Plötzlich Bundestrainer: Ein Dortmunder Coach ist als Trainer zur EM gereist
Sport in Dortmund
Ein Dortmunder Trainer könnte in seiner Sportart in wenigen Tagen an der Seitenlinie der deutschen Nationalmannschaft stehen. Das war so eigentlich nicht geplant.

Ein Dortmunder Trainer coacht die deutsche Nationalmannschaft. © picture alliance/dpa
Als die deutsche Frauen-Nationalmannschaft am Dienstagmittag mit dem Flieger in Dänemark landet und sich auf den Weg ins EM-Team-Hotel nach Kolding macht, sitzt André Fuhr noch im Auto. Der BVB-Trainer hat sich um vier Uhr morgens auf den Weg in Richtung Norden gemacht, gerät in Frankfurt noch in ein Schneegestöber und steht eine Stunde in einer Vollsperrung. Es gibt bessere Voraussetzungen für den Start in eine Europameisterschaft. Aber die ungewöhnlichen Umstände von Fuhrs kurzfristigem Engagement beim DHB führen nunmal auch zu ungewöhnlichen Konsequenzen.
„Sobald Henk Groener zum Team stößt, mache ich mich wieder auf den Weg nach Dortmund“, erklärt Fuhr, der den sich in Quarantäne befindenden Bundestrainer zunächst nur ein paar Tage während der EM-Vorbereitung vertreten sollte, seine Anreise. Da Groener nach seiner Corona-Infektion aber aktuell immer noch ansteckend sei, so der Deutsche Handball Bund (DHB), befindet sich nun Fuhr zusammen mit dem eigentlichen Co-Trainer Alexander Koke, der sich zu Beginn der Vorbereitung ebenfalls noch in Quarantäne befand, in Dänemark. Sobald Groener, dem es gesundheitlich gut gehe, nicht mehr ansteckend ist, werde er nach Dänemark reisen – Fuhr dann zurück nach Dortmund.

André Fuhr ist mit der Nationalmannschaft zur EM gefahren. © Ludewig
In seiner Heimat wird der BVB-Trainer spätestens am Montag zurückerwartet, um die Spielerinnen zu trainieren, die nicht an der EM teilnehmen. „Da muss der Chef wieder auf der Matte stehen“, sagt Andreas Bartels, stellvertretender Abteilungsvorstand.
Bis zum diesem Montag stehen für die deutsche Nationalmannschaft allerdings zwei EM-Gruppenspiele auf dem Programm: Am Donnerstag gegen Rumänien (18 Uhr) und am Samstag gegen Norwegen (18.15 Uhr). Bei den Partien könnte Fuhr – sollte Henk Groener die Quarantäne nicht verlassen dürfen – an der Seitenlinie stehen. Eine außergewöhnliche Situation für den BVB-Trainer, der mit seiner Rolle bei der Europameisterschaft in Dänemark (3. bis 20. Dezember) so niemals gerechnet hatte.
Herr Fuhr, Sie sollten zunächst nur für ein paar Tage einspringen. Jetzt sind Sie auf dem Weg nach Dänemark. Haben Sie überhaupt genug eingepackt?
Ich war auf etwas länger als zwei Tage vorbereitet, aber im Hotel kann man ja auch waschen. (lacht) Die Ausrüstung bekommen wir überwiegend sowieso gestellt. Aber ich hatte so elementare Sachen wie ein Ladekabel für den eBook-Reader oder meine Uhr nicht mit. Bei drei bis fünf Tagen hätte ich das auch nicht gebraucht. Aber wir konnten uns da untereinander aushelfen, sonst würde ich jetzt ohne funktionierende Uhr dastehen.
Hätte Ihnen vor einem Monat jemand gesagt, dass sie wahrscheinlich bei der EM an der Seitenlinie stehen, wie hätten Sie reagiert?
Daran habe ich nie gedacht. Ich habe da sogar bis zum letzten Montag um 9 Uhr nicht dran gedacht. Es ist durch den Ausfall von Henk ja auch einfach eine besondere Situation. Dass ich einspringe, ist natürlich auch eine Folge daraus, dass ich Juniorentrainer der U20 bin. Da bin ich dann eben nachgerückt, um zu unterstützen, vor allem als zunächst auch Alexander Koke in Quarantäne war. Ich freue ich mich natürlich, dass ich dabei bin.
Noch ist unklar, wie lange das sein wird.
Genau, Henk könnte jederzeit nach Dänemark kommen. Aber bis dahin versuche ich – auch mit der Erfahrung, die ich bisher gesammelt habe – in der Co-Trainer-Rolle so gut zu unterstützen wie ich kann. Das macht mir auch Spaß, ich arbeite sehr gut mit Alex und dem ganzen Staff zusammen. Wir versuchen das in Henks Sinne so gut wir können weiterzuführen – bis er wieder da ist.
