einverstanden sind sie mit dem Abschneiden in dieser Spielzeit nicht. Favre hat es trotz zweier guter Spielzeiten nicht geschafft, die Dominanz des FC Bayern München aufzubrechen, was vor allem in dieser Saison das erklärte Ziel war. Es gebe keinen Grund für eine Trainerdiskussion, hieß es auf der einen Seite immer wieder, eine Jobgarantie über den Sommer hinaus wollte Favre auf der anderen Seite aber lange auch niemand aussprechen. Es war ein mitunter komisch anmutendes Katz-und-Maus-Spiel.

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Ob es nach einem Trainerwechsel beim BVB, der in der Hinrunde deutlich vermittelbarer gewesen wäre als jetzt, besser oder schlechter gelaufen wäre, bleibt reine Spekulation. Weniger spekulativ erscheint dagegen die These, dass Favre die Diskussionen um seine Person nur dann dauerhaft zum Erliegen bringen kann, wenn seine Mannschaft in der neuen Spielzeit von Beginn an auf dem Niveau dieser Rückrunde spielt. Alles außer eine perfekte Saison, die es wohl ohnehin brauchen wird, um die Bayern in Verlegenheit bringen zu können, wäre zu wenig. Gut wird nicht reichen, Favre wird außergewöhnlich liefern und punkten müssen, für alles andere fehlt es ihm im Verein und im schwarzgelben Umfeld an der nötigen Lobby. Der 62-Jährige ist eben nicht jedermanns Liebling. Er ist eben nicht, so könnte man es auch formulieren, Jürgen Klopp.

Interne Interimslösung ist beim BVB nicht in Sichtweite

Zumindest einen Vorteil wird Favre allerdings auch mit in seine dritte Saison bei Borussia Dortmund nehmen: Seinen Thronfolger muss der Schweizer nicht unbedingt im eigenen Stall vermuten und fürchten. Eine interne Interimslösung für die Position des Cheftrainers ist beim BVB auch zwei Jahre nach Favres Amtsantritt in Dortmund weiter nicht unbedingt in Sicht. Zum Vergleich: Bei Bayern München wird Miroslav Klose zur neuen Saison neuer Co-Trainer von Hansi Flick. Auch beim Blick auf mögliche Interimstrainer erscheint der Rekordmeister nur schwer zu schlagen zu sein.

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