Wie organisiert man denn eine EM-Vorbereitung mit einer Mannschaft, die man so noch nie trainiert hat?
Mir war es sehr wichtig, dass wir die Inhalte ganz genau abstimmen. Ich habe drei Einheiten alleine gemacht als Alex noch nicht dabei war. Da musste Henk schon sagen, was er gerne möchte, wo seine Schwerpunkte liegen und wie er sich so eine Vorbereitungswoche vorstellt. Das war also schon in enger Abstimmung. Aber klar hat man auch seinen eigenen Stil, wie man das dann in den Übungen umsetzt – und die Freiheit blieb mir auch. Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir da ganz eng zusammenarbeiten müssen und auch die Mannschaft sich mit einbringen muss, damit wir ihre Linie einhalten. Da gibt es ja durchaus Unterschiede, beispielsweise darin, wie man eine 6:0-Abwehr interpretiert.
Apropos Unterschiede: Sie trainieren seit 2019 die U20-Nationalmannschaft, jetzt coachen Sie die Frauen und das auch noch während einer EM-Vorbereitung. Wie deutlich sind die Unterschiede?
Ich habe es hier mit gestandenen Spielerinnen zu tun, die zum Teil im Ausland spielen. Das hat das Ganze nochmal erschwert, weil die Spielerinnen aufgrund der unterschiedlichen Quarantäne-Bestimmungen teilweise zu unterschiedlichen Zeitpunkten angereist sind. Das ist schon eine schwierige Situation. Man merkt natürlich auch, dass die Spielerinnen schon weiter sind und sich anders einbringen als Jugendspielerinnen.
Zu den gestandenen Spielerinnen, mit denen Sie es zu tun haben, gehören auch Routiniers wie zum Beispiel Bietigheims Kim Naidzinavicius. Die stand Ihnen vor Kurzem im Bundesliga-Topspiel noch als Gegnerin gegenüber...
Ich glaube, man kann auf dem Feld Gegner sein und trotzdem ganz normal nett miteinander umgehen – außerhalb des Feldes und meinetwegen auch auf dem Feld. (lacht) Aber natürlich beschnuppert man sich erstmal ein bisschen, das gehört schon dazu. Keiner weiß vorher, was der eine über den anderen denkt, da sind wir alle in der gleichen Situation. Das hat sich aber relativ schnell aufgelöst.
Sie scheinen sich in Ihrer Rolle richtig wohlzufühlen. Werden Sie nach der EM eine Bewerbung als Bundestrainer an den DHB schreiben?
Darüber mache ich mir keine Gedanken, ich bin sehr zufrieden bei Borussia Dortmund und habe viel Freude an der Arbeit in der Bundesliga.
Also hatten Sie persönlich nie das Ziel, irgendwann in Ihrer Karriere Bundestrainer zu werden?
Es ist etwas ganz anderes, ob man eine Auswahlmannschaft trainiert, die man im Jahr drei, vier Wochen hat oder ob man eine Vereinsmannschaft trainiert. Klar sind eine WM oder Olympia aus sportlicher Sicht das Größte, was es gibt – mit einer Nationalmannschaft. Aber wir spielen mit dem BVB in der Champions League, das ist das sportlich Größte für eine Vereinsmannschaft. Ich würde da keine Reihenfolge reinbringen wollen.
Aktuell sitzen Sie aber auf der Bank der Nationalmannschaft. Sie haben das Team in den letzten Tagen so intensiv betreut wie kein anderer. Was ist drin bei der EM?
Ich habe bisher eine sehr positive Mannschaft erlebt, die mit viel Ehrgeiz, Einsatz und großem Fokus bei der Sache ist. Die EM ist für alle Teams eine ganz spezielle, es gibt viele Verletzte, viele Akteure reisen später an. Bei uns ist der Cheftrainer nicht da, das ist natürlich eine Herausforderung. Aber wir glauben an unsere Stärken und hoffen, dass wir damit gut abschneiden. Ich freue mich einfach auf das Turnier.
Sollte Henk Groener bis Donnerstag noch nicht zur Mannschaft gestoßen sein, könnten Sie die ersten EM-Spiele in Ihrer Vita vermerken. Wie sehr würde Sie das freuen?
Ich wünsche mir, dass Henk am Donnerstag wieder da ist. Keiner kann seine Art, die Mannschaft zu begleiten, besser machen als er selbst – das ist doch logisch. Aber man kann es mir, glaube ich, nicht übelnehmen, wenn ich sage, dass ich mich auf ein Länderspiel freue. Alles andere wäre ja auch komisch.
Bei der Borussia erwartet man Sie am Montag wieder zurück in Dortmund. Würden Sie nicht lieber länger in Dänemark beim Nationalteam bleiben?
Noch einmal: Ich hoffe, dass Henk so schnell kommt wie es geht und sobald er da ist, fahre ich wieder zurück nach Dortmund, da habe ich ja nunmal auch eine Aufgabe.